Lorraine Haist

Journalistin, Autorin, Texterin, Berlin

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Erlebnishunger

Auf die Kinokuppel des Speisesaals im "Alchemist" werden zu den Gerichten passende Bilder projiziert. Hier sind es Quallen. Fotocredit: Claes Baech Poulsen

Das Restaurant "Alchemist" in Kopenhagen gilt als Neueröffnung des Jahres. Auf dem Speiseplan: Fine Dining als Drama mit 50 Gängen in fünf Akten.

Unterhaltung nach amerikanischem Vorbild hätte man in Kopenhagen zuletzt erwartet. Wobei zumindest die Lage ideal wirkt für dieses Restaurant: Refshaleøen ist eine Halbinsel mit postindustrieller Mad-Max-Kulisse; wo früher Schiffe gebaut wurden, haben sich heute die Vordenker der weltbekannten Kopenhagener Foodszene niedergelassen, René Redzepis neues "Noma" liegt ebenso in der Nachbarschaft wie Matt Orlandos Restaurant "Amass" oder dessen neue Craft-Brauerei. 

Da steht man also nun vor einem vier Meter hohen Bronzeportal, verziert mit einem Relief aus knorrigen Bäumen, dazu Reminiszenzen an Rodins "Höllentor", spätmittelalterliche Endzeit-Visionen von Hieronymus Bosch und Saurons Festung in Mordor. Einen Namen oder eine Hausnummer gibt es nicht. Das ist auch gar nicht notwendig, denn der Tür-Koloss öffnet sich wie von Geisterhand, kaum taucht man davor auf. Was sich dahinter verbirgt, gehört gerade zu den meistumraunten Themen der internationalen Fine-Dining-Szene.

Das "Alchemist" ist ein Restaurant mit Ansage. Anders als bei den Nachbarn, die dem Terroir huldigen und ihre Demut vor der Natur mit so edlem wie schlichtem Interieur inszenieren, wird hier in jeder Hinsicht maximal auf die Pauke gehauen. In der riesigen Lagerhalle bewahrte zuvor das Königlich Dänische Theater seine Kulissen auf, nun verspricht hier das im Sommer eröffnete Restaurant eine sechsstündige Expedition durch die endlosen Möglichkeiten des Essens - auf 2000 Quadratmetern und drei Etagen, in fünf Akten mit 50 Gängen, begleitet von Schauspielern und 35 Köchen, die sich um 40 Gäste pro Abend kümmern. Wählt man die günstigste Weinbegleitung, ist man 530 Euro los.

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