Die Modeindustrie ist eine rasante Branche: Bis zu 24 Kollektionen im Jahr bringt die spanische Bekleidungskette Zara auf den Markt, bei H & M sind es zwischen zwölf und 16. Doch der Fast-Fashion-Industrie, der Branche der schnellen Mode, ist im Lockdown ihr eigenes Tempo zum Verhängnis geworden. Im Januar prognostizierte der Handelsverband Textil, dass bis zu 500 Millionen unverkaufte Kleidungsstücke im deutschen Modehandel anfallen. Händlerinnen und Händler müssen Platz für die Frühlingsware schaffen – allerdings verursacht die nicht verkaufte Winterkleidung einen Stau. Vor vier Monaten wären die Mäntel noch trendig gewesen, kommenden Winter sind sie längst unmodisch. Für diese ganz eigene Logik haben die großen Modeketten in den beiden vergangenen Jahrzehnten gesorgt – die meisten Konsumenten machen brav mit.
Dass die Modehändler den Lockdown wirtschaftlich überhaupt überleben, dafür soll das dritte Paket der Überbrückungshilfen sorgen. Dank ihnen kann der Einzelhandel die Ware der vergangenen Wintersaison steuerlich abschreiben, schließlich unterliegt sie laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einer dauerhaften Wertminderung. Gleiches gilt übrigens für Hersteller und Großhändler verderblicher Ware – das sagt schon alles.
Das Ministerium unter Peter Altmaier (CDU) folgt damit der Marktlogik. Die sich stetig erneuernden Kollektionen haben aus Hosen, Jacken und Pullis Wegwerfartikel gemacht. Auch schon zuvor sind Ladenhüter wie Abfall behandelt worden: Bisher war es günstiger, nicht verkaufte Kleidung zu vernichten, statt sie etwa wohltätigen Zwecken zu überlassen, denn nach Vorgaben der EU unterliegen Sachspenden der Umsatzsteuer. Da setzt Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) an: Saisonware, die aufgrund des Lockdowns nicht verkauft werden konnte, soll der Handel zumindest in diesem Jahr umsatzsteuerfrei an karitative Einrichtungen spenden dürfen. Dafür hatte sich auch schon die Bremische Bürgerschaft ausgesprochen.
DAS PROBLEM BLEIBT BESTEHEN
Doch das Problem der Fast-Fashion-Industrie bleibt bestehen: ein enormes Wachstum an vor allem billig hergestellter Kleidung. 2014 wurden erstmals mehr als 100 Milliarden Stück Textilien neu auf den Markt gebracht. Prognosen zufolge sollen die Zahlen weiterhin stark steigen. Jeder Deutsche legt sich nach Angaben der Unternehmensberatung McKinsey jährlich im Schnitt etwa neue 60 Kleidungsstücke zu. Das sind doppelt so viele wie noch im Jahr 2000. Die Menschen tragen die Kleidung allerdings nur noch halb so lange.
Den wahren Preis für Profitgier und Konsumbedürfnis zahlen andere. Und zwar diejenigen, die unter bedenklichen Bedingungen in Ländern wie Bangladesch die Kleidung produzieren. Die Bekleidungsindustrie hat für einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung in dem südasiatischen Staat gesorgt; gerade für Frauen ist der Job als Näherin eine Überlebenschance. Wenn ein T-Shirt für drei Euro über die Ladentheke geht, bleibt für sie allerdings nicht viel übrig.
Auch die Umwelt wird durch die Textilindustrie enorm belastet: Ihr rasantes Wachstum wäre ohne Polyester nicht möglich. Die billige Kunstfaser wird aus Erdöl produziert. Konventionelle Baumwolle ist ökologisch betrachtet auch keine gute Alternative: Die Plantagen haben einen extrem hohen Wasserverbrauch und werden mit Pflanzenschutzmitteln vor Schädlingsbefall geschützt.
Altmaier und Scholz helfen der Industrie, die Pandemie zu überleben. Besser wäre es, würden gerade die großen Modeunternehmen mehr langlebige Kleidung aus nachhaltigen Materialien herstellen. Vorbilder gibt es, zum Beispiel das aus Köln stammende Label Armedangels. Das Unternehmen verkauft seine nachhaltige und fair gehandelte Mode in mehreren europäischen Ländern. Die Textilien sind teilweise teurer, aber wer braucht schon wirklich jedes Jahr einen neuen Wintermantel?
Käuferinnen und Käufer sollten ihrer Kleidung einen Wert beimessen, der über eine Saison hinausgeht. Dann machen sich auch die höheren Preise bezahlt – besonders für die Menschen, die die Textilien genäht haben.
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