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Wird doch noch alles gut?

Sieht so die Zukunft aus? Eine "Anarchonautin" des Künstlers Olalekan B. Jeyifous, zu sehen in der Ausstellung "Everything will be fine". Foto: Olalekan B. Jeyifous, Anarchonaut #12, 2020

Scheinbar mühelos schleppt die Anarchonautin acht Fässer Benzin, vier mit jedem ihrer beiden Roboterarme, die an ihren Schultern befestigt sind. Im Hintergrund ist eine Skyline von begrünten Baracken auf Stelzen zu sehen. Es handelt sich um die vertikalen Slums einer "spekulativen Zukunftsversion der Stadt Lagos in Nigeria", heißt es im Erklärtext neben dem Bild. Die Anarchonaut*innen sind deren imaginäre Bewohner*innen, die dargestellte Roboter-Frau handelt mit fossilen Brennstoffen. Erschaffen wurde die Science-Fiction-Dystopie vom Architekten und Künstler Olalekan B. Jeyifous. Zu sehen ist sein Werk aktuell in der Ausstellung "Everything will be fine" ("Alles wird gut") vor dem Deutschen Technikmuseum in Kreuzberg im Rahmen der Berlin Art Week und des Digitalschwerpunkts "Spy On Me" des nahe gelegenen Theaters Hebbel am Ufer (HAU).

"Wir müssen Technik als Teil unserer Umwelt betrachten. Von der Umwelt hängt ihre Entwicklung ab, ob sie für Gutes oder Schlechtes zum Einsatz kommt", sagt HAU-Geschäftsführerin Annemie Vanackere bei der Vernissage am Mittwochabend. Die Outdoor-Ausstellung der NGO Tactical Tech in Koproduktion mit dem HAU untersucht, wie Menschen Technologie nutzen, um weltweite Krisen wie Klimawandel, Pandemien und politische Polarisierung zu verstehen und auf sie zu reagieren. "Museen sind mehr als Ausstellungsstücke. Sie sind Orte der Bildung, verschiedener Perspektiven und der Diskussion", sagt Joachim Breuninger, Direktor des Technikmuseums, zu den knapp 200 Besucher*innen, die zur Eröffnung gekommen sind.

"Alles wird gut" sei eine häufig genutzte Phrase. "Manchmal ist sie wahr, manchmal auch Ironie", so Stephanie Hankey, Kuratorin und Mitbegründerin von Tactial Tech, über den Titel der Ausstellung. Digitale Technik könne eben sowohl Lösung als auch Ursache vieler Probleme sein, sie sei weder Allheilmittel noch zu verdammen. Sie stelle sich "die Technik" wie die Linse eines Fotoapparats vor, durch die man die Welt betrachten könne, sagt Hankey zu "nd". Diese Betrachtung reicht von Panik über Vorsicht und Zweifel bis zu Hoffnung - in diese vier Kategorien ist die Ausstellung unterteilt. Die einzelnen Abschnitte sind entlang eines ringförmigen, aufgeblasenen Konstrukts des tschechischen Architektenteams Kogaa angeordnet. An der Außenseite des Kreises sind großformatige Bilder von Künstler*innen angebracht, unter anderem Olalekan B. Jeyifous Anarchonautin. Auf der Innenseite werden digitale Forschungsprojekte vorgestellt.

Als Beispiel für die Ambivalenz der Technik nennt Stephanie Hankey das Projekt "Pandemic Drones", in dem es um Drohnen geht, die in Menschenmengen diejenigen Personen erkennen können, die Fieber haben, was der Gesundheitsfürsorge zum Beispiel in der Corona-Pandemie dienen soll. Laut Beschreibung würden diese Drohnen aber auch genutzt, um Einrichtungen für Obdachlose zu kontrollieren. "Das könnte nützlich sein, aber es ist nicht richtig klar", überlegt Hankey. Entsprechend sind die Drohnen dem Bereich "Digitale Vorsicht" zugeordnet. "Wir müssen darüber diskutieren, bevor es sich normalisiert", findet die Kuratorin.

Positiv sieht sie die Idee des Architekten und Künstlers T. Craig Sinclair, Rechenzentren ins Meer zu bauen. Für die digitale Zukunft unabdingbar, verbrauchen Rechenzentren enorme Mengen an Strom und heizen damit die Klimakrise weiter an. Auf einer Abbildung im Bereich "Digitale Hoffnung" sind zwei Ketten zu sehen, die aus vielen einzelnen Segeln zu bestehen scheinen, und im Ozean treiben. Dort sollen sie Energie aus Meeresströmungen gewinnen.

Diese und andere Projekte und Kunstwerke können nicht nur über die Beschreibungen und Bilder entlang der ringförmigen Ausstellung erkundet werden, sondern - ganz dem Thema angemessen - auch digital. Über die Website everythingfine.org oder einen QR-Code gelangt man zu interaktiven Anwendungen oder kurzen Filmen. Zum Beispiel zum "Endless Doomscroller", der "den Sog der ständigen Krise" widerspiegelt, die negative Informationen in Nachrichtenapps oder sozialen Medien bei den Konsument*innen auslösen. Auf dem Handy scrollt man hier durch unendlich viele Begriffe wie "schlechte Gefühle", "Vertrauensverlust", "Es wird immer schlimmer" und "Panik beginnt". Auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien durch digitale Netzwerke sind Thema im Bereich der "digitalen Panik".

Die Zuordnung der Potenziale und Gefahren verschiedener Techniken zu menschlichen Gefühlen schaffe eine gute Verbindung zu dem eigentlich sehr wissenschaftlichen Thema, sagt eine Besucherin. "Ich finde die Frage spannend: Wie weit geht man, um die Zukunft zu beeinflussen? Wer bekommt die Macht?", sagt Katja Anclam, die sich die Ausstellung ebenfalls bereits angesehen hat. Gut gefällt ihr die Möglichkeit zur "analogen Bewertung": Für jeden der vier Bereiche können die Besucher*innen sich zu drei Aussagen positionieren, indem sie einen Klebepunkt auf einer Skala zwischen "stimme zu" und "stimme nicht zu" hinterlassen. In einigen Bereichen waren die Abstimmenden sich recht einig, zum Beispiel stimmte eine Mehrheit der Aussage zu: "Soziale Medien vertiefen politische Gräben". Sehr unentschieden waren die Besucher*innen der Vernissage dagegen bei: "Alles wird gut" - "Everything will be fine".

Die Ausstellung vor dem Deutschen Technikmuseum, am Tempelhofer Ufer, Ecke Trebbiner Straße, ist bis zum 4. Oktober täglich von 10 bis 22 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

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