Bewahrheiten sich die aktuellen Umfragen, wird die CSU in Bayern einen Koalitionspartner brauchen. Ein Kandidat: die Freien Wähler.
Düsseldorf Thorsten Glauber fing mit 16 Jahren seine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker an. Er arbeitete im Schichtbetrieb, machte sein Abitur nach. Um sich das gewünschte Architektur-Studium leisten zu können, ging er auf Montage. Bis in die Niederlande reiste er, um dort zu arbeiten. Weit weg von der Heimat, dem bayrischen 2000-Seelen-Dorf Pinzberg im oberfränkischen Landkreis Forchheim. Sein Fazit: Er weiß, wie es ist, hart zu arbeiten.
Inzwischen hat der 47-jährige Architekt sein eigenes Büro in Forchheim und sitzt seit zehn Jahren für die Freien Wähler im bayerischen Landtag. „Ich hatte schon immer das Gefühl, die Freien Wähler sind im Mittelstand tief verankert", sagt er. Das unterscheidet für ihn die Partei, die sich erstmals 1998 an der bayerischen Landtagswahl beteiligte, von dem Rest.
Die großen Parteien wie die CSU und die SPD würden die Gesellschaft nur noch bedingt widerspiegeln. Zu oft beschränke sich deren Berufserfahrung auf den politischen Alltag, so Glauber. Juristen, Lehrer und Staatsbeamte seien in der Politik überproportional vertreten, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene.
Da wundern ihn die schlechten Umfragewerte nicht. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge sind mehr als die Hälfte der Bayern unzufrieden mit der Arbeit von Ministerpräsident Markus Söder, in den Umfragen der vergangenen Wochen dümpelte die Partei des Ministerpräsidenten zwischen 34 und 39 Prozent. Bei der vergangenen Wahl hatte die CSU noch 47,7 Prozent erreicht.
„Die CSU regiert am bayerischen Bürger vorbei. Söder plant ein bayerisches Raumfahrtprogramm, während viele auf dem Land kein Handynetz haben", kritisiert Glauber. Die Politiker müssen seiner Meinung nach wieder dem Bürger nachkommen. So wie es die Freien Wähler seiner Meinung nach immer wieder tun.
Vor allem in der Kommunalpolitik ist die Partei fest verankert. Jeder dritte Bürgermeister gehört zu den Freien Wählern, insgesamt stellen sie fast 600 Bürgermeister und 14 Landräte. Die meisten Stimmen sammeln sie auf dem Land. Schon früh war für Glauber klar, dass er sich einmal den Freien Wählern anschließen wird. Seit 2002 gehört er dem Gemeinderat seines Heimatdorfes an, fünf Jahre später wurde er dort dritter Bürgermeister.
Der Abgeordnete findet es wichtig, stets mit den Bürgern seines Stimmkreises im Kontakt zu bleiben. Auf Schützenfesten und in den Brauhäusern seiner Heimat bekomme er das beste Feedback zu seiner Arbeit. Auch im Wahlkampf ist Glauber viel in Forchheim unterwegs, spricht Menschen auf der Straße und vor den Unternehmen der Region nach deren Arbeit an.
Denn genau das sei die Zielgruppe der Freien Wähler, die mit dem Slogan „Bayerns starke Mitte" für sich werben. Glauber hatte schon immer das Gefühl, dass die Partei tief im Mittelstand verankert ist. Dem stimmt auch Generalsekretär Michael Piazolo zu. „Wir fühlen uns sehr wohl in der Mitte", sagt er. Die bürgerliche Mitte ist eine hart umkämpfte Wählergruppe, wollen doch auch die FDP, die AfD, die CSU und die SPD diese Schicht erreichen.
Glauber und Piazolo sehen keine Konkurrenz mehr in der Mitte. Denn die CSU und die AfD seien weiter nach rechts gerückt, die SPD schon lange nach links. Zurück bleibe ein großes Loch in der Mitte, dass die Partei gerne füllen will. „Uns wird oft vorgeworfen, dass wir mit unserem Wahlprogramm nicht die großen Themen besetzen", sagt Glauber und meint damit unter anderem das Thema Migration. Er und seine Mitstreiter sind der Meinung, es gebe wichtigere Probleme in Bayern zu lösen.
Hauptpunkte im Parteiprogramm sind kostenfreie Kindertagesstätten und gleichwertige Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land. Die Menschen auf dem Land und in der Stadt hätten häufig die gleichen Probleme: Die Mieten werden teurer, die Plätze in Kindertagesstätten sind rar und teilweise sehr teuer. Nur müsse man die Probleme unterschiedlich angehen, wie es Generalsekretär Piazolo sieht.
Er ist eine Art Beauftragter für die Städte des Freistaats, ist er doch der einzige aus einer Großstadt. Punkten will die Partei in den Städten beispielsweise mit ihrer Forderung, die Gebühren für Kindertagesstätten abzuschaffen und Erzieher besser zu bezahlen.
Auf Nachfrage erklärt Piazolo, man könne sicherlich nicht jede Kita staatlich finanzieren, so manche dreisprachige Kindertagesstätte in München koste schließlich fast 900 Euro im Monat. Es gehe vielmehr darum, den Mittelstand zu entlasten und eine Betreuung von fünf bis sechs Stunden am Tag zu ermöglichen. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, haben die Freien Wähler bereits während des Wahlkampfs damit begonnen, Unterschriften für ihre Forderung nach kostenfreien Kitas zu sammeln.
Mit Hilfe von Volksbegehren haben sich die Freien Wähler in der Vergangenheit schon mehrfach durchgesetzt, wie die Abgeordneten meinen. So schaffte der Landtag in diesem Jahr die umstrittenen Straßenausbaubeiträge ab. Auch die Wiedereinführung von G9 und die Abschaffung der Studiengebühren bezeichnen die Freien Wähler als ihre Erfolge.
Nun soll die Zeit der Oppositionsarbeit vorbei sein. Das fordert zumindest der Fraktionsvorsitzende der Partei Hubert Aiwanger. „Wir werden wohl oder übel versuchen müssen, bei der CSU zu retten, was noch zu retten ist", sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Die Partei wolle mitregieren, denn glaubt man den Umfragen, braucht die CSU nach der Wahl einen Koalitionspartner.
Da bieten sich die Freien Wähler an, die in einigen Punkten mit der CSU übereinstimmen, an. Beide wollen das Handwerk und den Mittelstand stärken, sprechen sich für schnellere Asylverfahren aus und wollen Familien fördern. Die eine Partei spricht in ihrem Regierungsprogramm von einem bayerischen Familiengeld, die anderen fordern ein höheres Kindergeld. Söder scheint sich die Option zurecht zu legen, er verschont die Partei auffällig.
Ob es nach der Wahl überhaupt für eine Koalition der beiden Parteien reicht, ist unklar. Umfragen sehen die Freien Wähler zwischen acht und elf Prozent. Glauber rechnet mit einem Ergebnis von 13 Prozent.
Piazolo und Glauber bleiben eher zurückhaltend. „Wenn wir politisch gestalten können, sollten wir das auch tun", sagt Glauber und lässt so viel Interpretationsspielraum. Piazolo kündigt an, man werde definitiv nicht alles mit der CSU mitmachen. Eine dritte Startbahn am Münchener Flughafen werde es mit den Freien Wählern definitiv nicht geben. Auch beim Thema Stromtrassen sind sie anderer Meinung als der CSU. „Es darf keine Enteignungen für unnötige Großprojekte wie Mega-Stromtrassen geben", heißt es im Wahlprogramm.