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HAM.LIT: Betrunkene Frauen treffen auf Dirk Nowitzki

Auf der diesjährigen HAM.LIT präsentierten sich die neuen Gesichter der deutschsprachigen Autoren- und Musikszene.

Hamburg.  Kalt und abweisend ragt der Bunker an der Feldstraße in den dunklen Himmel. Im Innern der dicken Betonmauern spucken am Donnerstagabend die Fahrstühle Menschengruppen aus. Zum elften Mal findet hier die „Lange Nacht junger Literatur und Musik“ – kurz HAM.LIT – statt. Wer die aufsteigenden Sterne am deutschsprachigen Literaturhimmel sehen will, ist hier richtig.

Das Treppenhaus leert sich. Die Besucher und Besucherinnen drängen in das Innere des Uebel&Gefährlich. Hier ist es warm, die Sitzreihen sind voll besetzt, gespannt wartende Literaturfans sitzen auch in den Gängen, stehen an den Wänden – die Veranstaltung ist wie in jedem Jahr ausverkauft.

In einem der Bücher geht es um Dirk Nowitzki

Der erste Literat des Abends betritt die Bühne. Thomas Pletzinger wirft einen Blick ins Publikum, beginnt zu lesen. Sein neues Buch „The Great Nowitzki“ ist eine Biografie des berühmtesten deutschen Basketballers. Dafür hat Pletzinger Dirk Nowitzki sieben Jahre lang begleitet. Voller Nostalgie blickt das erste Kapitel zurück auf diese Jahre. Eine gemeinsame Trainingseinheit mit Nowitzki ist da nur eine Erinnerung von vielen.

Schnell wird klar: Es ist nicht nur die Geschichte eines Superstars, sondern auch die von Thomas Pletzinger selbst – und vor allem die einer echten Freundschaft. Im Buch erzählt der Autor auch davon, dass seine Kinder während der sieben langen Recherche-Jahre geboren wurden. Werden diese heute gefragt, was ihr Vater beruflich mache, so laute die Antwort: „Dirk Nowitzki“. Das Publikum lacht, Pletzinger grinst. Und liest weiter.


Im Ballsaal herrscht eine gemütliche, ungezwungene Stimmung: Die Kronleuchter an der Decke glimmen matt, in den rot und blau beleuchteten Sitzreihen sind Menschen jeder Altersgruppe zu sehen. Hier knarren die Stufen des Parketts, dort klirrt eine Bierflasche, die Tontechniker flüstern im Licht ihrer Mischpulte.

Es ist gerade die Club-Atmosphäre, die dieser Literatur-Veranstaltung so besonders macht, ihr so viel Leben einhaucht. 15 Literaten und drei Bands treten an diesem Abend auf. Unter ihnen Sebastian Stuertz, aktueller Träger des Hamburger Förderpreises für Literatur, Dana von Suffrin, über deren Romandebüt „Otto“ die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, es sei „ein kleines Wunder“, sowie die hoch gelobte Bremer Autorin Nora Bossong („Schutzzone“).

Nachdem Pletzinger unter großem Applaus die Bühne verlassen hat, strömen die Besucher die Treppe hinauf ins Terrace Hill. Dort sitzt die gebürtige Kurdin Karosh Taha, die heute im Ruhrgebiet lebt. „Ich bin etwas aufgeregt“ sagt die Autorin mit dem schüchternen Blick. Sie liest aus ihrem zweiten Roman „Im Bauch der Königin“, ein post-mi­grantischer Text und zugleich eine Coming-of-age-Geschichte unter schwierigen Bedingungen. 

Zwischendurch ist Zeit für musikalische Einlagen

Das vorgetragene Kapitel erzählt von einem Stadtviertel, in dem die junge Mutter Shahira mit ihrem Sohn Younes lebt. Ein Viertel mit Dönerbuden, Wettbüros, einer halbseitig gerissenen Schaukel auf dem Spielplatz, einer türkischen und einer deutschen Bäckerei. Und mit einem kleinen Schuhladen, der bald schließen wird, weil dort ein Schuh-Discounter einzieht. 

Vor allem aber gibt es dort diesen libanesischen Ladenbesitzer, der Shahira „Junge“ nennt – wegen ihrer kurzen Haare. In der Einfachheit der Beschreibung zeigt sich bei Taha die Komplexität nebeneinander existierender Lebenswelten.

Der in Hamburg lebende Artur Dziuk präsentiert im Anschluss seinen Debütroman „Das Ting“. Der humorvolle und detailverliebte Text handelt von der Suche nach neuen Wegen der Selbstoptimierung.

Leona Stahlmann ist die neue Literaturhoffnung Hamburgs

Eher uninteressiert an Selbstoptimierung erscheint Lisa Jeschke. Sie hat einen schmalen Lyrikband mit dem großartigen Titel „Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen“ mitgebracht. „Millionen Mal lieber in Köln begrapscht werden, als jemals einen Mann heiraten: Das ist mein Neujahrsbeschluss“, liest sie. Jeschkes Auftritt ist souverän, ihre Lyrik begeistert die Zuhörenden. Die Gedichte handeln von Feministischem, Queerem, Antifaschistischem. Es sind Texte, die sich gesellschaftlich klar positionieren.

Nach ihrem Auftritt ist erst mal Zeit für eine Lesepause: Mascha Qrella singt im Ballsaal des Uebel & Gefährlich Vertonungen von Texten des unvergessenen Thomas Brasch (1945–2001). Anschließend geht es ins Turmzimmer, wo Leona Stahlmann, die neue Literaturhoffnung Hamburgs, ihren Debütroman „Der Defekt“ präsentiert.

Darin erzählt sie von einer jungen Frau, die in familiärer Enge im Schwarzwald aufwächst. Doch dann tritt ein Mann in ihr Leben … Stahlmann verhandelt das Thema Liebe anders als gewohnt. Sie wolle „ein neues Zärtlichkeitsnarrativ“ schaffen, sagt sie. Und tatsächlich findet sie in ihrem Text einen bislang ungehörten Ton. Ohne Frage ist ihr Auftritt einer der Höhepunkte dieses kleinen und sehr feinen Literaturfestivals, das erst gegen Mitternacht endet.

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