Lisa McMinn

Freie Journalistin, Hamburg

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Artikel

Roda Verheyen verklagt Regierungen für mangelnden Klimaschutz

Noch haben die Schafe eine herrliche Aussicht. Vor ihnen glitzert das Watt, hinter ihnen ziehen sich Wiesen über die Nordseeinsel Pellworm. Seit mehr als 300 Jahren betreibt Familie Backsen hier einen Hof hinterm Deich. Doch wenn die Erde sich weiter erwärmt und das Wasser steigt, könnte damit bald Schluss sein, fürchtet Silke Backsen: "Wir werden zu den Ersten gehören, die absaufen."

Daher wollen die Backsens nun kämpfen. Gegen die Politik, die sie nicht genug vor den Folgen des Klimawandels schützt. Im Oktober haben sie dem Berliner Verwaltungsgericht mit Greenpeace und zwei weiteren Bio-Bauern eine Verbandsklage vorgelegt. Gegen die deutsche Regierung.

Wo der Klimaschutz versagt, wehren sich die Bürger immer öfter, indem sie Staaten vor Gericht bringen. Bis März 2017 wurden weltweit rund 900 Klimaverfahren eingeleitet. Denn es gibt nicht nur immer mehr Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind. Es gibt auch immer mehr Gesetze und Abkommen, auf die sie sich berufen können.

Das hat zunehmend Erfolg: In Österreich etwa wurde so vor knapp zwei Jahren der Bau einer Landebahn am Wiener Flughafen verhindert. In den Niederlanden wurde die Regierung 2015 dazu verurteilt, die CO2-Emissionen weit mehr zu senken, als sie es im Pariser Abkommens zugesichert hatte.

Roda Verheyen scheut nicht davor zurück, Staaten zu verklagen

Ein Name taucht in den Berichten über solche Prozesse immer wieder auf: Roda Verheyen. Die 46-jährige Hamburgerin ist eine der renommiertesten Fachanwältinnen für Umweltrecht. Beim Thema Klimaklagen gilt sie als Pionierin. Auch die Backsens lassen sich von ihr vertreten.

Schon in ihrer Promotion beschäftigte sich Verheyen mit der Frage, ob Staaten für die Folgen des Klimawandels verantwortlich gemacht werden können. Mit 30 gründete sie aus Frust über den Rückzug der USA aus dem Kyoto-Protokoll der UN das "Climate Justice Programme" - ein Netzwerk, das Juristen und Umweltschützer unterstützt, die gegen Klimasünder vor Gericht ziehen wollen. Seit 2006 arbeitet sie selbst als Anwältin.

Nach Siegen gegen den Ölkonzern Shell und verschiedene US-Behörden, führt sie derzeit drei spektakuläre Prozesse: Für einen peruanischen Kleinbauern klagt sie gegen den Energiekonzern RWE. Für zehn Familien aus aller Welt zieht sie im "People's Climate Case" (PCC) gegen die EU ins Feld. Und für die Backsens eben gegen die Bundesregierung.

Jeder, der vom Klimawandel bedroht ist, kann den Schutz des Staates einfordern

Der Klimawandel ist kein Thema, mit dem man reihenweise Prozesse gewinnt. Doch um Ruhm oder Geld geht es Verheyen auch nicht. Mit den Klagen will sie Staaten dazu zwingen, sich klimafreundlicher zu verhalten; sie kämpft für die Durchsetzung von Grundrechten, die für alle gelten.

Das Ziel solcher Prozesse ist kein Schadensersatz für die Kläger, sondern Schutz für alle. Denn wer das globale Problem des Klimawandels lösen will, muss den Menschen als Weltbürger begreifen, nicht als Einzelkämpfer. So sieht es Verheyen.

Ein Besuch in ihrer Kanzlei in Hamburg-Rotherbaum, eine Altbauwohnung mit Fischgrätparkett und hohen Decken. Akten hat sie an diesem Morgen nicht dabei. Verheyen, blonder Bob, Hornbrille, ist eine Frau, die alle Fakten und Argumente im Kopf hat. Sie sagt: "Klimaschutz ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich ein Staat hinter dem anderen versteckt. Aber Gerichte können verobjektivieren. Sie sorgen dafür, dass Gesetze eingehalten werden, die längst da sind."

Im Fall der Familie Backsenklagt sie nicht auf die Einhaltung eines Gesetzes, sondern einer Norm. Das ist ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. 2007 beschloss die Große Koalition, den CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken. Bisher hat man aber nur 27 Prozent erreicht. Und im neuen Koalitionsvertrag wurde das 40-Prozent-Ziel quasi aufgehoben. "Wir verlangen, dass die Regierung einhält, was sie seit elf Jahren verspricht", sagt Verheyen. Die Verantwortung für den Klimawandel liege nämlich nicht bei den Bürgern.

Es hilft nicht, mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen. Es ist Aufgabe des Staates, den Rahmen für den Klimaschutz zu setzen.

Die Verantwortung liegt laut Verheyen bei den Regierungen

Die Welt verbessern wollte die Tochter einer Lehrerin und eines Marketingdirektors früh. Als Schülervertreterin sorgte sie dafür, dass die Schulmilch nicht mehr in Tüten verkauft wurde, sondern in Pfandflaschen. "Ich hatte alle Chancen, und ich glaube, genau aus dieser privilegierten Situation ist mein Verantwortungsgefühl erwachsen."

Als 1992 der erste Weltklimagipfel abgehalten wurde, las sie den ersten Weltklimabericht: "Ein Skandal." Also beschloss sie, ihr Berufsleben dem Klimaschutz zu widmen. 2000 hielt sie selbst eine Rede auf dem Gipfel von Den Haag. Die Verhandlungen scheiterten. Sie weinte aus Verzweiflung. Das tue sie auch heute noch manchmal, wenn sie einen Prozess verliere, sagt sie. "Aber ich freue mich auch, wenn ich gewinne. Nicht nur für mich - sondern vor allem für meine Kinder."

Ob sie auch die Deutschlandklage gewinnt, steht in den Sternen. Das Gericht muss die Klage erst zulassen, die Entscheidung kann Jahre dauern. Fiele sie positiv aus, sagt Verheyen, wäre das aber schon ein Sieg. Es wäre bewiesen, wofür sie seit Jahren kämpft: dass jeder, dessen Existenz vom Klimawandel bedroht ist, den Schutz eines Staates einfordern kann. Auch Silke Backsen auf Pellworm. "Wir können nur wenig ausrichten, wenn die da oben nicht mitziehen", sagt die Bäuerin. "Also müssen wir sie zwingen."

Roda Verheyen, 1972 in Düsseldorf geboren, studierte Jura in Hamburg, Oslo und London und arbeitete für die Umweltorganisation Friends of the Earth. Heute zieht sie als Anwältin für Umweltrecht Staaten für ihre Klimapolitik zur Rechenschaft. Privat hält die Mutter dreier Kinder sich an die Drei-Punkte-Regel des Klimaforschers Mojib Latif: wenig Fleisch essen, wenig fliegen und nur heizen, wenn es wirklich nötig ist. Zum Original