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Der Sturmbeobachter


Kelvin K. Droegemeier trägt einen strengen Seitenscheitel und ein angestrengtes Lächeln. Zumindest zeigt ihn das erste Foto so, das die Suchmaschine ausspuckt. Unter dem Foto steht seine neue Jobbezeichnung: »Director, White House Office of Science and Technology Policy«. Seit 11. Januar 2019 ist Kelvin K. Droegemeier Chef dieser Institution, des OSTP, und wissenschaftlicher Berater von US-Präsident Donald Trump. Droegemeier ist Meteorologe und der erste Nicht-Physiker auf diesem Posten. Und der erste, der diese Stelle überhaupt bekleidet seit Trump zum Präsidenten gewählt wurde. In den ersten zwei Amtsjahren Trumps war der Posten unbesetzt.

Umso größer war die Freude in der Wissenschaftsgemeinschaft. Schon nach Droegemeiers Nominierung zum OSTP-Direktor am 1. August 2018 hielt US-Senator Jim Inhofe eine Lobrede. »Alles, was wir über Kelvin Droegemeier wissen müssen, ist: Er ist verantwortlich dafür, dass so viele Leben gerettet werden konnten in Oklahoma.« Noch dazu habe er ein großartiges Lächeln, sei berühmt, lustig und unterhaltsam. Inhofe war sicher, Droegemeier werde einen tollen Job machen, genauso wie er einen tollen Job gemacht habe in der Vorhersage von Gewittern und Tornados, die Oklahoma jedes Jahr heimsuchen. »Es gibt niemanden in Amerika, der besser qualifiziert ist für den Job, da sind sich Demokraten und Republikaner einig.«

Ist er das? Und wer ist überhaupt Kelvin Kay Droegemeier, dieser Mann, der Trump in wissenschaftlichen Angelegenheiten berät und die Zukunft der USA maßgeblich beeinflussen könnte? Droegemeiers E-Mail-Adresse steht auf seiner Webseite – ganz unten, unter einem Foto, auf dem er sein großartiges Lächeln zeigt, unter dem Ausspruch »God Bless America!!!« und unter einer Tabelle, in der Materialien zu den verschiedenen Kursen verlinkt sind, die Droegemeier an der Uni in Oklahoma unterrichtet hat. Auf eine Interviewanfrage antwortet er am nächsten Tag. Er bedankt sich für die Nachricht und verspricht, bald auf die Anfrage zu antworten. »Bald« ist bisher nicht eingetroffen. Darum muss es andere Möglichkeiten geben, ihm nahezukommen: Videos, Fotos, Artikel von und über ihn, Lebensläufe, ein 425 Tweets langer Social-Media-Feed – sie alle zeigen Ausschnitte einer Person.

Droegemeiers Leben ist 55 Seiten lang

Kelvin Droegemeier fährt Motorrad, eine Kawasaki Vulcan 1500 Classic. Er interessiert sich für Luftfahrt und Geschichte, er spielt Schlagzeug und fotografiert. Er ist länger verheiratet als er seinen Doktortitel hat und teilte seinen Followern in einem seiner ersten Tweets mit: »Meine Frau ist großartig, ich bin ein glücklicher Mann.« Er forderte seine Follower mehrmals dazu auf, Gott gehorsam zu sein, benutzt oft den Hashtag #lifechurchtv und schreibt: »Lass dich durch die Gegenwart eines Sturms nie zweifeln an der Gegenwart Gottes.« Er hatte mal braunes Haar, einen Schnauzbart und einen schwarz-weißen Hund.

Ein Klick auf den Lebenslauf auf seiner Webseite zeigt: In seinem Leben hat Droegemeier haufenweise Titel gesammelt, die es Moderatoren erschweren, ihn vorzustellen, ohne sich an den vielen Worten zu verschlucken. Er war Professor für Meteorologie an der University of Oklahoma, Mitbegründer des Center for Analysis and Prediction of Storms und des Engineering Research Center for Collaborative Adaptive Sensing of the Atmosphere. Bevor Droegemeier zum Direktor des OSTP ernannt wurde, war er Vize-Präsident für Forschung an der University of Oklahoma. Außerdem war er unter Bush und Obama Mitglied des National Science Board, dessen Ziel es ist, Ausbildung und Forschung in allen Bereichen der Wissenschaft und Technologie zu unterstützen. Er hat das Unternehmen Weather Decision Technologies, Inc. gegründet, war Hauptplatzanweiser seiner Kirche, der LifeChurch, und bekam einen Preis für den besten Artikel im Journal of Research Administration. Sein Leben ist 55 Seiten lang.

Langeweile im Sommer, Sirenengeheul im Frühjahr

Kelvin Droegemeier ist am 23.09.58 in Ellsworth, Kansas, geboren, im Tornado Alley, dem Gebiet im Mittleren Westen der USA, das die perfekten Bedingungen bietet für die tödlichen Wirbel. Laut der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zerstören rund 1.000 Tornados pro Jahr Städte und Dörfer in den USA und töten im Schnitt 70 Menschen. Bereits in seiner Kindheit beobachtete Droegemeier fasziniert, wie schnell sich das Wetter ändern kann. Das erzählt er im Juni 2016 in einem Podcast namens STEM-Talk. Er erinnert sich, wie er sich in den Sommern langweilte, weil es dort nichts zu beobachten gab. Im Frühjahr hingegen konnte er zusehen, wie sich die trockene heiße Luft aus dem Südwesten, feuchtwarme Luft aus dem Südosten und trockenkalte Luft aus dem Nordwesten übereinanderschichten und Gewitter aufzogen. Wenn die Windgeschwindigkeiten am Boden und in der Luft verschieden sind, können sich Tornados daraus entwickeln. Er erinnert sich, wie Sirenen heulten, wie er aus dem Fenster schaute und angsteinflößende schwarze Wolken sah und er mit seiner Familie in den Keller floh. Die Gefahr von Tornados liegt im Überraschungsmoment. Sie sind klein und bilden sich schnell, darum sind sie schwer vorherzusagen.

Irgendwann wollte er wissen: Wie entstehen Gewitter? Welche Wolken verwandeln sich in Tornados und welche nicht? Er ging an die University of Oklahoma, immer noch im Tornado Alley, weil es nicht weit weg war von seiner Heimatstadt und weil er Fan des Footballteams war, und schrieb sich ein für das Bachelorstudium in Meteorologie. Seine Ferien verbrachte er damit, auf die Gefahr zuzusteuern, wie die Sendung »In Search Of… Tornados« von Leonard Nimoy zeigt. Darin läuft Droegemeier im kurzärmligen grüngemusterten Hemd und mit Stativen beladen auf ein Auto zu. An der Fahrertür steht »U.S. Government Severe Storm Spotter«. Die Sturmbeobachter fahren auf den Sturm zu und halten ihn auf Video fest, um ihn später zu analysieren. Was sie antreibt, so der Sprecher, sei nicht die Suche nach Abenteuer, sondern Teil einer Aktion zu sein, die Leben rettet.

Droegemeier machte seinen Bachelor an der University of Oklahoma, wechselte dann für seinen Master und PhD in Atmosphärenwissenschaften an die University of Illinois Urbana-Champaign und schrieb 1985 seine Dissertation über die numerische Simulation von Gewitterausbruchsdynamiken. Im selben Jahr ging er zurück nach Oklahoma, um an der Uni Meteorologie zu unterrichten und um Gewitter dreidimensional am Computer zu simulieren.

In den Jahren danach erlebte er drei, vier Jahrhundertstürme. Er sah Tornados, die 120 Meilen pro Stunde schnell waren, einer riss seinem Auto die Windschutzscheibe weg, erinnert er sich im STEM-Talk. Mit der Zeit wurde Droegemeier klar, dass Tornados zu erforschen auch heißt, Menschen zu erforschen – und ihr Verhalten in Extremsituationen. Nur so wird sich das Ziel erreichen lassen, das er sich gesetzt hat: Null Tote. Er sagt: »Wenn jemand das schafft, dann die USA.«

Geld und Hoffnung

Diesen Glauben in die USA haben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verloren, als Donald Trump Präsident wurde und nach nur zwei Monaten im Amt gedroht hat, verschiedenen wissenschaftlichen Stellen die finanziellen Mittel zu kürzen. Umso größer waren die Hoffnungen, als Trump den Meteorologen Droegemeier als seinen wissenschaftlichen Berater eingesetzt hat.

Im Februar 2019 etwa eröffnete der Physiker Rush D. Holt das jährliche Treffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) mit seiner Hoffnung: Er hofft, Droegemeier schaffe es, klar zu kommunizieren, dass der Mensch das Klima verändert, dass dies Geld und Leben koste und dass etwas getan werden müsse. »Die Regierung soll verstehen, und wir hoffen, dass Dr. Droegemeier ihr helfen wird zu verstehen: Die Finanzierung ist suboptimal; dies ist nicht die Zeit, um die staatliche Finanzierung von Forschung zu reduzieren«, sagte Holt.

»In seiner ersten Rede als OSTP-Direktor sagte Kelvin Droegemeier, schon die Nominierung habe ihn umgehauen. Er sagte: »blown away«, was gut passt zu jemandem, der Tornados erforscht. Er zog die Nase hoch, zeigte immer mal wieder ein zahnloses Lächeln und sagte: »Ich bin einer von euch.« Er meinte, er ist Forscher und Lehrer und das Erforschen der Grenzen von Wissen seine Leidenschaft. Seine Sprache aber ist die eines Politikers: »Wir wollen dafür sorgen, dass die USA die Welt anführen in Wissenschaft und Technologie.« »Präsident Trump hat sich einer Agenda verschrieben, die amerikanische Entdeckungen und Innovationen entfesselt« – so steht es in seinem ersten Artikel auf der offiziellen Seite des OSTP, und so ähnlich las er es während seiner ersten Rede ab.

Am Ende der Rede verzichtete er auf Fragen aus dem Publikum. Er stellte sich dafür einige Fragen selbst: Warum er Oklahoma und damit die Tornados verlassen habe, um nach Washington zu gehen? Weil es keine bessere Zeit gebe, um Wissenschaft zu fördern. Weil unser Verständnis, unsere Werkzeuge, unser Zugang zu Informationen und Daten, unsere unglaublichen Ideen unglaubliche Dinge kreieren. Was im Office of Science and Technology Policy passiere? Ob dort überhaupt jemand arbeite? Ob den Präsidenten die Wissenschaften interessierten? »Absolut. Wissenschaft und Technik leben und es geht ihnen gut unter Trumps Regierung.«

Inspirieren statt kalkulieren

Droegemeier ist jemand, der Fragen gern mit »absolutely« beantwortet und mit Begeisterung. Die Begeisterung rührt meist daher, dass er davon spricht, wie stark sich etwas entwickelt hat von der Vergangenheit in die Gegenwart und wie viel besser es noch in der Zukunft wird – egal ob es um die Möglichkeiten geht, Wetter oder Tornados vorherzusagen, oder darum, wie großartig sich Amerika entwickelt zur Nummer eins in Wissenschaft und Technik. Doch er weiß auch, dass man das Wetter nur bis zu zehn Tagen relativ gut vorhersagen kann und dass Meteorologen wohl nie über das Wetter in zwei Wochen sprechen können werden. Und er weiß, dass in den USA immer öfter Privatunternehmen wissenschaftliche Forschung fördern und die Regierung immer weniger Budget zur Verfügung stellt.

Doch Droegemeier will nicht über Geld sprechen, sondern inspirieren: »Unsere Erfindungen verbreiten Wissen, unsere Innovationen inspirieren Hoffnung, unsere Fortschritte retten Leben.« Am Ende fragte sich Droegemeier selbst, ob er Ideen für neue Forschungsinitiativen habe. »Oh mein Gott, die habe ich absolut. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, mit euch zu arbeiten, die diese Ideen haben […] heute ist nur der Beginn eines Gesprächs, das die Welt zum Besseren wandeln kann. Eure Arbeit wird die Welt inspirieren und verändern.«

Und was ist mit dem Klima?

Im Mai 2019 gründete Droegemeier das Joint Committee on the Research Environment, um damit drei Ziele anzugehen, die er sich gesetzt hatte: Er will verwaltungstechnische Hürden minimieren, Probleme lösen bei sexueller Belästigung in der Wissenschaft und ein offenes und zugleich sicheres Forschungsumfeld schaffen. Was noch kommt? Das beantwortet er der Harvard Gazette im Januar 2020:
Die Prioritäten liegen auf den Industrien der Zukunft, die Diversität und Inklusion in der Wissenschaft zu verbessern ist ebenfalls eine große Priorität.« Die USA investieren also in Quantencomputer, Biotechnologie, Künstliche Intelligenz – und was ist mit dem Klima?

Sein Job sei es, die besten wissenschaftlichen Erklärungen zu sammeln und anderen zu helfen, sie zu verstehen – so erklärt es Droegemeier dem Lifestylemagazin VICE im März 2019. Es klingt, als habe er diesen Satz schon oft gesagt, obwohl er damals erst zwei Monate im Amt ist. Er wiederholt ihn gern, wenn ihm kritische Fragen gestellt werden: Wie reagieren Sie, wenn der Präsident twittert, der Klimawandel sei nicht real? Sprechen Sie mit ihm über diese Tweets? Haben Sie eine Meinung dazu? Stimmen Sie mit der Meinung von Physiker William Happer überein, der sagt, CO2-Emissionen seien gut für den Planeten? Droegemeier, der sichtlich Mühe hat, seine Mimik unter Kontrolle zu halten, sagt ruhig: »Wie gesagt, meine Rolle ist es, die besten wissenschaftlichen Erklärungen zu sammeln und anderen zu helfen, sie zu verstehen.«

Stummes Lächeln

Informationen sammeln und erklären, das macht Droegemeier schon sein halbes Leben lang. Mit Kolleginnen und Kollegen hat er Informationen gesammelt über Tornados, sie beobachtet, gefilmt, analysiert, bis er es geschafft hat, sie vorherzusagen – nicht, wie in den 2000ern, zwölf Minuten, bevor ein Tornado die Dächer von Häuser abreist und mitnimmt, was ihm im Wege steht. Sondern ein, zwei Stunden vorher. Er kann wunderbar erklären, was Nichtlinearität ist (»Jeder Teil der Atmosphäre spricht mit jedem anderen Teil der Atmosphäre. Ein kleiner Wirbelsturm in Oklahoma kann Einfluss haben auf das Wetter in einer Woche an einem ganz anderen Ort der Welt«), wie Menschen sich verhalten, wenn man ihnen sagt, dass in einer Stunde ein fürchterlicher Tornado über das Land hinwegfegt, auf dem sie gerade stehen, und warum sie trotzdem ins Auto steigen und wegfahren, obwohl der letzte Ort, an dem man in einem Wirbelsturm sein möchte, ein vierrädriges Geschoss ist.

In einem Interview mit WeatherWorld antwortet Droegemeier auf die Frage, wie er den Präsidenten in Klimafragen beraten will: »Wir müssen erst feststellen, was wissen wir, was wissen wir nicht, und was können wir tun, um Fortschritte zu machen in der Wissenschaft.«

Droegemeier warnt vor Tornados, aber in der Klimakrise bleibt er stumm. Vermutlich ist es nicht so einfach, Wissenschaftler zu sein und einen Präsidenten in wissenschaftlichen Angelegenheiten zu beraten, der von Wissenschaft nicht viel hält. Was da hilft? Lächeln. Großartig lächeln.


Text
Lissi Pörnbacher ist Redakteurin beim Science Notes Magazin.

Illustration
Sandra Teschow ist Art Direktorin des Science Notes Magazin.


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