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Mehr als Dekoration? Iranische Frauen in der Politik

Frauen haben in Iran seit 1979 wenig Rechte. Um Reformen zu ihren Gunsten kämpfen sie deshalb von innen. Gastautorin Lisa Neal analysiert die aktuelle Rolle iranischer Politikerinnen in diesem Prozess.

Von Lisa Neal, Berlin

Der friedliche Widerstand der Frauen in Iran findet an vielen Stellen statt - so auch bei der jüngsten Parlamentswahl. Viele Frauen weigerten sich, am 21. Februar ihre Stimme für die Kandidat*innen ihrer Wahlkreise abzugeben. Insgesamt nahmen nur etwa 42 Prozent der Bevölkerung an der Parlamentswahl teil - die niedrigste Beteiligung seit der Gründung der Islamischen Republik 1979. Es ist aber kein Zufall, dass es vor allem die Frauen sind, die nicht wählen gingen.

Parlamentarier*innen können das geistliche Regime zwar nur bedingt kritisieren, denn ihre Kritik kann schnell als „destruktiv" und damit als Gesetzesverstoß ausgelegt werden. Doch trotz der eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Mandatsträger*innen ist das Parlament ein Ort, an dem Diskussionen stattfinden und Frauenrechte bedingt zur Sprache kommen können.


Wie die Bevölkerung dem Regime eine Ansage machte

2016 gewannen weibliche Abgeordnete 17 der 290 Sitze im Parlament. Das waren so viele wie noch nie, während gleichzeitig die Zahl der Geistlichen im Parlament seit der Revolution immer weiter schrumpft. Bei der Wahl 2020 errangen laut Angaben des iranischen Innenministeriums wieder 17 Frauen Parlamentssitze (eine weitere könnte noch dazukommen), allerdings sind darunter weniger Kandidatinnen aus dem Lager der sogenannten Reformer.

Denn der klerikale Wächterrat befand vor der Wahl 9.000 von 16.000 möglichen Kandidat*innen für „unpassend"; sie entsprächen nicht den islamischen Standards. Dazu zählten vor allem die sogenannten Gemäßigten und Reformer - und auch einige Kandidatinnen. Viele iranische Frauen stimmen aber für Reformer, weil sich diese eher für eine Verbesserung der Frauenrechte einsetzen. Aus Protest gegen deren nun fast vollständige Sperre blieben viele Frauen und junge Leute den Wahllokalen fern. Ihr Boykott ist eine wichtige Ansage an das Regime, denn eine hohe Beteiligung gilt als Gradmesser der augenscheinlichen Legitimität: Indem sie nicht wählten, machten sie deutlich, wie gering ihr Vertrauen in die Führung ist.


Viele Iraner*innen sind wütend auf das Revolutionsregime, das die letzten großen Proteste im November 2019 gewaltsam niederschlagen ließ. Auch der Versuch, den Abschuss einer Passagiermaschine im Januar 2020 zu vertuschen, führte zu Wut in der Bevölkerung. Hinzu kommt der Frust über die harten Sanktionen, ökonomischen Missstände und die hohe Inflation von mehr als 30 Prozent. Fassungslos beobachten viele Iraner*innen nun, wie die Führung den Ausbruch des Coronavirus zuerst verschwiegen hat und nun versucht, dies als Erklärung für die geringe Wahlbeteiligung zu nutzen. Das könnte das Misstrauen großer Teile der Bevölkerung gegen das Regime verschärfen.


Politische Karrieren im Schneckentempo


Vom Ausschluss zur Wiederwahl betroffen sind auch die amtierenden Parlamentarierinnen Shahindokht Molaverdi und Parvaneh Salahshouri. Wenn das neue Parlament ab Sommer 2020 zusammenkommt, müssen sie gehen. die 54-jährige Soziologin und Reformerin Parvaneh Salahshouri hatte ohnehin angekündigt, nicht noch einmal antreten zu wollen - aus Protest gegen die brutale Niederschlagung der Proteste im Januar 2017 und November 2019. Dazu hielt sie im Dezember 2019 eine Rede im Parlament, die viele verärgerte. Sie äußerte sich auch schon früher klar.


In einem Interview 2016 mit der italienischen Zeitung „Corriere della Sera", distanzierte sie sich von den konservativen weiblichen Abgeordneten, als sie sagte: „Sie sind und handeln gegen Frauen (...)". Damit kritisiert sie Äußerungen wie die der Abgeordneten Fatemeh Alia, dass Frauen nicht mit Männern ins Stadion zum Volleyball gehen, sondern stattdessen auf Kinder aufpassen und sich um den Haushalt kümmern sollten. Das zeigt, dass sich weibliche Parlamentarierinnen nicht automatisch für Frauenrechte einsetzen.

Frauen sind formal in ihren politischen Karrieren eingeschränkt, sie können sich zum Beispiel nicht um das Präsidentenamt bewerben. Dass es auch sonst wenige Frauen in politischen Spitzenpositionen gibt, hat aber mehr mit patriarchaler Mentalität als mit Gesetzen zu tun. Frauen haben es schwer in der Politik. Es gibt männliche Politiker, die zaghaft gegen die politische Diskriminierung von Frauen arbeiten. Dazu zählt bedingt der amtierende Präsident Hassan Rouhani, in dessen Kabinett drei Vize-Ministerinnen sitzen, jedoch keine Ministerin.

Der ehemalige Präsident Mohammad Khatami nahm damals als Erster Frauen in sein Kabinett mit auf: die Revolutionärin Masoumeh Ebtekar und die Frauenrechtlerin Zahra Shojaei. Während seiner Präsidentschaft, war auch Fatemeh Haghighatjoo als Parlamentärin aktiv. Sie setzte sich dafür ein, dass Iran der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau beitreten sollte. Dieser Einsatz sowie ihr weiteres Engagement wurden ihr nachteilig ausgelegt. Aus Protest verließ sie das Parlament. Haghighatjoo musste ins Gefängnis, inzwischen lebt und arbeitet sie im Exil in den USA.

Ausgerechnet der neokonservative und als Populist verpönte ehemalige Präsident Mahmoud Ahmadinejad nominierte 2009 die erste weibliche Ministerin der Islamischen Republik, weil er eine neue Machtbasis suchte. Die Ernennung von Marzieh Vahid-Dastjerdi - zuständig für Gesundheit - hatte einen bitteren Beigeschmack für Frauenrechtlerinnen: Die neokonservative Politikerin gehört zu den Befürworter*innen der Geschlechtertrennung im Krankenhaus.


Frauen treiben Wandel im Iran schon lange voran

Parlamentarierinnen wie Fatemeh Haghighatjoo oder die Anwältin Nasrin Sotoudeh sind nicht die ersten, die sich für Frauenrechte einsetzen. Patriotische Frauenvereine trugen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu bei, dass Iran als erstes Land in der Region ein Parlament gründete. Die ersten organisierten moderneren Frauenbewegungen mit politischer Agenda stammten aus den gebildeten Gesellschaftsschichten. Bis 1935 lag die politische Initiative von Frauen auf privater Basis; das änderte sich mit der Gründung eines Frauenzentrums (Kânûn-e Banowan) unter dem damals herrschenden Rezâ Pahlavi. 1963 wurde das seit 1906 geforderte Wahlrecht für Frauen eingeführt. Zum Vergleich: Liechtenstein war 1984 das letzte europäische Land, welches das Frauenwahlrecht einführte.

Frauen waren und blieben politisch aktiv und gingen Ende der 1970er Jahre gegen den König Mohammad Reza auf die Straßen. Als er abdankte, unterstützen viele Iranerinnen die Gründung der Islamischen Republik. Wie Politik und Islam zusammenpassen können, war eine der Gründungsfragen der Islamischen Republik. Die Frauen haben am meisten verloren in den vier Jahrzehnten seit der Revolution. Wie das heutige System um den Obersten Revolutionsführer ausgestaltet ist, hat viele Revolutionärinnen von damals enttäuscht. Rechtliche Diskriminierungen im Alltag lassen sich vor allem im Familien- und im Strafrecht finden. Zum Beispiel zählt die Aussage einer Frau vor Gericht nur halb so viel wie die eines Mannes, sie müssen sich an eine strenge Kleiderordnung halten und verlieren bei einer Scheidung meistens das Sorgerecht.


Welche Rolle spielt die iranische Zivilgesellschaft?

Trotz der Macht der Führung und der harten Sanktionen gäbe es viele junge Menschen, die für ihr Land einstehen, sagte die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur im Interview mit dem SRF. Langfristig könne Veränderung nur über eine lebendige Zivilgesellschaft passieren. Dennoch sollte die (Signal)wirkung iranischer Parlamentarierinnen nicht unterschätzt - und auch nicht überschätzt - werden. Sie sind zwar formal eingeschränkt, können aber dazu beitragen, weibliche Emanzipation im Land mit weiterzuentwickeln.

Im Gespräch mit der „Corriere della Sera" von 2016 geht die damals frisch gewählte Parlamentarierin Parvaneh Salahshouri auf die Frage nach dem Kopftuchzwang - einem hoch brisanten Thema - ein und sagt: „Ich glaube, es ist unser gutes Recht, uns selbst zu entscheiden (das Kopftuch zu tragen). Die Zeit wird kommen." Das ist eine Haltung, die im ganzen Land immer weiter zunimmt. Wie dieses Thema werden auch andere Frauenrechte in ganz Iran, in vielen Nichtregierungsorganisationen, Vereinen, Bezirksräten und Gerichten diskutiert.

Veränderungsprozesse dauern und sind kleinschrittig. Eine der letzten Neuerungen 2019 war das Gesetz, dass Mütter ihre Nationalität an ihre Kinder weitergeben können. Bis dahin lebten Kinder, die etwa einen afghanischen Vater haben, ohne Bescheinigung ihrer Existenz und weitgehend rechtlos. Denn Afghan*innen wird in Iran die Staatsbürgerschaft meistens verweigert.


Parlament & politische Gruppen in Iran:

Die wichtigste Aufgabe der Parlamentarier*innen ist wie in anderen Ländern auch die Kontrolle der vom Präsidenten eingesetzten Regierung. Sie entwerfen Gesetze, verabschieden den Jahreshaushalt und müssen internationale Verträge ratifizieren. Faktisch hat aber der Revolutionsführer das letzte Wort bei allen politischen Entscheidungen. In Iran gibt es keine Parteien, sondern ein kandidat*innenorientiertes Wahlsystem: Alle vier Jahre werden die Parlamentarier*innen gewählt. Es gibt landesweit 208 Wahlkreise, zum wichtigsten gehört Teheran mit einem Mandat für 30 Sitze. Alle Personen, die sich auf eine Wahlliste setzen lassen wollen, müssen vorher vom sogenannten Wächterrat bestätigt werden

Eine wirkliche freie Wahl gibt es also ohnehin nicht, doch war es dieses Mal besonders aussichtslos, Alternativen auf den Wahllisten zu finden. Die Kandidat*innen lassen sich, wie der Politikwissenschaftler Cornelius Adebahr in seinem Buch „Inside Iran" schreibt, grob in drei Lager aufteilen: Die Konservativen (oder prinzipientreuen Rechten), die Reformer (oder Linksislamisten) und dazwischen die Pragmatiker (Technokraten). In der politischen Realität sind diese Strömungen längst nicht so eindeutig zu unterscheiden und es gibt weitere Ausprägungen.

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