Madeleine Londene

Freie Journalistin, Augsburg & Berlin

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10.000 Stufen Grau


In Freiburg oder Hamburg für mehr Klimaschutz demonstrieren ist einfach. Aber in Bitterfeld-Wolfen? Der 17jährige FFF-Aktivist Jonas Venediger ist manchmal alleine mit seinem Plakat unterwegs in der AfD Hochburg und Ballungsgebiet der Rechten. Und immer bläst ihm der Hass entgegen.

 

Vorsichtig greift Jonas in seinen Rucksack und zieht einen Aufkleber heraus. Darauf eine Katze mit Sonnenbrille in Herzform und den Worten: „Hier war rassistischer Dreck“. Die Straßen in Bitterfeld-Wolfen sind an diesem kalten Oktobertag wie leergefegt. Regentropfen prasseln auf den Asphalt, Wasser sammelt sich in einem Schlagloch am Boden. Jonas dreht sich um, blickt nach links, nach rechts. Sein Atem lässt seine Brillengläser beschlagen.

 

Als Jonas den „Goitzsche Front“ Sticker - eine Deutschrock Band, die dem rechten Rand zugeordnet wird - auf der Laterne überklebt, rollt ein grauer VW die Schotterstraße hinunter. Ruckelnd bleibt das Auto vor ihm stehen. Drei Männer, zwei mit rasiertem Schädel, blicken durch das Fenster. Der Fahrer lässt den Motor laufen. „Das passiert hier ständig“ sagt Jonas: „Oft glotzen Leute auch aus den Fenstern“. Langsam schleicht der VW bis vor an die Kreuzung, bleibt noch einmal stehen. Köpfe drehen sich. Dann biegt das Auto um die Ecke.

 

Seit über einem Jahr kämpft Jonas in seiner Heimatstadt Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt für das Klima – und damit im Alleingang gegen die Politik: Die Stadt gibt kaum Geld für ein ausgefeiltes Klimaschutzkonzept aus, die AFD, zweitstärkste Partei in der 46.000 Einwohner Stadt, stürzen sich bei jeder Demo wie Aasgeier auf Jonas und seine wenigen Anhänger.

 

Im vergangenen Jahr sind 1,4 Millionen Deutsche für das Klima auf die Straße gegangen – vor allem in Metropolstädten, wie Berlin und Hamburg. Auch in größeren Städten im Osten finden Demos statt. Doch viele Jugendliche aus der ostdeutschen Provinz scheinen sich wenig für das Thema zu interessieren. Jonas findet kaum Unterstützung. Vor allem aber setzt er sich jedes Mal aufs Neue dem Hass aus, der ihm von allen Seiten entgegenschlägt.

 

Viele der Bewohner und Gegendemonstrant_innen in Bitterfeld kennen seinen Namen, merken sich sein Gesicht. Vor allem in den kleinen Provinzen trauen sich viele Jugendliche nicht auf die Straße: Zu groß ist die Angst erkannt zu werden oder auf dem rechten Radar zu sein. Für Jonas, und viele andere Aktivist_innen im Osten, gehört der Hass zum Alltag. Er ist Normalität geworden.

 

„Ich find ja Dessau schon hässlich, aber Bitterfeld toppt alles“ sagt Alex[1], während er sein Fahrrad über die matschige Wiese schiebt. Um bei der Kundgebung im Bitterfelder Stadtpark "Grüne Lunge" dabei sein zu können, sind seine Freundin und er aus Dessau angefahren. Wenige Meter von ihm entfernt steht Jonas, eine Gitarre baumelt um seinen Oberkörper, und baut einen Notenständer auf.

 

Neben Alex, der gerade seine Ausbildung bei der deutschen Bahn macht, und seiner Freundin sind noch Marie aus Halle und Lea aus Wolfen angereist. „Mit Berlin sind wir nicht vergleichbar“ sagt Alex und alle lachen. Keiner von ihnen hat ein Plakat dabei. Keiner hat sich mit Glitzer im Gesicht bemalt oder trägt ein buntes Banner. Marie zieht sich ihre Kapuze tief ins Gesicht, ihre Ringelsocken spitzeln unter ihren dreckigen Vans hervor: „Du weißt nie, mit wem du hier sprichst“ sagt sie und nickt rüber zu einem Mann, der von einer Parkbank zu den fünf Aktivist_innen herüberschaut. Etwas verloren stehen die fünf Teenager auf dem fußballfeldgroßen Gelände. Mehr werden heute nicht kommen.

 

Am Donnerstagmorgen, einen Tag nach der Demonstration in der grünen Lunge, sind alle Rollatorenparkplätze im Café Schäfer belegt. Auf den Porzellantellern der Gäste türmen sich Makronentörtchen und Prasselkuchen. Jonas und Christian Hennicke trinken Kaffee an einem Tisch in der hintersten Ecke. Hennicke sitzt für die Grünen im Stadtrat in Bitterfeld. Als einer der Letzten. 2015 wurde die Scheibe des Grünen-Büros mit einem Gullideckel eingeworfen - seitdem trifft er sich mit Jonas an öffentlichen Orten. Seine Parteikollegen, erzählt Hennicke, seien alle in den Süden gezogen: Dort könne man mehr bewegen, als in der AfD Hochburg - und man hätte zumindest ein Parteibüro.

 

Wenn Hennicke vom Westen spricht, sagt er: „Die von drüben“. Seit 2019 engagiert er sich privat für die kleine Fridays For Future Community. Jonas unterstützt er seit Tag eins. „Das sticht schon heraus, wenn Leute aus Bitterfeld jung und begeistert sind“ sagt er. Nicht selten bekommt Hennicke vorgehalten, er mache das nur aus politischen Gründen.

 

Im September 2018 plante Jonas im Café Schäfer seine erste FFF Kundgebung. Zwanzig Leute erschienen zur Veranstaltung. Und binnen Minuten auch die AfD. „Schuften für Eure Dekadenz“ stand auf einem Plakat, das der AfD Abgeordnete Hannes Loth vor ihnen auf den Bordstein stellte. „Wir wurden angeglotzt und abfotografiert wie im Zoo“ erzählt Jonas und fährt sich durch seine blonden langen Haare: „Das war abartig“.

 

Es dauerte nicht lange, bis die Hetze auch die sozialen Medien erreichte: „Zu DDR Zeiten wären die in Torgau im Jugendknast“ schrieb ein Nutzer auf Facebook unter ein Foto von Jonas bei seiner FFF Veranstaltung. „Die hätten nicht so viel Müll labern sollen. Hier zeigt sich der wahre Charakter von Hennicke und seinen Vasallen“ und „Wir prügeln euch mit Büchern“ kommentierten ein paar andere.

 

Zur zweiten Demo, ein paar Wochen später, erscheint keiner mehr. Jonas steht alleine mit Gitarre und Plakat auf dem Robert-Schumann-Platz vor dem Stadtpark. Passanten spucken ihm vor die Füße, schütteln Köpfe, brüllen ihn an. Am Abend darauf findet Jonas Bilder von ihm in rechten Facebook Gruppen mit der Schlagzeile: „Kein Durchhaltevermögen von FFF in Bitterfeld“. 

 

Vor dem Café „Rainbow“ steht eine menschengroße Eistüte aus Plastik. Ihre Kugeln: schwarz-rot-gold. Leerstehende Geschäfte und Seniorenheime säumen die Gehwege in der Innenstadt. Eine Ziegelsteinwand ruft mit schwarzer Schrift Passanten dazu auf: „Weg von der Glotze. Rein in den Widerstand! Widerstand.info“. Wer die Website googelt, findet Gesichtsmasken und Sturmhauben in Reichskriegsmotiven.

 

Am Stadtrand von Bitterfeld sprießen Schrebergärten wie Pilze aus dem Boden. Unter einem Vordach spielen Männer in Tarnjacken Karten, über ihren Köpfen flattert eine gehisste Deutschlandflagge. Vertrocknete Topfpflanzen hängen von den Balkonen eines alten DDR Wohnblocks. Wie grüner Spor bedeckt ein Efeuteppich die poröse Hauswand.

 

17 Kilometer schiebt Jonas sein Fahrrad heute durch Bitterfeld-Wolfen, um der Reporterin seine Heimatstadt zu zeigen. Erst im Vorjahr brach er seine Ausbildung zum Bäcker ab, erzählt er. Der Sexismus am Arbeitsplatz wäre unerträglich gewesen: Die frauenfeindlichen Sprüche seiner Kollegen, die Kommentare zu seinen langen Haaren, das Gelächter, weil Jonas im Alltag gendert. Was er in der Zukunft machen möchte, weiß er noch nicht. Fotograf wäre sein Traum. Und in eine große Stadt ziehen, vielleicht nach Halle. Hauptsache ein Ort, der offen ist.

 

Doch Jonas fehlt das Geld. „Es ist verdammt schwierig hier einen Job zu finden. Entweder man wird Verkäufer oder geht in die Chemie“ sagt er und tritt gegen seinen Fahrradreifen. Dann biegt er ab in eine Seitenstraße: „Schwarzer Weg“ nenne man die Gasse neben den Gütergleisen. Früher hätte er diese Straße nie nach Hause laufen dürfen. Seine Mutter verbot es ihm: In der dunklen Gasse hingen nur Nazis und Obdachlose ab.

 

Parallel zum schwarzen Weg erstreckt sich ein Teil des „Solar Valleys“ – eine Photovoltaik Plantage, die seit gut zehn Jahren stillsteht. Der einst aufstrebende Solarstandort wurde von der asiatischen Konkurrenz vom Markt gedrängt: Tausende Bitterfelder verloren ihre Arbeit. „In der DDR war Bitterfeld mal eine Vorzeigestadt“, sagt Jonas: „Heute ist hier nichts mehr wert. Die Menschen sind total frustriert“.

 

Seit über 100 Jahren ist Bitterfeld-Wolfen Chemiegebiet, produziert Kopfschmerztabletten und Glasfaserkabel, Kohle und Ton für ganz Europa. Der Chemiepark bietet über 11.000 Menschen Arbeit. Doch noch immer regiert hier die Armut: Jeder fünfte ist ohne Job, viele merken nichts von dem wirtschaftlichen Aufschwung, der ihnen versprochen wurde.

 

Nicht nur die konstante Arbeitslosigkeit setzt der Stadt zu: 2015 stand Bitterfeld vor allem als negativer Leuchtturm rechter Gewalt in den Schlagzeilen. Zuletzt schmissen Rechtsradikale einen Molotowcocktail auf einen Wohnwagen der linken Wohnsiedlung AKW. Seitdem haben die Gewalttaten zwar abgenommen, der Hass sei aber keinesfalls aus Bitterfeld verschwunden, so Steffen Andersch, Mitarbeiter der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Die Gewalt habe sich in größere, umliegende Städte verlagert, wie Dessau-Roßlau und Halle.

 

Landesweit sind die AfD Strukturen in Bitterfeld-Wolfen am stärksten. Klima spiele bei der AfD und im Rechtspopulismus bisher eine untergeordnete Rolle. Doch das wird sich schlagartig ändern, sobald die Parteien stärker in die Klimadebatte einsteigen müssen: „Kleine Gruppen und einzelne Personen, die sich für das Klima und die Demokratie stark machen, werden hier im Osten bedroht. Im Internet, aber auch von einzelnen Neonazis“ sagt Andersch. Seine Sorgen sind nicht unbegründet: Was passiert mit den Jugendlichen, die weiterhin für FFF auf die Straße gehen?

 

„Sich für das Klima einsetzen hat hier eine andere Bedeutung als im Westen“ sagt Hennicke. Hier zu demonstrieren, bedeutet mutig sein. Für das kommende Jahr hat sich Jonas viel vorgenommen. Wegen Corona sind alle Demos und die Woche gegen Rassismus abgesagt. Jonas ganze Hoffnung steckt in der anstehenden Landtagswahl. Er hofft auf Veränderung. Auf ein Bitterfeld, das es einem schwer macht zu gehen.

 

 



[1] Namen der Minderjährigen anonymisiert