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Commons machen ein bedürfnisorientiertes Wirtschaften möglich


Unsere Wirtschaft basiert auf der Idee des Tauschens, der Konkurrenz, der Knappheit. Viele gehen dabei leer aus. Wie aber kann ein Wirtschaften ohne Konkurrenz und Egoismus aussehen, unter dem weder die Umwelt noch die Menschen leiden?


Wer etwas gibt, will auch etwas dafür bekommen - so lautet ein Grundsatz unserer Wirtschaft. Und wer nicht genug anbieten kann, bekommt nichts. Geht das nicht anders? Doch, sagen die Befürworter*innen der Commons. Denn: Es ist genug für alle da. Mit Commons ist ein bedürfnisorientiertes Wirtschaften möglich, durch das alle das zum Leben haben, was sie brauchen. Als Commons - auf Deutsch häufig verkürzt mit Gemeingüter übersetzt - werden kulturelle wie naturelle Ressourcen bezeichnet, die gemeinschaftlich bewirtschaftet, produziert oder gepflegt werden. Das können Güter wie der Boden oder freie Software sein, sie können sowohl lokal bestehen - wie ein Stadtteilgarten -, als auch global - wie die Erdatmosphäre. Was ein Commons ist und was nicht, liegt aber nicht an der Sache selbst, sondern daran, wie wir mit ihr umgehen.

„Natürliche Commons und digitale Commons gibt es derzeit vor allem in den Bereichen, in denen die herkömmliche Marktwirtschaft versagt, weswegen großflächig neue Lösungen entstehen", beobachtet die Ökonomin und Historikerin Friederike Habermann. Es gehe nicht darum, das Gleichgewicht von Markt und Staat neu auszubalancieren, sondern um alternative, selbstverwaltete Prozesse. Für ein Wirtschaften ohne Tauschlogik sieht Friederike Habermann zwei zentrale Prinzipien. Das erste ist: Besitz statt Eigentum. Denn: Es gibt viele Dinge, die wir nicht oder nur selten brauchen. Bei Commons zählt, wer etwas tatsächlich braucht und gebraucht. Das Recht, andere von dem, was da ist, auszuschließen oder es ihnen zu verkaufen, also nur im Tausch gegen Geld anzubieten, gibt es nicht. Habermanns zweites Prinzip lautet: Beitragen statt Tauschen. Bei gesichertem Ressourcenzugang sind Menschen selbst motiviert, tätig zu werden und etwas zur Gemeinschaft beizutragen, so die Annahme. Commons entstehen so durch Commoning, bei dem ebenjene Güter und Ressourcen gemeinsam produziert oder erhalten werden. Damit liegt dieses gemeinschaftliche Wirtschaften quer zu Vorstellungen von Privateigentum und Gemeineigentum. Dahinter steht auch die Idee, dass Privateigentum und Gemeineigentum nicht prinzipiell unterschiedlich sind, sondern nur graduell. Beide gehören einer oder mehreren Personen, und beide schließen die anderen, die Nicht-Eigentümer*innen, aus. Commons hingegen sind eine Alternative dazu, bei der sich der Besitz über die Nutzung und Teilhabe bestimmt.


Der Mensch, natürlich (nicht) egoistisch

Doch ein immer größerer Teil der Commons wird mittlerweile im kapitalistischen Einzelinteresse angeeignet und privatisiert. Wenn Gemeingüter zur Ware werden, stehen sie aber nicht mehr denjenigen zur Verfügung, die sie brauchen und nutzen wollen, sondern nur noch denjenigen, die sie sich leisten können. Diese Art von Eigentum sei trotzdem sinnvoll, meinen viele, da Commons sonst nicht gepflegt, geschützt oder weiterentwickelt würden. Die Befürchtung ist, dass jede*r nur versucht, das Beste für sich herauszuholen, aber nicht an einer nachhaltigen Produktion oder Pflege interessiert ist. Eigennutz und Egoismus führe unweigerlich zu einer Übernutzung - und am Ende bleibt für niemanden mehr etwas übrig.

Dieser Annahme liegt das Bild des Homo oeconomicus der Wirtschaftswissenschaften zugrunde. Er ist zwar eine Fiktion, allerdings eine mit Wirkung. Es hält sich der Mythos, dass es in der Natur des Menschen läge, sich zu messen, und nur dann zu geben, wenn er auch etwas Äquivalentes dafür bekommt. Diese Idee von Tausch und Wettbewerb prägt unser Denken und Verhalten von klein auf. Wir arbeiten, um uns gegen die Konkurrenz durchzusetzen und Eigentum zu erwerben. Friederike Habermann aber entgegnet: „Es wurde noch keine frühere Gesellschaft entdeckt, die nach unserer Logik getauscht hätte. Und auch unsere Idee von Eigentum ist sehr jung."


Die Idee, Eigentum zu erwerben und zu festigen, wird durch die neoklassische Schule befördert, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs in den Wirtschaftswissenschaften dominant ist. Diese hat alternative Erkenntnisse zu menschlichem Verhalten und menschlicher Motivation ignoriert und geht davon aus, dass alle nur ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen, ganz nach dem Motto: Wenn alle für sich sorgen, dann ist für alle gesorgt. Das wiederum incentiviert egoistisches Verhalten von Menschen. Wir denken, ein solches Verhalten sei notwendig, eben weil Menschen an sich egoistisch seien: „Je mehr ich daran glaube, dass mein Gegenüber sich egoistisch verhalten wird, desto wahrscheinlicher verhalte ich mich selbst egoistisch", erklärt Friederike Habermann. Experimente zeigen, dass Wirtschaftsstudierende im Vergleich zu Kontrollgruppen anderer Studiengänge am schnellsten von einem kooperativen in einen egoistisch-strategischen Modus schalten und eher auf Geld geprimt sind. Anders formuliert: Wer an den Homo oeconomicus glaubt, nähert sich ihm an.


Dabei steht der Homo oeconomicus im Widerspruch zu den Werten, die wir in unserer Gesellschaft sonst hochhalten, führt die Ökonomin Habermann aus: „Wir lernen: Einerseits sollen wir immer gut sein, außer in der Wirtschaft - da sollen wir egoistisch sein, Konkurrent sein, die anderen ausbooten können. Und wir tun so, als wäre Wirtschaft schon immer ganz natürlich so gewesen." Dabei ist das biologische Motivationssystem des Menschen auf Kooperation ausgerichtet, auf der Suche nach Zuwendung, Bindung und Anerkennung. „Wir leben derzeit in einer Gesellschaft, die uns sagt: Du bekommst Anerkennung, wenn du Konkurrent bist und dich egoistisch verhältst. Also machen wir das", erklärt Friederike Habermann.


"Wer an den Homo oeconomicus glaubt, nähert sich ihm an."


Wir gehen davon aus, dass die Knappheit von Ressourcen und Gütern unausweichlich ist und Wettbewerb und Eigentum ein möglicher Umgang mit diesem Umstand. Die Eigentumslogik erzeugt die Knappheit aber erst künstlich. Güter werden knapp gehalten, damit sichergestellt ist, dass nur diejenigen Zugang bekommen, die ein Äquivalent zum Tausch anbieten können. Die Logik des Commoning geht davon aus, dass bei schonender und nachhaltiger Nutzung genug für alle da ist. Nichtrivale Güter, die von beliebig vielen Menschen parallel genutzt werden können - etwa Software und Musik -, stehen dann allen ohne Einschränkungen zur Verfügung. Rivale Güter, also solche, die nicht von allen gleichzeitig genutzt werden können, werden so aufgeteilt, dass dennoch niemand leer ausgeht. Ein Beispiel: Ein Donut, den ich esse, kann nicht mehr von einer anderen Person gegessen werden. Sind nicht genug Ressourcen vorhanden, um Donuts für alle zu backen, die gerne Donuts essen möchten, ist das trotzdem kein Grund, die bestehenden Güter zu verknappen und Donuts von nun an nur noch denen zu geben, die etwas zum Tausch anbieten. Das Ziel bleibt, genug Donuts für alle herzustellen oder faire Verteilungsmöglichkeiten zu finden.

In einer Welt, in der wir Besitz über Nutzungsrechte und nicht über Eigentum regeln und das Ziel haben, so viele Güter wie notwendig zu haben, ergibt es keinen Sinn mehr, wie Ulli in Bild 3 zu handeln. „Das Konzept von Egoismus löst sich auf", erklärt Friederike Habermann. Ohne Konkurrenzdruck sind Egoismus und Altruismus keine Gegensätze mehr. Das bedürfnisorientierte Tauschen, wie es in Bild 2 stattfindet, tut Ulli und Deniz gut. Bei bedürfnisorientiertem Tauschen steht nie der Profit im Zentrum. So gibt es zwar auch heute andere Projekte und Firmen, die keinen Profit erwirtschaften wollen, sondern kostendeckend arbeiten. Von Commoning kann aber nur gesprochen werden, wenn sich das Projekt nicht am Markt ausrichtet, sondern ausschließlich an den Bedürfnissen der Beteiligten. Das heißt: Es geht um das, was zum Leben gebraucht wird, und nicht darum, was sich verkaufen lässt.

Menschen können miteinander sprechen

Commons haben sich an vielen Orten weltweit schon als soziale Praktik bewährt. Elinor Ostrom hat eine empirische Untersuchung der Commons unternommen und dafür 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten. Ihr Ergebnis: Commons funktionieren, weil Menschen miteinander sprechen - eine Tatsache, die in den Wirtschaftswissenschaften meist ignoriert wird. In über tausend Fallstudien hatte die US-amerikanische Professorin seit den 1970er-Jahren weltweit die erfolgreiche kollektive Nutzung knapper Gemeingüter wie Wälder, Gewässer, Ölfelder oder Weideland untersucht. Ihre Auswertungen zeigen: Menschen sind fähig, miteinander zu kooperieren und Ressourcen nachhaltig zu schonen. Lokale Gemeinschaften schufen unter schwierigen Umständen kooperative und verantwortliche Organisationsformen, um Gemeingüter zu erhalten und Gemeinressourcen nachhaltig zu bewirtschaften.

Das passiert nicht immer konfliktfrei, wie Ostroms Forschung zeigt. Menschen blieben aber in sozialen Dilemmata handlungsfähig und waren in der Lage, Konflikte zu lösen - und zwar besser als staatliche Stellen oder der Markt. Selbstorganisation ist zentraler Bestandteil von Commons-Praktiken und beinhaltet Aushandlungen über die konkreten Nutzungsregeln und Verantwortlichkeiten in Bezug auf eine Ressource oder ein Gut. Daran beteiligt sind alle, die am Commoning teilhaben. Die Grundlage für gemeinsames und nachhaltiges Wirtschaften war in den von Ostrom untersuchten Fällen ein stabiles Vertrauensverhältnis, auf dem aufbauend die konkreten Spielregeln gemeinsam beschlossen werden konnten.

"Commons sind allgegenwärtig, aber bleiben oft unsichtbar."


Auf kleinen Halbinseln gegen den Strom

Habermann beschreibt diesen Prozess der Aushandlungen als „Ringen um einen bedürfnisorientierten Umgang in den Bereichen, in denen Menschen wirklich versuchen, tauschlogikfrei miteinander umzugehen". Die Projekte und Orte, in denen Menschen heute andere Selbstverständlichkeiten zu leben versuchen, nennt die Ökonomin Halbinseln. Dazu zählt schon, bei der Aufteilung des Gehalts nicht danach zu gehen, wie viel jemand gearbeitet hat, sondern auch zu berücksichtigen, wie viel der*diejenige zum Leben braucht. Weitere Beispiele sind das Mietshäuser Syndikat zum gemeinschaftlichen Erwerb von Häusern, die in Gemeineigentum überführt werden, oder die solidarische Landwirtschaft, in der Menschen das Risiko für einen Ernteausfall gemeinsam tragen. Commons sind allgegenwärtig. Oft bleiben sie aber unsichtbar, weil wir sie mit unserem (neo)klassischen Verständnis von Wirtschaft nicht sehen.

Halbinseln sind der Versuch, im bestehenden System nach dem Commons-Prinzip zu leben - und entsprechend oft schwierig zu verteidigen. Wird auf einer solchen Halbinsel Fairness nicht beachtet, kann es sein, dass sich individuelle Strategien der Nutzenmaximierung durchsetzen. „Ein erster Schritt ist trotzdem, zu versuchen, im Alltag mit anderen Menschen solche Selbstverständlichkeiten zu leben", rät Friederike Habermann. „In solchen Projekten merken viele dann, dass sie Vertrauen in die Gemeinschaft haben können, denn es funktioniert."

Sicher, die Idee einer komplett tauschlogikfreien Welt mag vom heutigen Standpunkt aus noch utopisch erscheinen. Es ist deswegen aber nicht naiv, für eine Gesellschaft einzutreten, die sich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten aller orientiert. „Die Welt wird nicht von heute auf morgen ganz anders aussehen", gibt die Ökonomin zu bedenken, „aber wir können uns auf den Weg machen und schon umgestalten, was uns richtig und gut erscheint." So wie der Mythos des Homo oeconomicus egoistisches Verhalten hervorbringt, kann eine Vision des gemeinschaftlichen Wirtschaftens diese auch mehr und mehr Realität werden lassen.

Das Konzept des Commoning beschreibt das gemeinsame Produzieren, Nutzen und Teilen; lebendige soziale Prozesse, in denen Menschen selbstorganisiert ihre Bedürfnisse befriedigen. Neben Privateigentum und Gemeineigentum entsteht bei den Commons Besitz durch Nutzungsrechte. Commons gehören allen, die zur Nutzung berechtigt sind. Wichtige Grundlage für Commoning ist ein Vertrauensverhältnis, auf dessen Basis Spielregeln für die gemeinschaftliche Nutzung, Produktion oder Pflege ausgehandelt werden. Das bedeutet auch: bye bye, Homo oeconomicus.
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