Das Interesse für Politik hat sich bei mir in der Oberstufe, in der Schule entwickelt und - das war Ende der Siebziger Jahre - da war das Hauptthema bei uns die Nutzung der Atomkraft. Ich bin zwar im Allgäu zur Schule gegangen, wo wir unmittelbar kein Atomkraftwerk hatten, aber das hat natürlich damals ganz Deutschland umgetrieben und wir sind von der Schule aus zu Demonstrationen nach Gundremmingen gefahren. Das hat viel zur Politisierung beigetragen. Aber dort hab ich nicht beschlossen, Politiker zu werden, sondern dort bin ich einfach politikbegeistert geworden, das hat mich nicht mehr losgelassen.
Sie haben ja dann Politik, Finanzwissenschaften und Romanische Philologie studiert. Was wären Sie denn geworden, wenn nicht Politiker?Nach dem Abi wollte ich eigentlich Journalist werden. Hab mich dann um ein Volontariat beworben, bei der Zeitung bei uns, das hat nicht geklappt und durch mein Studium hatte ich dann aber auch eigentlich schon gemerkt, dass mich Politik selber mehr interessiert.
Sie waren bislang ja immer auch Stadt- oder Landesebene aktiv und seit 2002 sind Sie Oberbürgermeister von Freiburg. Warum? Wollten Sie nie nach Berlin?Für mich war Kommunalpolitik immer deshalb besonders spannend, weil die hier vor Ort stattfindet und wenn man sich einfach dafür interessiert, warum Menschen das machen und andere das nicht machen, dann muss man sich auch für einfache interessieren, die auch für den Stadtteil interessant sind, dann sind auch die Müllentsorgung und die Sicherheit und die Radwege und die Baumschutzaktion auf einmal interessant. Man merkt natürlich auch, wenn man als Student hierher kommt, dass man nach ein paar Jahren, wenn man hier ist, sich mit der Stadt auch identifiziert. Ich hab das selber gemerkt, als ich dann irgendwann angefangen hab, den Lokalteil vor dem Mantelteil zu lesen und da weiß man, dass man kommunal angekommen ist.
Nun zu Ihrer politischen Arbeit in Freiburg: Was ist Ihr größter Erfolg?Der kommt hoffentlich noch!
Und der größte Misserfolg?Es gibt sicher natürlich einen Punkt, der mich viel beschäftigt hat und der gescheitert ist, das war der damals vor neun Jahren geplante Verkauf der Freiburger Stadtbau AG, um die Stadt zu entschulden. Das ist damals an einem Bürgerentscheidsvotum deutlich gescheitert. Aber das war nicht das Ende der Stadt, sondern es ging trotzdem weiter und mittlerweile hat die Stadt ihre Schulden auch so um ein Drittel zurückgefahren. Es kamen noch glückliche Umstände hinzu.
Freiburg hat aber ja auch ein großes Wohnungsproblem, das durch die relativ neuen Stadtteile Vauban und Rieselfeld nicht gelöst wurde, zu wenig sozialer Wohnungsbau, zu wenige Unterkünfte für die wachsenden Studierendenzahlen. Was ist Ihr Konzept bezüglich der weiteren Stadtplanung?Die Wohnungsnot ist in Freiburg etwa seit dem 27. November 1944 ein Thema, als bei einem Bombenangriff die Innenstadt völlig zerstört wurde. Von wenigen Jahren der Nachkriegsgeschichte abgesehen gab es eigentlich in Freiburg immer Wohnungsnot. Das hat in den Fünfziger Jahren dazu geführt, dass man in Windeseile möglichst viel gebaut hat, weil die Menschen einfach obdachlos waren, weil auch viele Flüchtlinge dazu kamen. Das hat in den Sechziger Jahren dazu geführt, dass man die Stadtteile Weingarten und Landwasser gebaut hat. Als ich 1983, also jetzt vor 34 Jahren, nach Freiburg kam, war die Wohnungsnot in meiner Erinnerung größer als sie heute ist. Das soll die jetzige Situation nicht beschönigen. Nur mit wenigen Jahren Ausnahme, wo wir gleichzeitig Rieselfeld und Vauban gebaut haben, war der Wohnungsmarkt mal relativ entspannt. Seit die beiden Stadtteile vollgelaufen sind, hat die Situation sich wieder verschärft und die Tatsache, dass wir eine attraktive Stadt sind und nach wie vor wachsen, verschärft die Situation weiter.
Wir haben letztendlich drei, eigentlich vier Probleme, warum wir da so wenig voran kommen. Um sozialen Wohnungsbau zu machen, braucht man Programme vom Land, die gibt es auch, aber die sind auf unsere Situation nicht zugeschnitten, das heißt, sozialen Wohnungsbau zu realisieren ist bei einer Hochpreissituation wie wir sie bei den Grundstücks- und Mietpreisen in Freiburg haben, sehr sehr schwierig. Das kann auch in Ausnahmefällen unser Freiburger Stadtbau machen, für normale Bauträger ist das überhaupt nicht attraktiv. Das ist tatsächlich ein Problem. Wir haben zweitens das Problem, dass wir schlichtweg zu wenig geeignete Flächen haben, wo wir wohnen und bauen können, das sind natürliche Restriktionen, 42 Prozent unserer Gemarkungsfläche besteht aus Wald, es gibt jede Menge Landschaftsschutzgebiete, Naturschutzgebiete, das heißt, die Flächen, wo man tatsächlich bauen könnte, sind sehr begrenzt.
Wie sieht das aus mit der Fläche im Wolfswinkel? Die ja auch immer aus Landschaftsschutzgründen nicht als Baufläche ausgeschrieben wurde und wo jetzt der Stadionbau realisiert wird? Warum wurde dort nie sozialer Wohnungsbau realisiert?Na, da kommt doch das Stadion hin! Aber kein Wohnungsbau! Es war immer politische Linie, dass wir den Flugplatz nicht als Wohnbaufläche nutzen, sondern dass wir ihn, weil er ja diese Kaltluftschneise ist, tatsächlich auch freihalten. Das war immer erklärter Wille des Gemeinderats und auch des Bürgermeisteramts, das wollen wir nicht machen und deshalb wird der Flugplatz ja auch aufbleiben, weil man ihn ja auch braucht. Und der Bau des Stadions ist eigentlich die beste Garantie dafür, dass dort auch nie Wohnungsbau hinkommt, weil man im Umkreis von 500 Metern um ein Stadion sowieso keinen Wohnungsbau machen kann, allein schon aus Lärmschutzgründen. Der Flugplatz ist für Wohnungsbau nicht geeignet. Und spätestens wenn das Stadion kommt, definitiv nicht mehr geeignet. Sie sehen, es gibt für viele Flächen Restriktionen, die einfach da sind. Ich war aber noch nicht fertig mit meiner Argumentation, bevor Sie mich unterbrochen haben...
Das Erste ist: Wir haben zu wenig Flächen. Zweitens: Bei Sozialwohnungen ist es schwierig. Und das Dritte: Wir sind auch innerhalb unserer Verwaltung zu langsam. Die Bebauungspläne tatsächlich zur Satzung zu bringen, das heißt, dass man Baurecht schafft. Wir müssen da schneller werden, das wissen wir, wir sind da auch auf einem guten Wege, aber wir sind noch nicht dort, wo wir hinkommen wollen. Und das Letzte, der vierte Punkt ist quasi, dass die Bürgerschaft im Grundsatz einsieht, also überwiegend - es gibt auch viele, die sagen, wir sollen überhaupt nicht mehr bauen -, aber überwiegend sehen sie ein, dass man zusätzlich bauen muss. Aber sobald das in ihrer Nachbarschaft geschieht, sind sie natürlich dagegen.
Das heißt wiederum, dass das die Verfahren auch verlängert, weil man viel mehr Gutachten machen muss als früher, weil alle gegen alles klagen. Das heißt, um das rechtssicher zu machen, sind die Verfahren länger, man muss Bürgerbeteiligung machen, Runde Tische einrichten und so weiter. Das mag alles richtig und notwendig sein. Es zieht die Verfahren in die Länge und macht das noch mal zusätzlich langsamer, ich glaub, das sind die vier Hauptfaktoren, warum wir nicht so schnell sind, wie wir gerne sein würden.
Ein anderes Thema, das jetzt aktuell ist, betrifft Flüchtlinge und Abschiebungen. Sie haben sich bei der Anti-Pegida-Demo hier in Freiburg gegen die Abschiebung einer Freiburger Familie ausgesprochen. Winfried Kretschmann hat die Abschiebepraxis wiederum verteidigt und gemeint, dass „keine Familie ihrem Schicksal überlassen" sei. Was würden Sie ihm dazu gerne entgegnen?Ich glaube, dass das, was Bundestag und -rat entschieden haben, dass Armutsflüchtlinge eigentlich nicht auf unseren Asylparagraphen passen, das ist eine Diskussion, die schon vor zwanzig Jahren geführt wurde, als das Asylrecht weitgehend eingeschränkt wurde. Die ist aber auch heute noch wichtig. Deshalb ist das eigentliche Problem, dass wir für Armutsflüchtlinge - und um solche handelt es sich zweifelsfrei, da aus den ehemaligen Balkanstaaten, insbesondere die Roma -, dass man dort eigene Lösungen finden muss. Das ist richtig.
Das heißt aber, so lange man diese Lösungen nicht hat und diese Menschen darauf angewiesen sind, wenn sie nach Deutschland kommen, einen Asylantrag zu stellen, von dem man mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, dass er abgelehnt wird, wird es natürlich auch weiterhin Abschiebungen geben. Das mag man bedauern oder nicht, das ist schlichtweg so. Was aber nicht geht, meines Erachtens, ist, dass man - da muss man wirklich nicht Jura studiert haben - eine junge Frau mit sechs Kindern, die teilweise schwierige gesundheitliche Probleme haben und die hier in Freiburg intensiv betreut worden sind, dass man die in einer Situation im Winter abschiebt, wo klar ist, dass die nach unseren Maßstäben, aber auch nach dortigen Maßstäben, in solch bittere Armut kommen, in eine eigentlich nicht vorhandene Wohnung, in einen ungeheizten Raum, auf neun Quadratmetern, wo sie zu acht drin schlafen, ungeheizt, ohne Strom, ohne Wasser, das kann dieser Situation für die Kinder, aber auch für die Mutter, die nachweislich auch mit den sechs Kindern völlig überfordert war, den Tod bedeuten und das ist einfach inhuman und so was geht nicht.
Und deshalb auch der dringende Appell an die Landesregierung, an das zuständige Innenministerium, aber auch an den Ministerpräsidenten: Man kann nicht einfach wie der Innenminister einmal nach Belgrad fahren und sich da irgendwas zeigen lassen, was dort passiert und sagen: „Geht schon!". Das ist de facto nicht der Fall. Es waren ja jetzt Freiburger unten und die haben nachrecherchiert, dass der Familie in Serbien keinerlei Hilfe gewährleistet worden ist. Die sind am Flughafen angekommen und waren sich selber überlassen. Das geht meines Erachtens nicht und da muss die Landesregierung humanitäre Kriterien dafür schaffen, wer abgeschoben wird und wer nicht. Wenn junge Erwachsene, gesunde Männer abgeschoben werden, das finden die auch nicht witzig, aber das kann man machen, die können mit so einer Situation auch umgehen, aber eine Mutter mit sechs kleinen Kindern, minderjährig, die sind ja eins, zwei, drei, vier Jahre alt, das geht definitiv nicht und da will ich auch gar nicht diskutieren, das leuchtet, glaub ich, unmittelbar jedem ein.
Sie haben gesagt, dass Roma vor allem aus Armutsgründen auswandern. Oft sind sie in ihrer Heimat aber auch aus politischen Gründen...Nein, eben nicht politisch! Was die natürlich aus ethnischen Gründen erleiden, ist Stigmatisierung, Diskriminierung, sie werden benachteiligt, also das Leben als Roma dort unten ist nicht einfach. Aber es ist eben nicht das, was man politische Verfolgung nennt. Sie werden weder eingesperrt, noch werden sie umgebracht, also die Situation ist furchtbar für die, aber eben nicht so, dass sie gemäß unserem Asylparagraphen politische Verfolgung haben.
Also sind Armut und Diskriminierung einfach kein ausreichender Grund.Kein ausreichender Grund, auch wenn man das von einem ethischen Standpunkt aus bedauern mag, aber der Asylparagraph ist dafür nicht geeignet. Was fehlt, ist ein eigenes Gesetz, wie wir eigentlich mit Armutseinwanderung umgehen. Das wird im Bundestag jetzt diskutiert, aber ich sehe bei der Großen Koalition da jetzt auch keine Mehrheit dafür, da die CDU sich eindeutig gegen so ein Einwanderungsgesetz ausgesprochen hat.
Sie koalieren ja hier auch mit der CDU. Wie passt das eigentlich mit Ihrem grünen Ideal zusammen?Also erstens koalier' ich hier mit gar niemandem, sondern die süddeutsche Ratsverfassung, wie sie genannt wird, sieht gar keine Koalition vor. Denn streng genommen ist der Gemeinderat gar kein Parlament, sondern eher ein Organ der Verwaltung. Die Mehrheiten bilden sich hier je nach Tagesordnungspunkt unterschiedlich. Also ich koalier' nicht mit der CDU, aber wir haben nicht nur mit der CDU, aber auch mit der SPD und den Freien Wählern in vielen Punkten Übereinstimmungen. Und wenn Sie sich mit dem Gemeinderat befassen und sich so eine Tagesordnung anschauen, dann werden von zwanzig Punkten bestimmt 15 ohne Diskussion einstimmig verabschiedet und über die verbleibenden fünf wird dann diskutiert, aber auch da gibt es oft sehr breite Mehrheiten. Und mein grünes Ideal kann ich auch nur verwirklichen, wenn ich Dinge umsetze. Bei den allermeisten Dingen ist die CDU da mit dabei und die Zusammenarbeit läuft eigentlich sehr, sehr gut. Wissen Sie, als ich jung war, so vor 35 Jahren, als ich Abitur gemacht hab, da war die CDU noch eine völlig andere Partei. Die hat sich allein in den letzten zehn Jahren so enorm gewandelt. Und die Freiburger CDU war sowieso immer viel liberaler als der Rest der Landespartei und auch der Bundespartei. Also hier vor Ort können wir sehr gut zusammenarbeiten.
Und was würden Sie zu einer schwarz-grünen Regierung im Bund sagen?Die seh ich nicht. Falls die kommen würde, müsste man sich genau angucken, was die da verhandeln, aber grundsätzlich ausschließen würd ich das nicht. Warum eigentlich auch? Demokratische Parteien müssen miteinander koalitionsfähig sein. Bei der Bundesregierung muss man auch immer drauf achten, dass man eine gemeinsame Außenpolitik machen könnte und daran scheitert wahrscheinlich eine Bundesregierung mit der Linken, die da einfach sektiererisch sind. Aber ansonsten denke ich, müsste eigentlich in Deutschland auch alles vorstellbar sein. Dass auch auf Landesebene alles denkbar ist, das sieht man ja jetzt, dass es auch einen Ministerpräsidenten gibt, der ein grünes Parteibuch hat und einen, der von den Linken ist. Aber Landespolitik macht pragmatisch, das ist sowieso klar.
Was halten Sie denn von Angela Merkel? Haben Sie sie schon mal getroffen?Ich hab ihr schon zwei Mal die Hand gegeben, das heißt aber nicht, dass ich sie jetzt gut kenne. Sogar schon drei Mal, glaub ich. Sie war schon ein paar Mal in Freiburg. Ich finde, sie ist eine sehr, sehr starke Kanzlerin. Die Art, wie sie politisch führt, ist, glaub ich, bislang einmalig in Deutschland und hat am Anfang für Irritationen gesorgt, aber ich denke, die Menschen merken schon, also auch was die ganze EU-Politik angeht, dass Frau Merkel am Verhandlungstisch eine sehr starke Position hat. Ihr wurde ja immer vorgeworfen, dass sie die Dinge treiben lässt und gar nicht sagt, was ihre Meinung ist, aber wir haben jetzt in letzter Zeit schon ein paar Mal gemerkt, dass sie zum Beispiel beim Punkt Pegida oder auch bei der Frage, wie man mit Putin umgeht, durchaus sehr eindeutige Worte findet. Also ich halte sie für eine sehr starke Kanzlerin.
Nicht mehr ganz so aktuell, aber gerade in Studierendenkreisen viel diskutiert ist die Frage nach der Wagengruppe „Sand im Getriebe", die in den vergangenen Jahren für viel Aufsehen gesorgt hat. Warum wollten Sie denn nicht, dass die Wohnwagen an der PH abgestellt werden oder was wäre für Sie eine einvernehmliche Lösung?Ich hab ja vorhin schon erzählt, dass wir auch beim Thema Wohnungsbau Riesenprobleme haben, geeignete Flächen zu finden und dass wir aus den letzten zehn, 15 Jahren auch Gemeinderatsbeschlüsse haben, die sagen, dass wir die Zahl der Wagenburgen, die wir in Freiburg haben und wir haben drei verschiedene Wagenburgen hier, zwei davon sind eigentlich sozialpolitische Projekte, wo Menschen leben, die Drogenprobleme haben, die psychische Probleme haben und die dritte Wagenburg, das sind die sogenannten „Schattenparker", wo ich höchstpersönlich vor bald zehn Jahren dafür gesorgt habe, dass die wieder einen Platz gekriegt haben, am Flugplatzgelände unten.
Dass die Zahl der Wagenburgplätze nicht erweitert werden soll, der Gemeinderat hat dann gesagt, wir sollen prüfen, ob es vorübergehend Zwischennutzung gibt, auf Standorten. Die haben wir nicht gefunden. Die Standorte, die uns genannt wurden, die liegen im Gewerbegebiet, wo man so was nicht zulassen darf oder waren auch einfach nicht geeignet dafür und ich steh auf dem Standpunkt, das hab ich den Leuten von Anfang an gesagt, ich hab überhaupt nichts gegen Wagenburgen, aber wenn es Private gibt, die ihr Gelände zur Verfügung stellen für die Wagenburgen, dann gucken wir, dass wir das genehmigungsfähig machen. Aber die Leute von „Sand im Getriebe" haben nun mal darauf bestanden, dass wir für sie geeignete Flächen finden und das ist nicht unsere Aufgabe. Wir haben hier in der Notfalldatei 1.300 Menschen, die dringend eine Wohnung brauchen. Wir haben denen ja was angeboten, wir haben ihnen da draußen neben den Schattenparkern 400 Quadratmeter angeboten, da haben sie gesagt, sie wollen als Gruppe zusammenbleiben, es ist ihnen zu klein, aber ehrlich gesagt, wenn sie jetzt als Studenten hergehen und sagen, wir sind eine Gruppe von 20 Leuten, die Stadt soll ihnen ein Haus zur Verfügung stellen mit Vier- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen, dann würden auch alle sagen: „Habt ihr noch alle Latten auf'm Zaun?" Also das funktioniert so nicht und warum soll eine Wagengruppe da eigentlich Sonderrechte haben? Da gibt's eigentlich gar keinen Grund für.
Wir haben nun ein kleines Entscheidungsspiel für Sie vorbereitet - antworten Sie einfach kurz und knapp auf die folgenden Fragen: Erstens, sind Sie Idealist oder Realpolitiker?Beides. Ich bin aus Idealismus Realpolitiker geworden. Ich wollte früher schlicht die Welt retten und ich bin immer noch dabei.
Bayern München oder SC Freiburg?SC Freiburg! Wobei ich natürlich im Allgäu großgeworden bin und Bayern München-Fan zu Zeiten von Beckenbauer war... Da bitte ich um Nachsicht!
Sie sind vom idealistischen Bayern München- zum realpolitischen SC Freiburg-Fan geworden!Wobei Bayern München ja damals noch der Verein war, der weniger Tradition hatte als der 1860 München e.V. 1969. Als ich Bayern-Fan wurde, sind die das erste Mal in der Bundesliga Erste geworden. Also Bayern München war damals auch nicht das, was es heute ist... Aber das war alles weit vor Ihrer Zeit!
Vermutlich... Bier oder Wein?Wein.
Französischer oder Badischer?Deutscher Weißwein, französischer Rotwein.
Veganes Restaurant oder Steakhouse?Steakhouse.
Morgen- oder Nachtmensch?Vom Biorhythmus her Nachtmensch, vom gelebten Rhythmus her Morgenmensch. Ich bin sicher, wenn ich irgendwann nicht mehr arbeite, werde ich lange ausschlafen und spät ins Bett gehen. Heute ist es umgekehrt: Ich stehe um halb sechs auf.
Das ist wirklich früh. Beethoven oder Stones?Beet... quatsch Stones! Ich hör gern klassik, aber ich hab eigentlich gar keine Ahnung, ich hab von Pop mehr Ahnung.
Wie waren Sie denn als Student? Streber oder Partyhengst?Ich hab mit 22 eine Tochter gehabt, da ergibt sich die Antwort von selber. Ich war sehr diszipliniert oder musste mich sehr disziplinieren, weil man mit einem kleinen Kind kein Partyhengst sein kann.
Aber hätten Sie sich als Studi an das Ruhesignal der Säule der Toleranz gehalten? Ja oder Nein?Ich hätte drüber gelacht - ich lache ehrlich gesagt auch heute drüber. Ich hab auch nicht wirklich geglaubt, dass das funktioniert!
Schlossberg oder Münsterplatz oder was ist Ihr Lieblingsort in Freiburg?Der Feierling-Biergarten, in dem ich in den Achtziger Jahren sechs Jahre lang gearbeitet hab, im Sommer.
Daran anschließend, ein paar Fragen zum Abschluss: Was würden Sie einem Touristenpaar antworten, das einen Abend in Freiburg ist und Sie fragt, was es hier unternehmen soll?Also im Sommer würd ich sagen: „Geht in den Feierling und ihr werdet merken, dass wir hier wirklich eine südliche Atmosphäre haben, wenn es draußen warm ist. Es gibt wenige Städte in Deutschland, wo man nachts um elf noch im T-Shirt draußen sitzen und einfach das Leben genießen kann." Das würd ich im Sommer sagen. Und im Winter ist es schwierig, da kann man nur Hinterhofveranstaltungen machen. Dann ist die Frage, wie die Touristen drauf sind, was die erleben wollen. Also für unser Nachtleben sind wir nicht berühnmt, man wird auch Sechzigjährige nicht in Studentenkneipen schicken können. Was wir natürlich haben, sind kulturelle Zentren, wo es von Kabarett über Tanz über Lesungen alles gibt. Es gibt jede Menge Opern- oder Orchester- oder Choraufführungen - das hängt wirklich von dem Paar ab, das müssten Sie mir näher schildern, was für ein Paar Sie im Auge haben.
Das führt vielleicht zu weit...Fragen Sie doch nicht so viel!
Es gibt ja so einige Klischees, die über Freiburg, besonders Vauban im Umlauf sind. Würden Sie sagen, Sie sind ein Öko-Spießer?Es gibt doch diese Werbung von der Volksbank, wo der Kleine zum Papa sagt, „Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden." und der völlig entsetzt ist. Also wenn man älter wird, wird man gesetzter und denkt wahrscheinlich auch, dass es bei manchen Regeln gut ist, dass es sie gibt. Ob man dadurch Spießer wird, weiß ich nicht.
Ich fühl mich in meinem Herzen als sehr liberaler Mensch, was mir manchmal vorgeworfen wird. Als ich zum Beispiel gegen den Kommunalen Ordnungsdienst gestimmt habe, hab ich gesagt: „Wenn man mir erzählen könnte, dass es tatsächlich gelingen würde, den Lärm durch 18 Menschen in der Innenstadt zu reduzieren, dann würd ich das ja glauben. Aber ich bin nicht überzeugt davon, dass man Lärm in der Innenstadt durch Ordnungspolizei bekämpfen kann. Ich glaube und diese Liberalität setzt eigentlich voraus, dass die verschiedenen Nutzungen, die eine Stadt braucht, dass die Einwohner miteinander tolerant umgehen. Dass die einen vielleicht nicht immer so viel Lärm machen, wie sie gerne machen würden und dass die anderen vielleicht etwas mehr Lärm ertragen als die Polizei erlaubt. Das würd ich mir wünschen, dass die Leute untereinander toleranter werden, dass man andere auch so sein lässt, wie sie sind.
Also zum Beispiel jetzt „Sand im Getriebe": Ich hab überhaupt nichts gegen Wagenburgen, nur wenn die jetzt natürlich Ansprüche stellen wie die Weltmeister, dann muss ich sagen, sind die halt auch nicht besser als andere. Völlig in Ordnung, aber hinten anstellen, so ungefähr.
Also auf Kompromisse hinarbeiten. Und zum Abschluss: Wo sehen Sie Freiburg in 20 Jahren? Was wird sich verändert haben und was möchten Sie verändern?Die Stadt wächst. Und dass die Stadt wächst, finde ich gut, weil die Zahl der Arbeitsplätze wächst und es den Freiburgern insgesamt besser geht als es ihnen vor 30 Jahren gegangen ist. Weil es hier vor 30 Jahren Riesenprobleme gab mit Arbeitslosigkeit, mit Leerständen. Dass die Stadt jetzt wächst, verursacht allerdings auch wiederum Probleme, um die wir uns kümmern müssen und das sind aber eigentlich eher Herausforderungen. Eine wachsende Stadt heißt - darüber haben wir gesprochen -, dass wir Wohnungen schaffen müssen, dass wir Gewerbegebiete ausweisen müssen, dass wir Schulen, Straßen, Kindergärten bauen müssen. Das kostet alles Geld und das Geld muss man auch erst mal verdienen. Aber das sind Herausforderungen, denen ich mich gerne stelle.
Ich habe Kollegen, die haben schrumpfende Städte mit Infrastruktur, die nicht ausgelastet ist, die abgewickelt werden muss und wenn Sie den Leuten mal erklären müssen, dass man die Schule zumachen muss, den Kindergarten zumachen muss, die ganzen Supermärkte zumachen... Das ist deprimierend.
Also lieber eine wachsende Stadt. Und wo ich hinkommen will, ökologisch, dass wir tatsächlich unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele, die ja national und international bewundert werden, dass wir die tatsächlich auch erreichen. Wir sind auf gutem Wege, aber längst noch nicht da, wo wir hinkommen wollen. Wir wollen bis 2013 15 Prozent CO2-Reduktion haben, wir haben pro Kopf jetzt 29 Prozent geschafft, wir sind gut unterwegs, aber wir sind noch längst nicht da, wo wir hinkommen wollen und da müssen wir noch viele Anstrengungen unternehmen.
Das Interview führten Jaakko Kacsóh und Louisa Theresa Braun.