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Wishful thinking

Apps sollen Frauen vor sexueller Gewalt schützen. Doch können sie die Angst auf dem Nachhauseweg nehmen oder verschieben sie nur Verantwortung?

Es ist zwei Uhr nachts, ich laufe durch eine dunkle Straße. Rechts ein düsterer Park. Keine Häuser, keine Laternen. Am Parkeingang ein paar Männer. Sie rufen mir irgendwas hinterher. Ich senke den Kopf, laufe ein bisschen schneller, umklammere mein Handy. Mein Blick fixiert Google Maps.

Ich bin neu in Berlin und das erste Wochenende nachts unterwegs. Als ich meinen Freun­d:in­nen am nächsten Morgen von meinem Heimweg erzähle, sagen sie, ich sei verrückt. „Doch nicht da am Park entlang!" Ich fühle mich in meiner Angst der letzten Nacht bestätigt. Und frage mich: Wieso sagt Google Maps mir, was der schnellste Weg ist. Aber nicht, ob ich ihn als Frau auch alleine gehen sollte?

Über sexuelle Übergriffe auf Frauen wurde in den vergangenen Monaten endlich mal viel geredet. Als Anfang März die Britin Sarah Everard von einem Polizisten auf dem Heimweg entführt und umgebracht wird, gibt es Diskussionen in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag „Text me when you get home - schreib mir, wenn du zu Hause bist". Frauen berichten von ihren nächtlichen Heimwegen und Erfahrungen. Im Herbst meldeten außerdem Hunderte von Frauen in Großbritannien Übergriffe durch Spiking, also K.-o.-Tropfen in Drinks. Im Gedränge der Clubs soll es sogar Angriffe mit Spritzen gegeben haben. Frauen berichten von Einstichstellen. Die Ini­tiative „Night in" ruft Frauen und weiblich gelesene Personen in England daraufhin zum Boykott von Clubs und Bars auf.

Am Ende solcher Debatten wird die Verantwortung, nachts sicher nach Hause zu kommen, immer den Frauen zugeschoben. Lediglich neue vermeintliche Hilfsmittel werden ihnen an die Hand gegeben: Pfeffersprays, Alarmknöpfe für Schlüssel oder Schutz-Armbänder, die angeblich K.-o.-Tropfen im Drink nachweisen können. Und immer mehr Apps, die den Heimweg von Frauen sicherer machen sollen. Aber können sie wirklich helfen?

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