Die rote Vita haftet an dem Gebäude wie an nur wenigen anderen Orten, klebt in bunter Farbe an seinen hohen Wänden, in Parolen wie „Bullen raus", in Plakaten mit Demoaufrufen, am häufigsten wohl in dem Wörtchen „Antifa". Vielleicht sind die Mauern des Gebäudes Lektüre aus 25 Jahren, seit die Rote Flora 1989 besetzt worden ist, vielleicht zeigen sie aber auch nur die Sprüche, die seit der letzten Party entstanden sind; denn hier darf jeder den Pinsel schwingen. Doch ein viel größerer Teil linkspolitischer Geschichte verbirgt sich bescheiden und konventionell in Form von Tinte auf Papier in einem einzigen Raum der Flora im ersten Stock: im Archiv. Hier reihen sich Regale voller Ordner und Kisten aneinander, beschriftet mit Jahreszahlen, aber auch Titeln wie „Gegenwind". Seit den Sechziger Jahren gesammelte Dokumente der linken Szene befinden sich an diesem Ort, sortiert nach Zeitschriften, Broschüren und Diskussionspapieren sowie Pressemitteilungen. Allein 4.500 Zeitschriften haben sich im Laufe der Jahre bereits angesammelt. Verwaltet wird das „Archiv der sozialen Bewegungen" von einem gemeinnützigen Verein, derzeit aus etwa 12 Leuten bestehend.
Wie die Vergangenheit der Roten Flora präsentiert sich auch ihre Gegenwart: Mal laut und angriffslustig, in wilden Partys und Aufsehen erregenden Demonstrationen. Viel öfter aber in Diskussionen, geführt von kleineren Runden ehrenamtlicher Aktivisten. Dazu gehören auch Jette und Klaus aus dem Presseteam der Flora. Klaus, Mitte 30, groß, schwarzer Kapuzenpulli und kurze dunkle Haare, ist hier seit etwa sieben Jahren aktiv. Dreht sich eine Zigarette der Marke Canuma nach der anderen und raucht sie, während er mehre Flaschen Club Mate trinkt. Jette, etwas jünger, sehr viel kleiner, ebenfalls schwarzer Pulli und rötliche zusammengebundenen Haare, ist vor fünf Jahren zur Roten Flora gekommen. Raucht nicht und trinkt auch keine Club Mate. Das linke Zentrum sei ganz anders als viele denken, betont sie. Viele betrachten sie als „Partytempel". Für einige Unterstützer ist sie ein Symbol - für die Mietpreisbremse, die Aufnahme von Flüchtlingen aus Lampedusa, den Erhalt der Esso-Häuser.
Um all das ging es auch im Dezember letzten Jahres, bei einer Demonstration, die überregional Schlagzeilen machte. Für all das steht auch die von linken Demonstranten auf dieser Demo geschwenkte Klobürste - wahrscheinlich der erste derartige Haushaltsgegenstand, der überregional Schlagzeilen machte: „Ein Symbol gegen Repression und Sicherheit", erklärt Klaus. Um genau zu sein: „die gefühlte öffentliche Sicherheit. Es ist eine Hamburger Spezialität, Gefahrengebiete einzurichten." Gebiete, in denen das Gesetz für eine gewisse Zeit zu Gunsten der Polizei sehr flexibel wird. Als die Stadt Hamburg in Folge der vergangenen Demonstrationen fast die ganze Sternschanze und halb St. Pauli zur Sperrzone erklärte und damit Tausende von Menschen unter Generalverdacht gestellt wurden, flammten erst recht Proteste auf. Am 21. Dezember 2013 erreichte die Unzufriedenheit ihren Höhepunkt auf einer Demonstration der Kampagne „Flora bleibt unverträglich". Mit Gewalt seien Polizeibeamte gegen die Demonstranten vorgegangen, hätten etwa 500 Menschen verletzt, während im Polizeibericht von drei bis sieben zivilen Verletzten die Rede gewesen sei. Auch dies ein Ereignis, das überall mit der Roten Flora in Verbindung gebracht wird. Aber das linke Zentrum ist nicht nur ganz anders, es ist noch viel mehr.
Während Klaus sich eine Zigarette dreht, versucht er seine Motivation für das Engagement in der linken Szene zu erklären: Dinge anders machen können, Dinge, die er nur hier anders machen könne als die restliche Gesellschaft, „die im Grunde auch nur Ideologie ist." Dazu gehören kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Vorträge, Poetry Slam oder auch mal eine Modeshow. Die VoKü im Café-Bereich der Flora. Die konspirative Anzahl von Gruppen (Klaus und Jette wissen nur, dass 150 Schlüssel des Gebäudes an Gruppen und Einzelpersonen vergeben sind), die sich hier für Bandproben, im Archiv oder auch zum Training treffen - hauptsächlich Kampfsport wird hier getrieben, wovon die schweren Boxsäcke zeugen, die im Sportraum der Roten Flora von der Decke hängen. Dazu gehören auch die politischen Gruppen, die sich für links- oder umweltpolitische Themen engagieren, oder auch für die Rote Flora selbst. So zum Beispiel das Bauteam, das zum 25-jährigen Jubliäum den Plan F25 anvisiert: den Bau eines neuen Treppenhauses, die Vergrößerung des Cafés, eine behindertengerechte Toilette sowie eine bessere Nutzbarkeit der Räume für zusätzliche Kulturveranstaltungen wie Theater und Ausstellungen. Andere kümmern sich um die Fahrradwerkstatt, um die Druckwerkstatt oder, wie Jette und Klaus, um die Pressearbeit. Um Stadtteilpolitik in der Art von Parteiarbeit kümmert sich niemand. Das sei nicht der Stil der Linken. Damit hätte man schließlich das System akzeptiert.
Das System sieht so aus, dass der Hamburger Senat im März 2001 einen „Deal" mit dem Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer gemacht und ihm das ehemalige Musical-Theater - die „Problemimmobilie" - für damals noch 370.000 DM verkauft habe. Teilweise sei der Flora das zu Gute gekommen, wenn die Stadtpolitik zum Beispiel gerade CDU-dominiert war, wie zwischen 2001 und 2011 unter den Ersten Bürgermeistern Ole von Beust und Christoph Ahlhaus. Momentan sei der politische Wille der Stadt jedoch eher florafreundlich, sagt Klaus, während er seine Zigarette ausdrückt. Und Klausmartin Kretschmer dürfe die Rote Flora ohnehin nicht antasten - er ist vertraglich verpflichtet, das Gebäude als autonomes Kulturzentrum zu belassen und keine Umbaupläne vorzunehmen. Und wenn er es doch versucht... Klaus und Jette haben offenbar keine Bedenken, dass man ihnen die Flora wegnehmen könnte. Niemals würden sie sich mit Politikern an einen Runden Tisch setzen und verhandeln. Der „Stil der Linken" ist nonkonformistisch. Im Zweifelsfall ruft sie zu einer neuen Demo auf - so wie am 21. Dezember 2013.
Ähnlich halte man es auch mit den öffentlichen Medien. Die „bourgeoise Systempresse", wie viele von ihnen sagen, die Tatsachen verdrehe, repressive staatliche Gewalt rechtfertige und progressive Ideen denunziere. Kann den Linken ja eigentlich egal sein. Haben ja ihre eigenen Medien. Ganz so egal scheint Klaus und Jette dann aber weder die Systempresse noch die öffentliche Meinung zu sein. Ein Interview in der Zeit vom Januar 2014, das die Aktivisten als realitätsferne und unmündige, von einem militanten Kollektiv Unterdrückte darstellte, hat sie wohl mehr gekränkt als sie zuzugeben bereit sind. Zu viel Zeit habe man in des Interview mit den Journalisten investiert, die letztlich nur eine persönliche Story zu erzählen versucht hätten. „Es kommt auf die Sache an, nicht auf die Personen", findet Jette. Die Sache. Da ist man wieder bei den Dingen angekommen, die die Flora ausmachen sollen, die so schwer zu fassen und überhaupt ganz „anders" sind, wie ja immer wieder betont wird.
Da kommt wieder die Geschichte der linken Szene ins Spiel, Vergangenheit und Gegenwart, keine konkreten Aussagen über die Zukunft, nur die Überzeugung, „Dinge verändern zu können", wie Jette sagt. Ob das typisch für Hamburg ist? Nein, das nicht, „Hamburg ist gar nicht so tolerant wie alle immer tun", sagt Klaus. Das würde man auch nicht wollen, dass die Flora den Zeitgeist der Stadt repräsentiert. Ihre Bedeutung habe sich mit den Jahren allerdings auch verändert. Früher sei die Hamburger linke Szene viel mehr um das Gebäude konzentriert gewesen, heute geht man ins Internet, wenn man sich nur über Verantstaltungen informieren will. Außerdem gibt es noch andere linke Kulturräume wie die B5, die Brigittenstraße 5 in St. Pauli.
Schließlich fällt der Satz, der die Rote Flora, ihre Geschichte - weniger die in den Ordnern als die an den bunten, wild bemalten Wänden - und sogar ihre Zukunft am besten zum Ausdruck bringt. Fast beiläufig, während Klaus sein Club Mate austrinkt und neuen Tabak hervorholt, sagt er: „Wir sind groß, unberechenbar und unübersichtlich; und wir müssen groß und unberechenbar bleiben."
Louisa Theresa Braun