
Die Anrainerin Helena Karger und der Naturschützer Roman Türk kämpfen für die Bewahrung der Ostbucht des Wallersees.
Freie Ufer sind in Österreich nur noch ein seltenes Gut. Wenn neu am Wasser gebaut werden soll, wird deshalb heftig gestritten. So wie aktuell am Salzburger Wallersee.
(erschienen am 1.7.2022)
Wenn Helena Karger um das alte Strandcafé in der Ostbucht des Wallersees spaziert, streift sie durch eine Idylle. Da sind Seehäuser, ein kleiner Hafen und weiter hinten ein Campingplatz und ein Waldkindergarten. Der Waldkindergarten heißt nicht nur so, nein, er liegt wirklich zwischen Buchen und Tannen, und im Sommer fällt das Sonnenlicht weich durch die Bäume. "Unser Bürgermeister will dieses Paradies kaputtmachen", sagt Karger, eine zierliche Frau in einer pinkfarbenen Strickweste.
Sie meint damit Baupläne für eine Hotelanlage, die Bürgermeister Adolf Rieger (ÖVP) in der 6.000-Einwohner-Gemeinde Neumarkt am Wallersee heimlich vorangetrieben habe. Sogar eine Aufschüttung im See und eine Halbierung des öffentlichen Strandbads sei von manchen Herren im Stadtrat geplant gewesen, erzählt Karger, die selbst in Neumarkt am östlichen Ufer des Sees wohnt. Gemeinsam mit anderen Anrainern habe sie 660 Unterschriften gesammelt, um Schlimmstes zu verhindern.
Was könnte in der noch ruhigen Ostbucht des Salzburger Wallersees passieren? Ein Hotel mit bis zu 249 Betten soll kommen, verteilt auf zahlreiche Gebäude, so vermuten die Projektgegner. Im September 2020 stellte Bürgermeister Rieger im nicht öffentlichen Teil einer Stadtratssitzung seine Hotelpläne vor, ein Jahr später berichtete der ÖVP-Politiker in einem Brief an die Bürger von Neumarkt von einem ernsthaft interessierten Hotelprojektinvestor und -betreiber. In einer Bürgerversammlung im vergangenen Mai musste er aber viel Kritik einstecken, und die Gemeinde-SPÖ fordert eine Bürgerbefragung.
Am Telefon sagt Bürgermeister Rieger nun zu DATUM: "Man muss klarstellen: Es gibt bisher kein Hotelprojekt. Ein solches müsste erst einmal vorliegen, bevor man eine Befragung durchführen kann." Er wolle "künftigen Generationen nicht mit einer voreiligen Abstimmung die Zukunft verbauen". Der Bürgermeister will offenbar statt der Zukunft lieber das Ufer verbauen.
Die Wallersee-Debatte ist typisch für die Konflikte um Österreichs Seeufer. In vielen Gemeinden sind die schönsten Strände bereits in privatem Besitz und nicht mehr öffentlich zugänglich. Häufig erhoffen sich die Gemeinden durch Verkäufe und Verpachtungen einen touristischen Impuls, auch Bürgermeister Rieger verspricht, "die in die Jahre gekommene Wallersee-Ostbucht für alle aufzuwerten".
Die Investoren bauen dann gerne groß, um die bestmögliche Rendite zu erzielen. An heimischen Seen wird oft erbittert um die letzten freien Ufer gestritten - Investoren gegen Bürgerinitiativen, Bauherren gegen Umweltschützer.
Die Architektin und Bausachverständige Caroline Rodlauer erkennt im Treiben von Projektentwicklern ein Muster. "Sie wissen genau, was sie den Ortskaisern erzählen müssen, und recherchieren vorher: Was braucht diese eine Gemeinde, wie tickt der Bürgermeister, was fehlt diesem Ort?", erzählt Rodlauer am Telefon. Für die meisten Bürgermeister klinge es verlockend, wenn ein Investor sowohl Hotelbetten als auch Aufträge für heimische Baufirmen und touristische Arbeitsplätze verspricht. Generell fragt sich Rodlauer, die auch Sachverständige in Ortsbildfragen ist, "warum unbedarfte Bürgermeister noch heute glauben, ein Ort könne nur durch Bautätigkeit weiterentwickelt werden".
Wie weit die Privatisierung der heimischen Seen fortgeschritten ist, hat die Rechercheplattform Addendum im Jahr 2019 an ein paar bekannten Beispielen nachgewiesen. Der Wörthersee in Kärnten sei demnach zu 82 Prozent in privater Hand, nur zu neun Prozent öffentlich zugänglich. (Der Rest entfalle auf unzugängliches Naturgebiet.) Der Attersee in Oberösterreich habe zu 76 Prozent private Zugänge, nur 13 Prozent des Ufers bestünden aus öffentlichen Promenaden und Badestellen. Ins Gerede kam der Attersee erst im Mai wieder, als Aktivisten eine Villa im Besitz eines reichen Russen, das Waldschlössl in Burgau, kurz besetzten.
An Österreichs Ufern geht es heute buchstäblich um die letzten Meter. Gebaut wird daher auch in der zweiten und der dritten Reihe sowie an unbekannteren Seen. Wohnen am Wasser steht ganz oben auf der Liste, sagte ein Immobilienentwickler vor zwei Jahren in der ORF-Sendung "Am Schauplatz" und sprach analog zu anderen Liegenschaften von "A-Seen" und "B-Seen". In dieser Logik dient ein See nur als Kulisse für ein gutes Geschäft.
Für Helena Karger ist der Wallersee hingegen mit Gefühlen und Erinnerungen verbunden. "Mir geht's nicht um meinen Garten, denn mir kann ja egal sein, ob nebenan Badegäste aus Neumarkt oder internationale Hotelgäste liegen", sagt die Pensionistin. "Ich will zwei Dinge - die Natur bewahren und Gerechtigkeit für die Camper. Die sollen bleiben dürfen."
Sollte eine Hotel-oder Apartmentanlage mit bis zu 249 Betten errichtet werden, würden einige Bauwerke aus der Bucht verschwinden müssen. Der Waldkindergarten würde umgesiedelt werden, der Campingplatz und das alte Strandcafé samt Minigolfplatz würden wohl geschleift werden. Viele Dauercamper müssten ihre bescheidene Sommerresidenz verlegen. Das öffentliche Strandbad werde in seiner Größe jedenfalls erhalten bleiben, verspricht Bürgermeister Adolf Rieger.
Hannes Greifeneder, wie Frau Karger in der Ostbucht zu Hause, kann das Ansinnen dennoch nicht verstehen. "249 Betten, ein solcher Tanker ist allein im Interesse der Investoren und nicht im Interesse der Neumarkter", sagt der Pensionist. Er würde sich sanfte Eingriffe an seinem See wünschen - eine Renovierung des Campingplatzes und des Strandcafés. Und vielleicht auch ein Hotel, aber ein viel kleineres .
Die Landesumweltanwaltschaft versetzte den Hotelträumen des Bürgermeisters schon einen Dämpfer. Ein Beherbergungsgroßbetrieb und die Inanspruchnahme von Wald sind nicht vereinbar mit dem Landschaftsschutzgebiet, heißt es in einem Brief vom 30. Juni 2021. Auch die Weltlage mit Pandemie und Ukrainekrieg dürfte das Bauvorhaben nicht beschleunigen. "Ob ich's noch erlebe, weiß ich nicht", sagt der 67-jährige Herr Greifeneder. Aber der Bürgermeister will heute die Voraussetzungen schaffen, dass noch in 20 Jahren ein Hotel gebaut werden kann. Greifeneder meint das neue Räumliche Entwicklungskonzept (REK), das die Gemeinde bald vorlegen will.
Manchmal wirkt der Protest von Bürgern durchaus, wie ein Beispiel am Millstätter See zeigt. In der Gemeinde Millstatt wollte eine Hoteliersfamilie im Vorjahr ein Seegrundstück kaufen, um ihren Sauna-und Wellnessbereich zu vergrößern. Eine Bürgerinitiative erinnerte den Ortschef Alexander Thoma (ÖVP) an einen Gemeinderatsbeschluss von 2014, wonach keine kommunalen Seegrundstücke mehr verkauft werden dürfen. Um den Druck zu erhöhen, bot die Bürgerinitiative selbst an, das nur 242 Quadratmeter große Grundstück zu kaufen. Das Bauprojekt wurde abgewürgt. Eine andere Initiative gibt es in Vorarlberg: Dort kauft der Verein Bodenfreiheit mithilfe kleiner Mitgliedsbeiträge prophylaktisch verbliebenes Grünland auf.
Bauexpertin Rodlauer beobachtet auch, dass aus vermeintlichen Hotels und Apartmenthäusern häufig Zweitwohnsitze oder reine Kapitalanlagen werden. Sie meint das Modell "Buy to let" ("Kaufe, um zu vermieten"), das es bereits in Zell am See, am Grundlsee und in zahlreichen Skigemeinden gibt: Eine Immobiliengesellschaft reicht zunächst einen Hotelbetrieb ein, filetiert das Gebäude aber in Apartments, die einzeln verkauft werden. Oft bleiben dann an 350 Tagen im Jahr die Zimmer dunkel, aber der Käufer hat eine Wertanlage. Dass das laut Bürgermeister Rieger für Neumarkt wichtige Hotelprojekt später zu Zweitwohnsitzen umgewandelt wird, fürchtet auch Helena Karger.
Naturbelassen ist die Ostbucht des Wallersees ohnehin nicht mehr. In den 1970er-Jahren ließ der damalige ÖVP-Bürgermeister Hans Rosenlechner zwischen den beiden Strandbädern eine Verbindung aufschütten. Aus zwei kleinen Seezugängen wurde ein großer - bis heute das öffentliche Strandbad von Neumarkt. Anrainer Greifeneder sagt nüchtern: "Das war zumindest noch ein politischer Alleingang für die kleinen Leute und nicht für die Investoren."