„Yildirim? Wer ist Yildirim? Türkische Politik interessiert mich nicht, ich lebe in Deutschland" - Im Friseursalon in Frankfurt zucken zwei junge Türken mit den Schultern. Osman und Dauut schneiden Männern die Haare, Frauen machen sie die Augenbrauen. Erdogan? Kein Thema. Das Referendum? Darüber sollen die Leute in der Türkei entscheiden. Dabei dürfte Osman abstimmen, er hat einen türkischen Pass. Er wird es nicht tun. „Das bringt doch nichts, ob nun ein, zwei, drei Leute wählen."
Tatsächlich dürfen in Deutschland knapp 1,5 Millionen Türken am 16. April über die Verfassungsänderung der Türkei abstimmen. Damit sind die in Deutschland lebenden Türken die größte Wählergruppe außerhalb der Türkei. Eine nicht zu unterschätzende Wählermacht, die bei den Parlamentswahlen im November 2015 mit knapp 60 Prozent für die AKP stimmten. Insgesamt erfuhr Erdogans Partei damals eine Zustimmung von 50 Prozent.
Wie schon bei vorherigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen werden die Deutsch-Türken heftig umworben: Ministerpräsident Binali Yildirim hält in Oberhausen eine Rede vor 10.000 Menschen. Dieser Wahlkampf auf deutschem Boden ist umstritten, sowohl Regierungs- als auch Oppositionsparteien meldeten Bedenken an. Der Grundtenor: Der innertürkische Konflikt dürfe nicht nach Deutschland getragen werden.
Vor einer Polarisierung warnt auch die Türkische Gemeinde Deutschland. Der Verein positioniert sich gegen die Verfassungsänderung. „Das Problem ist, dass nicht miteinander geredet wird. Eine Verfassungsänderung ist eine große Sache, die nicht nur zahlenmäßig, sondern von der ganzen Gesellschaft legitimiert werden sollte. Wir haben versucht, alle an einen Tisch zu bringen, doch das wurde abgelehnt", sagt Vorsitzender Gökay Sofuoglu.
Dass Yildirim nun in Oberhausen Stimmung macht, sieht er gelassen: „Das kann Deutschland als demokratisches Land aushalten." Diese Freiheit garantiere auch, dass traditionelle AKP-Wähler sich hier Nein-Kampagnen anschließen könnten, ohne in Gefahr zu geraten. In der Türkei würden Nein-Sager hingegen gleich als Heimatfeinde deklariert. „Das ist ungerecht und schade für die Türkei."
Im kleinen Handyshop um die Ecke sieht der türkische Besitzer die Debatte weniger dramatisch: „Erdogan lässt sein Volk entscheiden, das ist doch demokratisch. Und das müsste er eigentlich nicht mal, das Parlament hat der Änderung ja bereits zugestimmt." Die Kritik an Yildirims Besuch kann er nicht verstehen. „Yildirim ist ein gewählter Politiker. Warum sollte er nicht nach Deutschland kommen, wenn hier sogar terroristische Organisationen wie die PKK problemlos Kundgebungen veranstalten dürfen?", argumentiert der 50-Jährige. Ihre Meinung bilden sich die Türken hierzulande sowieso, sagt er, ob sie Yildirim nun im Fernsehen oder auf einer Bühne sähen.
Ob die Meinungsbildung wirklich frei von statten geht, bezweifelt Mürvet Öztürk. Sie ist fraktionslose Landtagsabgeordnete in Hessen und zählt zu den siebzig Unterzeichnern der hessischen Nein-Kampagne. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Nichtwähler zu mobilisieren und die Türken, die zwar gegen das Referendum sind, sich aber nicht trauen, ihre Stimme gegen Erdogan zu erheben, zur Urne zu bringen.
„Die Demokratie in Deutschland wird eingeschränkt, wenn sich Türken hier eingeschüchtert fühlen", sagt Öztürk, „Jeder hier sollte sein Wahlrecht wahrnehmen. Wir schaffen die Voraussetzungen dafür." Die Kampagne begleitet die Wähler von der Registrierung für das Referendum bis zu organisierten Fahrten zu Abstimmungsorten. Außerdem werben sie mit Flyern, über soziale Medien und Hausbesuche für ein Nein zur Verfassungsänderung.
Einschüchterung muss die Kampagne prompt am eigenen Leib erfahren, als die türkische Tageszeitung „Sabah" am Freitag titelte: „Macht diesen Verrätern nicht die Tür auf". Öztürk sieht sich in ihrer Sorge bestätigt. Genau diese Form der Druckausübung und Polarisierung behindere eine demokratische Entscheidung im April. „Wenn ein türkischer Ministerpräsident nach Deutschland kommt und für ein Ja wirbt, dann dürfen doch Nein-Sager erst recht für ihre Meinung werben", findet sie.
Die AKP-nahe UETD, die Union Europäischer türkischer Demokraten, unterstützt den Auftritt Yildirims in Oberhausen. „Wir geben einem türkischen Politiker lediglich die Plattform für seine Sichtweise der Dinge", sagt Generalsekretär Bülent Bigli. Der Wahlkampf liefe demokratisch ab, jeder dürfe frei seine Meinung sagen, in Deutschland wie in der Türkei, stellt Bigli heraus. Als Verräter dürfe man niemanden bezeichnen.
Zurück in Frankfurt. Türken trifft man an jeder Ecke, wie stehen sie zum Referendum und gibt es Einschüchterung? In einem Geschäft für türkisches Fernsehen haben zwei Männer eine klare Meinung. Sie werden mit Nein stimmen, denn „es könnte die letzte Entscheidung sein, in der wir mitbestimmen können." Ihre Namen verraten sie nicht, aus Angst, nicht mehr in die Türkei fliegen zu dürfen. Und: „Sonst kauft hier niemand mehr ein."