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Bühne - Echoräume

Foto: Esra Rotthoff

Vorwiegend junge Menschen drängen sich auf den Sitzbänken und am Boden, der kleine Raum im Maxim-Gorki-Theater in Berlin ist voll besetzt. Eine Schriftstellerin und ein Schriftsteller, sie aus Syrien, er aus Uganda, sprechen über das Schreiben, über Freiheit, über Grenzen. Beide sind aus unterschiedlichen Gründen nach Europa geflüchtet. In ihrer Mitte sitzt Grada Kilomba, Theoretikerin und Künstlerin. Sie moderiert das Gespräch, bringt ihre eigenen Erfahrungen als Schriftstellerin ein. Das Publikum hört schweigend zu.

Mit ihrer Reihe Kosmos² will Grada Kilomba bewusst einen Raum schaffen, in dem Menschen nur zuhören sollen: „Sie hören die Stimmen von Künstlern, die bisher unsichtbar waren und nicht gehört wurden. Danach gehen sie hinaus und sehen, was das Echo, die neuen Worte, die neuen Perspektiven mit ihnen machen." An acht Abenden hat Kilomba im Gorki-Theater mit geflüchteten Künstlerinnen und Künstlern vor Publikum über jeweils ein Thema gesprochen: Wissen, Film, Musik, Performance, Aktivismus, Bildende Kunst, Tanz und, zuletzt, Literatur. Am 2. Juli endet die Reihe mit einer Party und einem Rückblick.

Es fehlt an Wissen

Grada Kilomba arbeitet zu Rassismus und Gender, sie schreibt Bücher und Erzählungen, entwirft Performances und Videoinstallationen, außerdem lehrt sie an verschiedenen Universitäten. Aufgewachsen ist Kilomba in Lissabon, wo sie Psychoanalyse und klinische Psychologie studierte. Nach dem Studium arbeitete sie mit Kriegsüberlebenden aus Mosambik und Angola. Sie begann, die Geschichten, mit denen sie tagtäglich konfrontiert war, in eigenen Werken zu verarbeiten. Nach Deutschland kam sie 2004 mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung, um ihre Doktorarbeit zu schreiben. Seitdem lebt sie, mit Unterbrechungen, in Berlin. Bekannt wurde Kilomba 2008 mit dem Buch Plantation Memories, einer präzisen Analyse des alltäglichen Rassismus. Jeder rassistische Akt bedeutet eine Retraumatisierung, lautet Kilombas These. Die angegriffene Person wird in eine koloniale Situation zurückgeworfen, in der die Machtasymetrie zwischen Herr und Sklave wieder hergestellt wird - die koloniale Vergangenheit wird zur Gegenwart.

Hierzulande wissen die wenigsten, welche afrikanischen und asiatischen Länder von Deutschland kolonisiert wurden oder dass es in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, die ersten Konzentrationslager gab. Auch dass Menschen in den kolonisierten Ländern umbenannt wurden und ihre richtigen Namen verloren gingen, ist kaum bekannt. Kilombas Stimme zittert, wenn sie davon erzählt, wie sie sich auf die Suche nach ihrem richtigen Namen machte. Sie recherchierte in Archiven auf São Tomé, Príncipe und in Angola, wo ihre Großmütter gelebt hatten. Die eine hieß Grada, die andere Kilomba.

Als Grada Kilomba 2012 Gender und Postcolonial Studies an der Berliner Humboldt-Universität lehrte, war sie schockiert, dass die Studierenden nicht einmal die Berliner Konferenz kannten, auf der 1885 Afrika unter den europäischen Großmächten aufgeteilt wurde: „Damit sind wir bei der Frage der Wissensproduktion: Was für ein Wissen produzieren wir, wessen Wissen ist es, welches Interesse repräsentiert es. Wissen ist nicht neutral, apolitisch oder objektiv. Wissen reproduziert die Machtasymmetrie." Angefangen bei der Sklaverei, über den Kolonialismus hin zur heutigen Festung Europa habe Rassismus immer im Zentrum der europäischen Politik gestanden, sagt Kilomba. Deshalb sei es kein Wunder, dass rechte Bewegungen heute so stark sind. „Wir leben in einer Gesellschaft, die ihre koloniale Geschichte nicht ernst genommen hat. Es ist wie eine Wunde, die nicht behandelt wurde. Manchmal entzündet sie sich, manchmal blutet sie heftig."

Grada Kilomba sagt all dies ohne Verbitterung. „Ich bekomme sehr schöne Reaktionen auf meine Arbeit. Die meisten scheinen meine Projekte als Inspiration, nicht als Bedrohung zu empfinden. Vielleicht, weil sie nichts mit Moral zu tun haben."

Was Grada Kilomba wichtig ist, wiederholt sie mehrmals, als wäre sie bereit, eine Botschaft so zu oft auszusprechen, bis sie endlich gehört wird. Eine dieser Botschaften ist, Verantwortung für die eigene Stellung zu übernehmen. Der westliche Feminismus habe lange Zeit die Welt nur in Männer und Frauen geteilt und andere Diskriminierungsachsen nicht beachtet, kritisiert sie. Die Annahme, dass Frauen generell Männern unterlegen sind, werde den Lebensrealitäten schwarzer Männer nicht gerecht. „Es ist schlimm, wenn kritische Bewegungen Rassismus und postkoloniale Lebensrealitäten nicht mitdenken." Besonders deutlich sei dies in der Debatte um die Silvesternacht in Köln geworden. „Köln hat gezeigt, dass Frauen of Color komplett davon ausgeschlossen sind, so wie immer. Es ging nicht um Frauen, es ging um weiße Frauen." Bei Rassismus gehe es nicht um Schuld, sagt Grada Kilomba, sondern um Verantwortung. Die eigene Position in der Gesellschaft könne man nicht wählen. Ob man ignorant bleiben will, hingegen schon.

Kosmos² Labor #9: Party Kuratiert und moderiert von Grada Kilomba, Maxim-Gorki-Theater, Berlin, 2. Juli 2016

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