Wenn sie in Brasilien ist, wird sie besonders den "bacalhau" vermissen. Stockfisch ist in ganz Portugal eine Spezialität. Helena Alves, 29, will weg aus Portugal und in die brasilianische Stadt São Paulo auswandern - etwa 8000 Kilometer von ihrer Heimatstadt Porto entfernt. Helena arbeitet als Journalistin und hofft, in Südamerika die berufliche Chance zu finden, die Portugal ihr nicht bieten kann. Sie würde gern bleiben, sagt sie. "Aber so, wie es dem Land im Moment geht, ist das unmöglich."
Jung sein heißt in Portugal derzeit auch, mobil zu sein und im Ausland sein Glück zu versuchen. Etwa 52.000 Portugiesen haben nach Angaben der nationalen Statistikbehörde im vergangenen Jahr das Land verlassen, mehr als die Hälfte davon junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren. Andere Quellen gehen sogar von 150.000 Portugiesen aus, die 2011 das Land verlassen haben.
Im vergangenen Jahr wanderten laut Statistikbehörde noch mehr Menschen aus als im bisherigen Rekordjahr 2011. Zuletzt zog dabei rund ein Drittel ins außereuropäische - gern ins portugiesischsprachige - Ausland. Portugal unterhält wegen seiner Kolonialvergangenheit Kontakte in die ganze Welt: Nicht nur in Brasilien, sondern auch in Afrika wird Portugiesisch gesprochen, in Angola und Mosambik beispielsweise, aber auch weiter östlich, in Macau und Timor Leste in Asien.
Portugal steckt seit zweieinhalb Jahren in der Rezession. Im zweiten Quartal dieses Jahres wuchs die Wirtschaft zwar den Angaben zufolge um 1,1 Prozent, aber noch immer wird für das laufende Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaft gerechnet. Dementsprechend schwierig ist es für junge Portugiesen, Arbeit zu finden: Etwa 37 Prozent der Menschen zwischen 15 und 24 Jahren waren im August laut Statistikbehörde arbeitslos, von den 25- bis 34-Jährigen war rund jeder Fünfte ohne Job. Die Arbeitslosenquote in der Gesamtbevölkerung lag bei 16,5 Prozent.
Helena sitzt in einem ihrer Lieblingscafés in ihrer Heimatstadt Porto, im Norden Portugals. Hier hat sie ihren ersten Uni-Abschluss gemacht, zudem studierte sie in London und arbeitete als Praktikantin bei internationalen Medien. Erst vor wenigen Tagen ist sie aus São Paulo zurückgekommen, endlich mit einem Jobangebot in der Tasche. Fünf Monate hatte sie dort nach einer festen Stelle gesucht, nebenher ein wenig frei gearbeitet. Derzeit warte sie auf ein Arbeitsvisum, sie wird für eine gemeinnützige Organisation Pressearbeit machen. "Natürlich ist es schwer, wegzugehen", sagt sie. "Und Brasilien ist nicht das Paradies, wie viele denken. Das Leben dort ist teuer."
"Ich hätte gern eine Wahl, ob ich gehen oder bleiben will"
Wie Helena wartet auch João São Miguel Marques auf den Abflug. Der 30 Jahre alte Elektroingenieur hat an der renommierten Universität von Coimbra studiert, trotzdem hatte er Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Dann arbeitete er von Mai bis September mit Hilfe eines staatlichen Praktikumprogramms in Mosambiks Hauptstadt Maputo. Am Anfang habe er gar nicht nach Mosambik gewollt, sagt er und lacht. "Hinterher habe ich es geliebt." João hat in Mosambik zwei Angebote. Sein Lohn werde etwa doppelt so hoch sein wie in Portugal. Obwohl João von Afrika begeistert ist, sagt er: "Ich hätte schon gern eine Wahl, ob ich gehen oder bleiben will."
Für Portugal sei diese anhaltend starke Emigration ein großes Problem, sagen Experten. "Die demografische Lage ist äußerst besorgniserregend", sagt Soziologe João Peixoto. Er arbeitet am Institut für Wirtschaft und Management der Technischen Universität in Lissabon. Peixoto beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Migration der Portugiesen. "Für ein so kleines Land wie Portugal haben wir eine enorm hohe Auswanderung. Und das größte Problem ist nicht die Menge, sondern, dass die gutqualifizierten Menschen weggehen."
Peixoto befürchtet, dass im Extremfall nur ältere und weniger gut ausgebildete Menschen in Portugal zurückbleiben und das Land in der Europäischen Union an den Rand gedrängt werden könnte. "Der sogenannte Braindrain, also der massive Verlust von Know-how ist in Portugal keine Gefahr, sondern bereits Realität." Bisher fehlten die Anreize für Menschen wie João und Helena, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Selbst wenn sie das wollen.
"Ich liebe Portugal und will auf jeden Fall zurückkommen", sagt Helena. Es mache ihr Sorgen, dass so viele junge Leute aus der Heimat weggingen. João möchte mit seiner Einschätzung lieber abwarten. "Ich will keine großen Pläne machen. Es ändert sich ja doch immer."
Lucia Weiß/dpa/fln