Madeleine Londene

Freie Journalistin, Augsburg & Berlin

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Artikel

Er will nur seinen Sohn zurück

Seit Monaten sucht ein Vater nach seinem Sohn. Als er ihn in Albanien findet, darf er ihn nicht nach Hause nehmen. Denn das Kind wurde von der eigenen Mutter entführt.


Nachts kann er bei ihm sein, zumindest für ein paar Stunden. Dann sieht Alex den kleinen Jungen mit dem blonden Topfschnitt und den großen Augen vor sich. Mal fährt er Schlitten, mal rennt er mit seinem roten Feuerwehrrucksack auf dem Rücken auf ihn zu. Die schönsten Träume sind auch die schlimmsten: Wenn sein Sohn in seinen Armen schläft, dann spürt Alex ihn, als wäre er nie fort gewesen. Er hält ihn ganz fest. Seinen verlorenen Jungen.


Durrës, eine Hafenstadt im Westen von Albanien, November 2022. Vor einem Café neben dem Gerichtssaal stehen eng geparkt Autos mit eingeschlagenen Scheiben. Von den Strommasten hängen Kabel wie Lianen, ein Porsche rast vorbei an einer Eselkutsche mit einer Waschmaschine im Anhänger. Am Tisch im Außenbereich des Cafés die müden Gesichter von sechs Personen, sie ziehen an ihren Zigaretten. In ihrer Mitte ein Mann, zwei Meter groß, die Hände vor dem Gesicht gefaltet. Keiner spricht.


Die vergangenen Wochen haben Spu- ren bei Alexander Herrmann hinterlassen. Die Schatten unter den Augen sind tiefer geworden, die Haut im Gesicht ist fahl, seine Jeans sitzt locker. Neun Monate ist es her, dass seine Ex-Freundin Rovena* den gemeinsamen Sohn Erik nach Albanien entführt hat. Seitdem hat er sein Kind nicht mehr gesehen. Sieben Jahre war er mit Rovena zusammen. »Ich dachte, ich kenne sie«, sagt Alex, während er mit einem Kinderschuh spielt, der an der Aktentasche auf seinem Schoß baumelt. Eriks erster Sneaker. [...]


Zu lesen in: Zeit Verbrechen


Fotos: Tobias Kruse.