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Russland: Ein tränenreicher Abschied von Instagram − er dürfte Folgen haben

mooremedia / Shutterstock

Angekommen in der Realität Russland: Ein tränenreicher Abschied von Instagram − er dürfte Folgen haben

Es ist passiert. Am Sonntag gegen Mitternacht ließ sich Instagram in Russland nicht mehr aktualisieren. Nach Facebook und Twitter folgte damit das dritte Online-Netzwerk, das für Nutzer in Russland nicht mehr zugänglich ist. Vor dem Hintergrund humanitärer Notstände, Kriegsverbrechen und Wirtschaftssanktionen scheint die Nachricht vom Ende des russischen Instagram in dieser Zeit jedoch wie eine unwichtige Banalität − sie ist es nicht.

Instagram: Kaum etwas ist in Russland beliebter

Das Ende von Instagram in Russland kann man nicht mit dem von Facebook und Twitter vergleichen. Das zeigen allein die Nutzer-Zahlen. Dem Fachportal "eMarketer" zufolge nutzten 2021 nur etwa 7,5 Millionen Russen Facebook, was auch daran liegt, dass es mit V-Kontakt ein russisches Äquivalent auf dem Markt gibt. Instagram zählt in Russland 51 Millionen Nutzer − viele von ihnen gehören zur jungen und urbanen Elite des Landes.

Wie Klischee-besessen die Berichterstattung zu dem russischen Instagram-Verbot ist, zeigt sich bei einem Blick in die britische "Daily Mail". Hier geht es um eine Influencerin, die sich in einem Video von Tränen überströmt von der Plattform verabschiedet: "Für mich ist Instagram einfach alles, es ist meine Seele. Es ist das, mit dem ich aufwache, einschlafe und verdammte fünf Jahre meines Lebens verbracht habe." Was viele für eine lustige Übertreibung halten, ist natürlich keine.

"T-Online" kommentiert die Tränen der Influencerin beispielsweise mit den Worten, sie weine um ihre "heile Insta-Welt" und bezeichnet den Abschied russischer Influencerinnen als einen "kurzen Moment der Wahrhaftigkeit in der so weichgezeichneten Instagram-Realität". Sich darüber lustig zu machen, ist an dieser Stelle leicht. Am Ende verkennt man mit solcher ironischer Berichterstattung von oben herab jedoch die Realität − das Verbot von Instagram bringt gesellschaftlich betrachtet eine Menge politischer Sprengkraft.

Keine Parallelwelt, sondern Alltag

Instagram ist lange keine weich gezeichnete heile Parallelwelt mehr, in die sich verunsicherte Teenager zurückziehen, wenn sie allein in ihrem Zimmer liegen. Wer so etwas schreibt, der hat ein paar Jahre digitale Entwicklung verpasst. Instagram ist für viele Menschen weltweit (und vor allem in Russland) aus dem realen Alltag schon lange nicht mehr wegzudenken. Das soziale Netzwerk ist längst kein Ort reiner Selbstinszenierung mehr, sondern hat sich im Vergleich zu Facebook über die vergangenen Jahre weiterentwickelt. Für viele junge User ist es Freundschaftsnetzwerk, Jobbörse, Geldquelle, Tagebuch, Chat-Forum, Einkaufsladen oder News-Portal zugleich.

Ein Grund für das Verbot des Netzwerkes dürfte in der vergangenen Woche die Nachricht des Mutterkonzerns Meta gewesen sein, dass Instagram und Facebook wegen Putins Krieg in der Ukraine Einträge nicht mehr automatisch lösche, wenn es um das russische Militär oder russische Politiker ginge. Die russische Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb völlig Ironie-frei bereits wegen "Aufrufs zum Mord".

Ist das Verbot von Instagram ein Eigentor für Putin?

Der vermeintlich logische Schritt in der russischen Sanktionspolitik könnte jedoch langfristig mehr Schaden im eigenen Land als beim amerikanischen Mutterkonzern entfalten. Denn das Instagram-Verbot trifft mit der jungen urbanen Elite nicht nur die Zukunft des Landes, sondern zugleich tausende einflussreicher Unternehmen, Start-Ups, Influencer und Stars. Für sie alle war Instagram über Jahre die größte Einnahmequelle und Promotion-Maschine. Auf einem neuen ausschließlich russischen Netzwerk eine vergleichbare Reichweite aufzubauen, dürfte für viele einflussreiche Menschen in Russland Jahre dauern.

Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat die Plattform dennoch verbannt. Sie will Informationen aus dem Westen unterdrücken und nimmt die Auswirkungen in Kauf. Mit der Panik, die kurz nach der Verkündung des Verbotes im russischen Teil des globalen Netzwerkes ausbrach, dürfte die Behörde demnach gerechnet haben. Die Modebloggerin Karina Nigai, der fast drei Millionen Menschen auf Instagram folgen, postete ein Bild und schrieb darunter: "Ich bin immer noch im Stadium der Wut und das Stadium der Akzeptanz ist noch weit entfernt".

Die Musikerin Anna Ivanova, der 4,4 Millionen Menschen folgen, verabschiedete sich emotional: "Millionen Storys, Tausende Posts, Tausende glückliche Momente, die wir geteilt haben − all diese Dinge haben uns zu einer großen Insta-Familie gemacht. Ich bin mir sicher, dass alles besser wird und wir noch mehr werden, aber vorerst wünsche ich uns allen nur Frieden und Kraft, all die Schwierigkeiten zu überstehen".

Das vermeintlich erwartbare russische Instagram-Verbot dürfte sich für viele junge Russen wie eine gewaltige Zäsur anfühlen. Denn was es heißt, einen Tag nicht auf Instagram zu sein, weiß nur der, der zu den Millionen abhängigen Nutzern dieses Netzwerks gehört. Mit dem Verbot von Instagram könnte Putin am Ende gerade diejenigen im Kern ihres Alltags getroffen haben, die nie gegen ihn aufbegehrt hätten. Medienberichten zufolge zeichnet sich bereits seit Kriegsbeginn ab, dass es vor allem die junge Elite aus den russischen Großstädten ist, die Russland derzeit Richtung Westen verlässt. Mit dem tränenreichen Verbot von Instagram hat Putin diese Schicht erneut so grundlegend in ihrem Alltag beschnitten, dass die Zahl der Flüchtenden unter ihnen weiter steigen dürfte. Am Ende könnte Russlands Zukunft in eine Himmelsrichtung abwandern, in der sie ihren Insta-Feed wieder aktualisieren kann.

Quellen: " Daily Mail", "AFP", "T-Online"

Dieser Artikel erschien Ursprünglich bei Stern.de

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