Luise Binder

Freie Journalistin, Leipzig

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Artikel

Wir sind Franz - Welttierschutztag

Er nannte den Wolf seinen Bruder, predigte den Vögeln das Evangelium und segnete Tiere: Franz von Assisi ist der Tierfreund im Heiligenlexikon. Kein Wunder, dass der Welttierschutztag auf seinen Gedenktag fällt. Auch 900 Jahre nach seinem Wirken gibt es Menschen, die eine besondere Beziehung zu Tieren haben.


Die Herbstsonne scheint durch das geöffnete Autofenster. Ihr Licht berührt Leonhard Kindermanns Gesicht und Winnis Gefieder. Der Wüstenbussard krallt seine gelben Füße leicht in den Lederhandschuh. Kindermann hält den Vogel auf der linken Hand, die rechte umfasst das Lenkrad. Während sie so durch die Straßen im Leipziger Westen kurven, bewegen beide immer wieder ruckartig ihre Köpfe hin und her. Angespannt, aber hoch konzentriert. „Mal sehen, ist da etwas“, fragt Kindermann. Er spricht mehr zu dem Vogel, als zu sich selbst. Fehlalarm. „Das sind nur Tauben.“ Der Falkner und sein Greifvogel sind auf Krähenjagd.


Seit etwa 4 000 Jahren jagen Menschen mit Hilfe von Greifvögeln. Kindermann nimmt die Beute am Ende des Tages mit nach Hause an den Esstisch. Dennoch: Es geht ihm nicht primär um die Beschaffung von Lebensmitteln. Ihn fasziniert der Kontrast, den die Tiere ausstrahlen. „Einerseits stehen sie für vollkommene Schönheit und andererseits sind sie ein Sinnbild der rohen Naturgewalt“, sagt der 29-Jährige.


„Sie sind darauf aus zu töten.“


Am Wegesrand sitzt eine Krähe im Gras, dicht am Fußgängerweg. „Da ist eine“, ruft Kindermann. Plötzlich geht alles ganz schnell: Der Falkner lässt den Lederriemen los, mit dem er Winni bei sich hält. Der Bussard stürzt aus dem Fenster. Steuert direkt auf die Krähe zu. Diese schreckt nach oben. Winni greift sie in der Luft und stürzt mit ihr zu Boden. „Ja“, sagt Kindermann und parkt sein Auto ruckartig am Straßenrand. Er springt hinaus und eilt seinem gefiederten Partner zur Hilfe.


Leonhard Kindermann ist Gemeindereferent in Leipzig-Engelsdorf. Die Falknerei ist sein Hobby, wenn auch ein aufwendiges. Denn die Tiere brauchen das tägliche Training. „Wenn ich wenig Zeit habe, dann lasse ich sie mehrmals von meinem Arm nach unten hüpfen und wieder nach oben“, sagt der zweifache Familienvater. „Das kann man mit Liegestützen vergleichen.“ Das Training zahlt sich aus. Bei Flugvorführungen begeistert Wüstenbussard Winni seine Zuschauer. „Diese Vögel sind für mich ein Medium, mit dem ich die Menschen der Schöpfung wieder etwas näher bringen kann“, sagt Kindermann.


Dass sich viele Menschen von Tieren entfernt haben, erlebt auch Ehepaar Weißbrich aus Podelwitz bei Leipzig. In den letzten zehn Jahren haben sie öfter erlebt, dass Haustiere ihren Besitzern lästig werden. „Wir hatten insgesamt schon sechs Katzen“, sagt Beate Weißbrich. „Die haben alle uns gefunden.“ Die Katzen sind dem Ehepaar zugelaufen. Ein Tier bringt Arbeit und Verantwortung mit sich, wissen sie. Häufig wird das Schulkindern und Eltern zu viel.


Einmal übernahmen die Weißbrichs die Pflege von vier Katzen zugleich. Drei von ihnen waren sterbenskrank. Einen der Kater mussten sie schließlich künstlich mit einer Spritze ernähren. Elvis hieß er. Einen kleinen Überlebenskünstler nennt ihn das Ehepaar heute. „Das ist schon traurig, was wir so alles miterlebt haben“, sagt Beate Weißbrich. In ihrer Hand hält sie einen dünnen schwarzen Bilderrahmen. Auf den Fotos tummeln sich die vier Katzen. Ihre Felle sind schwarz-weiß gefleckt, nur eine ist getiegert. Trotz der Ähnlichkeit der schwarz-weißen Tiere erkennen die beiden Rentner ihre Schützlinge genau. „Das ist Muckel und der neben ihm ist Elvis“, sagt Beate Weißbrich. Die beiden seien unzertrennlich gewesen.


„Für die Tiere kann man auch mal beten“


Heute lebt das Ehepaar nur mit einem Kater zusammen. Der fuchsrot-getigerte Nino kam über ihren Zaun geflogen. Eine Nachbarin habe ihn auf der Straße gesehen. Dünn sei er gewesen und von Kampfkatzen umzingelt. Da habe sie ihn kurzerhand über den Zaun der Weißbrichs geworfen. In der Nachbarschaft weiß man: Die Weißbrichs kümmern sich um verwahrloste, besitzerlose Katzen. Nicht zuletzt, weil Beate Weißbrich in der Vergangenheit überall deutlich gemacht hat, was ihr die Tiere bedeuten. „Es wurde einmal auf eine der Katzen mit einem Luftgewehr geschossen“, sagt sie. Da habe sie an jeder Haustür geklingelt und gesagt: „Das sind doch unsere Familienmitglieder.“


Wo Nino herkommt, wissen die Weißbrichs nicht. „Wahrscheinlich ausgesetzt“, vermutet Manfred Weißbrich. Wem eine Katze zuläuft, kann sie nicht ohne Weiteres behalten. Beate Weißbrich holt ein weißes DIN A4-Papier hervor. „Kater zugelaufen“ steht ganz oben. Ein verpixeltes Handyfoto zeigt den Kater. „Acht Wochen lang hing dieser Aushang beim Ordnungsamt im Glaskasten“, sagt das Ehepaar. In der Zeit durften sie den verletzten Nino nicht beim Tierarzt behandeln lassen. Auf eigene Kosten haben sie es schließlich möglich gemacht.


Doch niemand meldete sich. Niemand vermisste den etwa einjährigen Kater. Also blieb er. Für die Weißbrichs gehört er nun fest zur Familie. Sie kennen ihr Tier: wo er schlafen möchte, wann er sich draußen herumtreibt und wann sie sich sorgen müssen. Sie wissen, dass er es nicht mag, wenn ihn jemand im Gesicht streichelt und dass er sich der Nachbarskatze unterlegen fühlt. Beate und Manfred Weißbrich achten Nino und alle anderen Tiere. „Und zwar nicht als Sachen, sondern als Mitgeschöpfe“, sagt die Rentnerin. Für sie als Christen sei das selbstverständlich. „Für die Tiere kann man auch mal beten“, sagt Beate Weißbrich.


Cosma war Straßenhündin in Rumänien

Das findet auch Hundebesitzerin Solvejg Langrzik. Sie würde ihre Hündin Cosma gerne von einem Priester segnen lassen. Tiere segnen – ist das nicht etwas albern? Nein, sagt Langrzik. Sie liebe ihre Hündin wie ein eigenes Kind. „Also warum sollte ich nicht den Schutz für sie haben wollen durch das, an das ich glaube“, sagt die 33-Jährige.
Freudig bellend rennt Cosma über die Wiese dem faustgroßen weißen Ball hinterher. „Der Ball ist ihr absolutes Lieblingsspielzeug“, sagt Langrzik. Werfen, holen, zurückbringen – eine typische Szene auf der Hundewiese. Kaum zu glauben, dass die etwa vier-jährige Hündin solche Spiele vor einem Jahr noch gar nicht kannte.
Cosma ist eine ehemalige Straßenhündin. Eine Tierschützerin habe sie in Rumänien gefunden. Scheinbar hat sie auf einem Feld in einem Rudel gelebt. Bei Menschen sind die Tiere in Rumänien nicht so beliebt. „Hunde haben dort überhaupt keinen Status“, sagt Langrzik. Wenn sie nicht als Wachhunde taugen, werden sie verjagt oder misshandelt.

Allein in der Stadt Bukarest gebe es aktuell 65 000 Straßenhunde, schätzt die Tierschutzorganisation Animal Souls. Die Organisation bemühe sich um Kastrationen der Hunde in Rumänien. Nur so könne man der Lage Herr werden. Zudem vermittelt sie jährlich bis zu 450 Hunde nach Deutschland. Letztes Jahr gehörte auch Cosma zu ihnen.

Bevor Solvejg Langrzik die Hündin zu sich nahm, besuchte sie sie regelmäßig bei der Pflegebesitzerin. „Sie war von Anfang an ein skeptischer Hund“, sagt Langrzik. Sie brauchte lange, sich an alles zu gewöhnen. Die erste Zeit habe sie ihre Decke in der Wohnung nicht verlassen. „Ich durfte sie auch nicht anfassen“, erinnert sich Langrzik. Beim Gassigehen kamen die beiden kaum weiter als zehn Meter. Schließlich sei die Leipzigerin einfach neben der streikenden Hündin stehen geblieben, habe sie ignoriert und gewartet. „Irgendwann hat es Klick gemacht und sie lief einfach los“, sagt sie.
Ein Jahr später läuft die Hündin mit dem dunklen Fell problemlos neben ihrer Besitzerin. Nichts erinnert mehr an die Strapazen, die hinter ihr liegen und die Schwierigkeiten, die beide zu meistern hatten. Obwohl: „Wir müssen mal tauschen“, sagt Langrzik. Hündin Cosma läuft nicht so gern auf der Straßenseite. Daran hat sie sich noch nicht ganz gewöhnt.

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