Lisa McMinn

Freie Journalistin, Hamburg

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Artikel

Haustiere in der Pandemie: Ein Corona-Hund, na und?

Als sich der Chihuahua nähert, zieht es plötzlich an der Leine. Der Körper meiner Hündin wird steif, sie zittert. Ich gehe in die Knie, hebe den Finger, sage "Sitz!", und lege Petunia sanft die Hände um den Brustkorb. Dann schiebe ich sie hinter meine Beine, so wie meine Hundetrainerin es mir gezeigt hatte.

Aber es ist zu spät. Petunia lehnt sich in ihr Geschirr, knurrt und macht einen Satz nach vorn. Wie eine Katze, die mit ihren Tatzen nach einem Wollknäuel greift, wirft sich die kleine Podenco-Hündin auf den noch kleineren Chihuahua. "Tuna, Nein!", "Tuna, Sitz!", schreie ich. Aber sie hört mich nicht. Entschlossen greife ich in ihr Geschirr, drehe sie zu mir, halte sie fest. Sie hechelt, windet und dreht sich, bis der Hund und seine Besitzerin ein paar Meter weiter um eine Straßenecke biegen.

Dann breche ich in Tränen aus. Während ich versuche, den Hund und mich zu beruhigen, frage ich mich: War es doch eine dumme Idee, mir einen Pandemiehund anzuschaffen?

Denn das ist Petunia: einer der vielen Hunde, die in der einen neuen Besitzer gefunden haben. Im vergangenen Jahr sollen nach Angaben des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH) 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden sein als im Vorjahr. Die Tierschutzorganisation Tasso, die Europas größtes Hunderegister führt, spricht sogar von einem Anstieg von 25 Prozent.

Der Wunsch

Wäre die Pandemie nicht gewesen, hätte ich meinen Wunsch nach einem eigenen Hund wohl noch lange mit mir rumgetragen, vielleicht sogar niemals erfüllt. Dabei ist der Wunsch so alt, dass ich ihn am Anfang noch nicht einmal aufschreiben konnte. Jedes Jahr vor Weihnachten malte ich eine Schnauze, zwei Ohren und vier Beine auf meinen Wunschzettel. Dann wartete ich. Jahr um Jahr vergeblich.

Zu meinem elften Geburtstag bekam ich ein Zwergkaninchen. Es war schokoladenbraun und so dick wie ein Dackel. Ich nannte es "Hexe", kaufte eine Leine und führte Hexe daran im Garten spazieren. Hexe war lieb und weich und anhänglich, aber eines war sie nicht: ein Hund.

Als ich erwachsen wurde, zog ich oft um, fürs Studium, für Praktika, für den ersten Job. Ich wusste, dass ich einem Hund nicht bieten konnte, was er braucht: Zeit, Auslauf, Liebe, ein festes Plätzchen. Ich hatte ja selbst keinen festen Platz und wollte frei sein, mich von nichts und niemandem einschränken lassen. Je älter ich wurde, desto mehr fand ich mich damit ab, dass mein Leben vielleicht nie zu einem Hund passen würde.

Plötzlich kehrten zwei vergessen geglaubte Gefühle zurück: Einsamkeit und Langeweile.

Dann katapultierte Corona mich ins Homeoffice und brachte mein Sozialleben zum Erliegen. Vor der Pandemie verbrachte ich oft nur die Nacht in meiner Zweizimmerwohnung. Nun aber lebte und arbeitete ich dort. Der Morningcall bei der Arbeit war mein Grund, um aufzustehen. Ich nahm meinen Laptop mit in die Küche, um für Kollegen erreichbar zu sein, wenn ich kochte. Wenn der Arbeitstag vorbei war, schloss ich das Mailprogramm und öffnete WhatsApp.

In dieser Zeit kehrten zwei längst vergessen geglaubte Gefühle zu mir zurück: Einsamkeit und Langeweile. Ich kannte sie aus meiner Kindheit, in der ich viel alleine gewesen und auf den Fernseher gestarrt hatte. Meine Mutter war alleinerziehend und wenn sie bei der Arbeit war, fiel es mir schwer, mich zu beschäftigen. Es war zu still in der Wohnung. So wie jetzt wieder. Ich buk Kuchen, löste Puzzle, las an einem Tag ein ganzes Buch, starrte auf Bildschirme. Der Wunsch nach einem Hund kehrte zurück. Und plötzlich sprach nichts mehr dagegen: Eigentlich hatte ich doch nun genug Zeit, einen Hund zu erziehen und ihn an mich zu gewöhnen. Zuerst war es nur ein Gedankenspiel, doch schnell wurde daraus eine ernsthafte Suche.

Die Suche

Die Fotos und Videos, die viele Tierschutzorganisationen aus Spanien, Rumänien oder Zypern auf Instagram teilen, geschmückt mit Herzchen und Emoticons, hatten einen ähnlichen Effekt wie Tinder. Man sieht ein Bild und malt sich ein ganzes Leben aus. Ich sah mich mit einem fuchsbraunen Cockerspaniel auf meinen Sofa liegen. Einem schmalen Windhund zog ich in Gedanken einen dieser albernen Regenmäntel an. In einen Terrier hatte ich mich dermaßen verliebt, dass ich das Foto von ihm als Bildschirmschoner auf meinem Handy einstellte. Ständig leitete ich Bilder an meine Freundinnen weiter, die mir wiederum Smileys mit weit aufgerissenen Herzchenaugen zurückschickten: Der isses!

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