Lisa McMinn

Freie Journalistin, Hamburg

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Artikel

Gestrandet in... Neuruppin

Von Berlin kommend, gleitet der Regionalexpress über den Bahndamm, hinter nacktem Geäst glänzt der Ruppiner See, am Ufer reckt die Klosterkirche ihre Glockentürme in die Luft wie zwei Arme; eine Dame erwacht. Guten Morgen, Neuruppin, und der Zug rollt in den Bahnhof Rheinsberger Tor. Hauptbahnhof? Hamwanich.

Gehen Sie die Straße des Friedens runter, bis sie Karl-Marx-Straße heißt. Hoffentlich haben Sie flache Schuhe an. Unsere Straßen sind gepflastert. Schließen Sie die Augen, denken Sie sich drei Jahrhunderte zurück. Hören Sie die Kutschen übers Kopfsteinpflaster rappeln? Willkommen in der preußischsten aller preußischen Städte. Neuruppin hat kaum mehr Fachwerk, das brannte 1787 nieder. Friedrich Wilhelm II. schenkte uns daraufhin den damals modernen Look mit zweistöckigen klassizistischen Bauten, bepinselt in pudrigem Pastell.

Öffnen Sie die Augen wieder. Die Fassaden strahlen wie damals, in Hellblau, Rosé, Ockergelb ... dank Ihnen. Darin steckt Ihr Soli. Sehen Sie genau hin: Der Lack der Fensterrahmen glänzt, als wäre er noch feucht, und der Stuck hängt prall unter den Simsen. Hat sich doch gelohnt.

Halten Sie am Café Huth, und öffnen Sie die Türe. Diese Auslage! Torten, Bienenstich und vor allem: Windbeutel. So groß wie Mopswelpen hocken sie dort hinterm Glas, eine Kelle Sahne zwischen zwei Brandteighälften, obendrauf Puderzucker, frischer Schnee auf weichem Fell. Aber Geduld. Nehmen Sie Platz auf den gelackten Möbeln. Käffchen? Gern im Kännchen. Dazu was Kräftiges. Mögen Sie Ragout fin? Im Original: französisches Kalbfleisch, überbacken, in der Suppentasse serviert. Wir nehmen Schwein und nennen es Würzfleisch. Frankreich war eine Zeit lang schwer erreichbar.

Zur Verdauung einen Kümmel. "Fontanes Liebster" steht in der Karte. Theodor Fontane, Lieblingssohn unserer Stadt, wurde im Nachbarhaus geboren. Oben lebte die Familie, unten betrieb der Vater seine Apotheke. Verweilen Sie kurz, und betrachten Sie den goldenen Löwen über dem Hauseingang. Grimmig schaut der, die Maulwinkel hängen. Fontane senior hat die Apotheke verspielt, er blieb nur sieben Jahre. Der Löwe hat's nicht verziehen.

Gehen Sie weiter Richtung Marktplatz, vorbei am Alten Gymnasium, hier ging Fontane zur Schule. Dann links die Klosterstraße hinunter. Hier und da zerfällt eine Ruine in den Häuserreihen, wächst Grünzeug aus zerborstenem Glas. Ignorieren Sie das.

Sie erreichen die Klosterkirche St. Trinitatis, die Dame, die Sie schon bei der Einfahrt begrüßt hat. Umrunden Sie die gotischen Backsteinmauern. Prächtig, aber ins Stadtbild passen sie nicht. Also weiter durch die Siechenstraße, eine der wenigen Gassen, die der Brand uns gelassen hat. Stoßen Sie sich nicht den Kopf, hier neigen sich die Häuschen krumm zu Ihnen herunter. Folgen Sie dann der Fischbänkenstraße bis zum Haus Nummer 8. Hier lebte Karl Friedrich Schinkel, Preußens Star-Architekt. Beim Stadtbrand starb sein Vater, ein Pfarrer. Nicht im Feuer. Er soll sich beim Löschen verkühlt haben.

Zwei Stunden in Neuruppin

Warm

Lassen Sie sich in der Fontane-Therme den Stress aus den Gliedern sprudeln. An der Seepromenade 20, resort-mark-brandenburg.de

Grün

Besuchen Sie den orientalischen Tempelgarten, der zum Vergnügen von Friedrich dem Großen in der Präsidentenstraße 64 angelegt wurde.

Gehen Sie rechts in die Friedrich-Engels-Straße - wo ein Marx ist, ist ein Engels nicht fern -, dann wieder rechts die Seestraße hinunter. Nun ist es so weit. Hinter Häkelgardinen finden Sie die Bäckerei Gröpler. Brot und Kuchen in dritter Generation. Hier kaufen Sie Ihren Windbeutel. Man esse ihn mit Messer und Gabel, sagen die Gäste. Man sehe nach dem Verzehr eh aus wie ein Schwein, sagt die Verkäuferin und lässt das Sahnebrötchen in eine Papiertüte plumpsen. Keine Sorge, wir finden eine Lösung. Weiter zur Seepromenade, den Welpen schützend in die hohle Hand gelegt. Vorbei an Industrieruinen bis auf den Seedamm, über den der Zug Sie hergebracht hat. Schlittern Sie das Ufer hinunter - Vorsicht mit dem Backwerk! -, dorthin, wo die Boote liegen, nehmen Sie Platz auf einem Baumstamm. Betten Sie den Windbeutel ins Gras. Wäre nun Sommer, Sie würden hinüberrudern, zu dem Ufer linker Hand, dessen Siedlung Sonnenland heißt. Doch es ist Winter, die Sonne hält sich nicht mehr lang am Himmel, sie drückt sich schon zwischen die Arme der Klosterkirche und taucht die Stadt in orangefarbenes Licht. Zurück zu Ihnen. Ist ein Angler in Sicht? Nein? Dann öffnen Sie die Bäckertüte. Rollen Sie das Papier herunter, halten Sie den Windbeutel wie einen Burger zwischen beiden Händen, öffnen Sie den Mund, weit wie ein gähnender Löwe, und dann beißen Sie hinein. Es knackt, wenn die Zähne die Kruste des Windbeuteloberteils durchstoßen, weich gleiten sie in die Sahne. Wat kannet Schönred jeben?

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