Es gibt Typen, die gibt es eigentlich nicht, die gibt es eigentlich nur in Romanen, und wenn nicht, sollte man schnell einen Roman über sie schrieben. Typen wie Gruber gibt es, zu tausend Prozent. Wenn ihr gewarnt sein wollt, lest unbedingt „Gruber geht“ von Doris Knecht? Mal sehen, wohin…
(Bettzeug raschelt) Irgendwas stimmt nicht. Gruber weiß nur noch nicht was. Es ist zuviel auf einmal. Am Telefon nervt seine Mutter, in seinem Kopf randaliert ein Tier. Und ohne Rücksicht auf ihn, hauen Mutter und Tier immer wieder drauf…
„Wo bist Du? Wie geht es dir? Hast du den Anwalt angerufen? Und denk an deine Schwester.“
Gruber fühlt sich ungesund und außerstande, etwas zu tun, was nicht
mit Liegen und Leiden zu tun hat. Sein eines Auge scheint über Nacht
angeschwollen zu sein. Seine Lippe auch.
Damit er in sich gehen und erkunden kann, wie es dazu kommen konnte, und auch, damit er endlich aus dem Bett steigen, duschen und eine Zigarette rauchen kann, schluckt er zuerst ein Schmerzmittel gegen das Tier in seinem Kopf und versucht dann mit einer Lüge das Nerven seiner Mutter abzustellen.
Natürlich glaubt sie ihm nicht, dass er schon im Taxi sitzt, unterwegs zu einem „voll wichtigen Termin“. Tatsächlich müsste er aber bereits im Taxi sitzen, unterwegs zu einem „voll wichtigen Termin“, aber Gruber beschleicht das sichere Gefühl, dass die Ursache für seinen desolaten Zustand auch die Ursache dafür sein könnte, dass der „voll wichtige Termin“ heute nicht mehr stattfinden wird.
Oder
anders: dass er ohne ihn stattfinden wird.
„Du klingst nicht gut. Fliegst du heute…“
Als
Gruber sieht, dass er das Hemd vom Vorabend noch trägt, und dass es
nicht mehr seine Originalfarbe hat, ein für sein Verständnis
„zweifelsfrei unschwules Flieder“, dämmert es ihm langsam. Er
war von Wien nach Zürich geflogen, um Geschäftspartner zu treffen.
Das Treffen endete in einem Eklat, weil er sich genötigt sah, die
Schweizer Kollegen zu beleidigen, womöglich als Wichsköpfe.
Vielleicht schlimmer.
Mit großer Wahrscheinlichkeit schlimmer.
„Gruber geht“ heißt das Romandebüt von Doris Knecht, mit dem
die österreichische Autorin 2011 für den Deutschen Buchpreis
nominiert war. Darin pöbelt sich ein gewisser Gruber im Maßanzug
durch’s Leben. Frauen, mit denen er was hat, nennen ihn John, seine
Schwester nennt ihn Johnny, seine Mutter Johannes.
Und Johannes Gruber ist das lebende Klischee von Mann: er übernimmt
immer die Rechnung, pflegt sein Haar mit Präzision, er hasst
schlechten Service, kocht nie, trinkt viel, und liest nur den
Wirtschaftsteil, den Rest der Tageszeitung schmeißt Gruber weg, oder
verschenkt ihn an hübsche Frauen im Flugzeug, wenn es „der Sache“
dient.
Wenn Gruber zu einer Party kommt, dann gern zu spät, wenn es der Coolness dient, auch mal mit mit einem gemieteten Fahrrad, am liebsten aber mit seinem Porsche. Auch zum 70sten seiner Mutter, in ein Haus in Italien, kommt er viel zu spät und viel zu dramatisch mit dem Porsche, mit Designertasche und Schal, Küsschen hier, Schulterklopfen da, tritratrullala, um innerhalb weniger Stunden das Familienidyll zu zerstören, weil Idyll was für Luschen ist, Selbstbetrug, warum das keinem klar ist, außer ihm?! Da zwitschert er sich sicherheitshalber ein paar Flachen Wein rein, um das spießige Leben seiner Schwester und ihres Gatten nebst der drei Kinderlein zu ertragen und mit verächtlichen Worten runterzumachen.
Gruber kann das. Runtermachen. Denn: Gruber können alle mal. Auch die Ärzte, zu denen er nur im äußersten Notfall geht. Ein Grund dafür, warum er den Brief, den er vor ein paar Wochen von einem der Ärzte erhalten hat, noch immer ungeöffnet bei sich trägt. Ganz zerknittert ist der schon.
Bis
das da in Zürich passiert, nach dem Essen mit den Wichsköpfen, in
einer Bar, Gruber denkt nicht gern daran. Völlig zerschlagen
schleift er sich irgendwann in ein Café, er hätte gern einen Kaffee
Latte, aber das ist was für Mädchen. Und da sitzt sie. Eine Frau
mit Haar wie Heu, mit einem schiefen Grinsen auf den breiten roten
Lippen, und sie gibt ihm ihre Zeitung. Sarah sagt sie, Sarah Vogel.
Und sie grinst. Keine drei Stunden später liegen Sarah und Gruber in
Grubers Hotelbett, regelrecht kaputtgebumst, sie macht sich eine
Zigarette an, er schenkt ihr einen Wein ein, das blaue Auge stört
sie nicht, alles ist perfekt, und so, wie es noch mit keiner war,
denkt Gruber. Und dann sieht sie den Briefumschlag auf dem
Nachtschrank liegen, mit einem Weinglasring drauf, von ihr, was ihr
leidtut. Und weil Gruber so komisch guckt, und irgendwie nicht
rausrückt mit der Sprache, macht sie den Brief auf. Sie liest. Und
raucht. Und trinkt. Und dann guckt sie ihn an, wie er da so nackt
neben ihr liegt und sagt: Da steht, du hast wahrscheinlich Krebs.
Nur
Luschen haben Krebs, denkt Gruber und schweigt.
Dass sich ein Krebs und eine große Liebe, die Sarah eindeutig ist, nicht weg-schweigen lassen, wird auch ein Gruber bald begreifen.
„Gruber geht“ von Doris Knecht, erschienen bei Rowohlt Berlin, 238 Seiten, gebundene Ausgabe: 16,95 EUR, Taschenbuch & eBook: 8,99 EUR, VÖ: März 2011
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