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Klimaaktivismus in der Wuhlheide: Verbundenheit und Angst

Mahnwache der Wuhlheide-Besetzung am Wochenende – inzwischen ist hier wesentlich mehr los. Foto: dpa/Paul Zinken

Die Stimmung in der Wuhlheide ist am Dienstagnachmittag entspannt und gelöst. Polizist*innen, die sich am Mittag noch in dem besetzten Waldstück in Oberschöneweide umgesehen haben, und ein Helikopter sind verschwunden. Aktivist*innen, zum Teil vermummt und ganz in Schwarz, zum Teil bunt gekleidet und mit Glitzer im Gesicht, bauen Plattformen oder Barrikaden. Andere haben es sich an der Mahnwache gemütlich gemacht. Aus einem Handy kommt Musik, am Wegrand stapelt sich ein Vorrat sehr reifer Bananen.

Die Anzahl derjenigen, die sich der Besetzung "Wuhli bleibt" zugehörig fühlen, hat sich seit dem Wochenende locker verdreifacht. Über 100 Menschen protestieren hier mittlerweile gegen den geplanten Bau der Tangentialen Verbindung Ost (TVO), für den mindestens 14 Hektar Wald zerstört werden sollen. Viele haben Zelte oder Hängematten zwischen den Bäumen aufgeschlagen. "Es fühlt sich an, als wäre ich endlich wieder zu Hause", sagt Fred zu "nd". Fred hat schon im "Hambi" und "Danni" gelebt und sich extra freigenommen, um möglichst viel Zeit in der "Wuhli" zu verbringen. Auf seiner Mütze klebt ein Sticker mit dem Slogan "Wuhli bleibt".

Sie spüre "eine extreme Verbundenheit mit der Natur", erzählt Olli (19). Das Zusammenleben im Wald sei etwas Besonderes, auch weil die Besetzung explizit antikapitalistisch und queerfeministisch sei. Das bedeutet, dass es ein Awareness-Konzept gibt, dass Hierarchien in Frage gestellt und Aufgaben anders verteilt werden, als es im Alltag oft der Fall ist. Für die Besetzerin Orca bedeutet es auch mehr Sicherheit, durch Safer Spaces und im Kontakt mit der Polizei. Wenn Cis-Männer die Verantwortung hätten, werde erfahrungsgemäß viel mehr provoziert. "Das kann eine ganze Gruppe gefährden", sagt die 25-Jährige. Hier in der Wuhlheide werde viel stärker auf die Grenzen aller Beteiligten geachtet. Unter anderem nehmen auch mehrere Menschen mit Behinderung an der Besetzung teil.

Die Besetzer*innen benutzen Aktionsnamen, um nicht identifiziert zu werden, da sie Repressionen durch die Polizei oder im Job fürchten und sich in der Anonymität auch gegenseitig schützen wollen. Eine weitere Aktivistin nennt sich Granatapfel. Sie habe "Angst vor der Polizei", sagt sie. Trotzdem habe sie schon einige Scouting-Schichten mitgemacht. "Es war wahnsinnig aufregend und kräftezehrend", berichtet die 17-Jährige. Die Beamt*innen "behandeln uns wie Tiere", findet Olli. "Nazifreie Zone" steht auf ihrem Pulli.

Das Argument von Polizei und anderen Gegner*innen, dass eine Besetzung nicht legal sei, findet Orca "sehr nervig". "Eigentlich sollte es nicht legal sein, dass hier so eine Straße gebaut wird." Tatsächlich könnte die Besetzung in den nächsten Tagen schon geräumt werden. Konkretes erfährt man dazu jedoch nicht. Von der zuständigen Senatsumweltverwaltung heißt es auf nd-Anfrage, die Berliner Forsten hätten sich am Montag ein erstes Bild der Lage verschafft. "Die Situation im Wald wird kontinuierlich weiter beobachtet. Die forstliche Bewertung ist bislang nicht abgeschlossen", so Umweltverwaltungssprecherin Constanze Siedenburg.

Die Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) teilte nach der Senatssitzung am Dienstag mit, dass die Berliner Forsten spätestens am Mittwoch eine Einschätzung abgeben sollten und die Innenverwaltung dann zügig über eine Räumung entscheiden werde. "Ich will auf jeden Fall so lange wie möglich da bleiben und lasse mich im Zweifel auch räumen", erklärt Granatapfel entschlossen. Fred sieht das ähnlich. Er sehe hier ein "Klimaland" entstehen. "Wir sind ja nicht nur wegen eines Waldes hier, sondern wegen der viel größeren Klimakatastrophe." Dagegen zu kämpfen, das gehe nur ökofeministisch.

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