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Politiker:innen auf TikTok: Von Kaninchenbauten und dem Weidelknecht - Canapé Magazine

Früher war alles besser? Eher nicht. Unsere Autorin ist sich aber sicher: Die Welt war eine andere, als das Internet für Politiker:innen noch Neuland war.

Die Zeiten, in denen Politiker:innen noch graue Wesen in Anzügen und Kostümen waren, die so ehrwürdig durch die Gänge des Bundestages schritten, dass ihnen jedes Fünkchen Menschlichkeit abgesprochen wird, sind lange vorbei. Das Ziel der Volksvertreter:innen heute: Möglichst eindrucksvoll beweisen, dass sie genau wie ihre Wähler sind – Menschen „wie du und ich”. Und dafür braucht es keine Fotostrecken à la Angela Merkel mehr, die sich jedes Jahr im Sommerurlaub für Deutschlands Yellow-Press beim Wandern ablichten ließ und danach wieder zuverlässig bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause verschwand. 

Heute gibt es das Internet. Jedes Ministerium und der Großteil aller Politiker:innen kann in den sozialen Netzwerken stattfinden und die eigenen Erfolge, Ziele und vor allem die eigene Person vermarkten. Wahlkampf und PR quasi in einem. 

Cringe für Klicks

Seit Kurzem hat die Politik auch TikTok als Plattform entdeckt, um gezielt junge Wähler:innen zu gewinnen. Menschen, die fast ein halbes Jahrhundert von den durchschnittlichen TikTok-Nutzer:innen trennt, führen trendige Tänze auf oder erstellen Memes zu TikTok-Sounds (leider bedeutet gewollt in diesem Fall nicht immer gekonnt). Und weil sich fast ausschließlich auf Unterhaltung konzentriert wird, kommt es ein bisschen so rüber, als würden Politiker:innen glauben, man könnte die Generation Z mit allem begeistern außer Inhalten – was angesichts der Proteste gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran oder für eine wirksame Klimapolitik, die vor allem junge Menschen anführen, vollkommener Unsinn ist. 

Teilweise driftet das, was auf TikTok geboten wird, ziemlich tief in den Cringe ab. Das beste Beispiel: Markus Söder. Auf seinem Instagram-Account tummeln sich – neben Schnappschüssen von offiziellen Anlässen – Bilder von verschiedenen Mahlzeiten (mit dem eigens kreierten #söderisst), Bilder von Söder beim Radfahren, beim Schwimmen, mit Tieren… Söder über Söder.

Dass der Bayerische Ministerpräsident ziemlich viel von sich hält und das auch gerne nach außen zeigt, geschenkt. Seine Partei macht sich das aber zu Nutze – Stichwort Bombshell-Gate: Im August veröffentlichte die CSU auf TikTok ein Video von Markus Söder. Begleitet von viral-tauglicher Musik stapft dieser breitbeinig durch den Landtag in München (eine „männlichere” Art des Gehens gibt es wohl kaum). Vergeblich der Versuch, ihn mit dem Bild des Sexsymbols („hot new bombshell”) zu verknüpfen, als das er angepriesen wird. Und auch der Fremdscham, den man unweigerlich beim Anschauen empfindet, schadet dem Erfolg nicht: Knapp 330 Tausend Mal wurde das Video inzwischen geliked.

Natürlich, das Ganze wirkt unterhaltend. TikToks wie diese beziehen sich aber nicht auf die Privatperson Markus Thomas Theodor Söder aus Nürnberg-Mögeldorf, sondern auf Dr. Markus Söder, den Bayerischen Ministerpräsidenten – eine politische Person, mit der in jedem Fall politische Inhalte verbunden sind, die in diesem Kontext aber vollkommen außer Acht gelassen werden.

Weidel-What?

Der Durchschnitt der TikTok-User:innen ist zwischen 14 und 24 Jahren alt – das sind vor allem minderjährige Nichtwähler:innen und Erstwähler:innen; junge Menschen, die gerade erst beginnen, sich aktiv mit Politik auseinanderzusetzen. Sie werden ohne Einschränkung auf TikTok mit politischen Inhalten und Parteiwerbung konfrontiert – ohne Abgrenzung, Differenzierung und Aufklärung.

Die Mehrheit der Erstwähler:innen stimmte bei der Bundestagswahl 2021 für B90/DIE GRÜNEN oder die FDP, die erfolgreichste Partei auf TikTok ist aber – Überraschung – die AfD. Zwar wurde im Mai 2022 der offizielle Partei-Account von der Plattform entfernt, das Ziel der AfD bleibt aber das Gleiche: TikTok mit den eigenen Inhalten zu fluten. Dabei wird hier eher auf Quantität statt auf Qualität gesetzt. Die unzähligen Videos, die Reden von Abgeordneten oder fingierte Informationsformate, werden nicht extra für TikTok produziert, sondern bereits vorher auf Facebook und YouTube veröffentlicht. Auf Accounts, die vermeintlich von Zivilist:innen geführt werden, stößt man ebenfalls auf Wahlwerbung und Reposts von alten YouTube-Videos – subtil ist anders. 

Ein Internetphänomen spielt der AfD besonders in die Hände: der „Weidelknecht”. Was klingt, wie eine heimische Spinnenart, beschreibt in Wahrheit Content, der seit einiger Zeit auf TikTok kursiert und AfD-Bundessprecherin Alice Weidel und Sahra Wagenknecht (Die Linke) ein Verhältnis andichtet. Ein Clip mit der Caption „Gegenteile ziehen sich an ” zeigt Alice Weidel, die kritisiert, dass Die Linke mit ihrer Distanzierung zu Sahra Wagenknecht einen großen Fehler machen würde. Es folgen Zusammenschnitte verschiedener Aufeinandertreffen von Weidel und Wagenknecht, untermalt von romantischem Sound. 27,5 Tausend Likes hat dieses TikTok – obwohl das Ship Couple „Weidelknecht” gar nicht existiert, was gar nicht weiter stört. Ein:e User:in kommentiert: „So süß die beiden Turteltäubchen”.

Offiziell ist die AfD zwar gegen die Ehe für alle und ihre Homophobie bekannt. Trotzdem springen die Troll-Accounts auf den „Weidelknecht”-Zug auf und verbreiten diese Edits weiter, um möglichst viele junge Wähler:innen zu erreichen, die AfD in ihrem Bewusstsein zu halten und mit positiven Assoziationen zu verbinden. Mit Erfolg. Ein:e andere:r Nutzer:in kommentiert: „Weidelknecht übernimmt einfach TikTok und mein Leben, aber irgendwie lieb ichs haha.” 

Allgemein ist der „Hype” um Alice Weidel auf TikTok ist äußerst fragwürdig. Die „wilde Lille” (so Weidels Name in Studienzeiten, der ihr von der TikTok-Gemeinde wiederverliehen wurde), wird für ihre Ausgelassenheit und klaren Ansagen gefeiert. „Best of”-Clips werden mit „tolle Frau” oder „jemand, dem man endlich wieder Vertrauen entgegenbringen kann” kommentiert. Dass „Lille” einige äußerst problematische Positionen vertritt, wird hier nicht thematisiert. In den ganzen Edits ist von Hetze gegen Migrant:innen, Leugnung des menschengemachten Klimawandels und der Nähe zur Querdenker-Szene nichts zu hören. 


In den Tiefen des Kaninchenbaus

Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, zur Unterhaltung dient das Ganze nicht. Die AfD verfolgt mit jedem Edit, jedem Repost, jedem Video ein Ziel: möglichst viele junge Nutzer:innen mit ihrer Ideologie zu infiltrieren.

Vielleicht gibt es ein, zwei Aussagen in diesen Videos, mit denen die Zuschauer:innen übereinstimmen. Da ist erstmal nichts dabei. Der Algorithmus merkt sich das aber und schlägt immer mehr Videos dieser Art vor. Um die User:innen an den Content zu binden, heißt es: je stärker, desto besser. Die Beiträge auf der „ForYou-Page” werden immer extremer und emotionalisierender. Damit einher geht bei den Nutzer:innen aber die Radikalisierungsspirale. Beitrag folgt auf Beitrag, Weltuntergangsszenario auf Weltuntergangsszenario. Von Videos der AfD ist es auf einmal nur noch ein kleiner Schritt in die rechtesten Ecken TikToks. Die ständige Konfrontation mit rechtem Gedankengut signalisiert eine kaputte Welt, eine gefährliche Weltverschwörung, gegen die unbedingt etwas unternommen werden muss. Junge, unerfahrene User:innen geraten immer tiefer ins sogenannte „Rabbit Hole” voller rechtsextremem Gedankenguts. 

Die ganze Situation zu verteufeln bringt hier aber nicht die Lösung. TikTok ist ein zentraler Teil der Internetkultur der Generation Z und Zensur oder ein Verbot gibt Rechtspopulist:innen und ihrem Mantra “man darf heute ja gar nichts mehr sagen” nur unnötigen Auftrieb. 

Für 15-Jährige, die zum ersten Mal unkommentiert mit politischen Inhalten konfrontiert werden, kann so eine Situation hingegen ziemlich verunsichernd und überfordernd wirken. Letztendlich ist es mit der AfD auf TikTok in gewisser Weise aber auch wie mit jeder anderen Form von Werbung: Das eigene Produkt, in dem Fall politische Inhalte, soll durch eine ausgeklügelte Marketingstrategie an die Verbraucher:innen gebracht werden. Wichtig ist deshalb, diese Art von Content bewusst zu konsumieren, zu hinterfragen, wer hier eigentlich warum postet, und sich im Notfall Hilfe und Beratung zu suchen. Und, auch wenn es vielleicht schwer fällt, einfach mal TikTok auszuschalten und den “Weidelknecht” das sein lassen, was er ist: pure Fantasie.  
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