Lisa Kuner

Freie Journalistin, Leipzig

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Warum Corona arme Menschen in Brasilien besonders betrifft

Kein anderes Land managt die Corona-Krise so schlecht wie Brasilien. Das belastet das Gesundheitssystem und trifft vor allem arme Menschen.

Rio de Janeiro / Brasilien - Die brasilianische Aktivistin Gizele Martins ist es gewöhnt mit Missmanagement und Armut konfrontiert zu sein. Sie lebt in Maré, einem der größten Armenviertel im Norden von Rio de Janeiro mit rund 140.000 Einwohnern. Von der Politik vergessen zu werden, ist dort Alltag. So wartete sie nach dem Ausbruch der Pandemie gar nicht erst auf staatliche Hilfe, sondern startete zusammen mit der Nichtregierungsorganisation „Frente Mare" Aktionen im Kampf gegen die Pandemie. „Zuerst verteilten wir Desinfektionsmittel, dann auch Masken", sagt sie.

Weil immer mehr Menschen zu Hause blieben oder ihre Jobs verloren, wuchs auch der Hunger in den Armenvierteln, die in Brasilien Favelas genannt werden. Martins sammelte darum auch Lebensmittelspenden und verteilte sie. „Außerdem haben wir ganz viel Aufklärungsarbeit gemacht, vor allem in den Sozialen Medien", erzählt die Aktivistin. Viele Menschen hätten am Anfang der Pandemie nicht gewusst, wie sie handeln sollten. War Martins am Anfang noch optimistisch, dass solche zivilgesellschaftlichen Aktionen helfen könnte, dem Virus zu begegnen, ist sie nun zunehmend verzweifelt.

Brasilien managt die Pandemie schlecht - Fast 300.000 Corona-Tote

Fast 300.000 Menschen sind in Brasilien inzwischen an den Folgen von Corona gestorben, überproportional viele davon in den Armenvierteln des Landes. Mehr als elf Millionen Brasilianer und Brasilianerinnen haben sich nachweislich mit dem Virus infiziert - die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen, da gerade in ärmeren Regionen am Anfang der Pandemie kaum getestet wurde und zurzeit sterben täglich zwischen 2000 und 3000 Menschen. Am 23. März erreichte die Todeszahl mit 3251 ihren traurigen Höchststand - eine fatale Zwischenbilanz, auch weil nichts darauf hin weist, dass sich die Situation schnell verbessert. Eine Studie von einem australischen Thinktank untersuchte die Performance von 98 Ländern im Management der Pandemie. Brasilien belegte den letzten Platz, Deutschland landete im Mittelfeld. Die Gefahr in Brasilien an zu sterben, ist in den Favelas besonders hoch - bis zu dreimal so häufig sterben Menschen in den Armenvierteln an dem Virus.

„Es wird viel zu wenig Geld in die öffentliche Gesundheitsversorgung gesteckt", meint Aktivistin Martins. Mit dem Impfen geht es in Brasilien kaum voran, nur rund fünf Prozent der Bevölkerung haben bisher zumindest eine Impfdosis erhalten. Gleichzeitig werden schon die erste Fälle von Korruption rund um die lebensrettenden Dosen bekannt. „Die Krankenhäuser sind alle überfüllt, aber gleichzeitig halten sich die Leute nicht mehr an die Regeln", erzählt Martins.

Keine Regeln und kaum Unterstützung

Das liegt auch daran, dass die brasilianische Regierung Abstands- und Hygieneregel als Schlüssel der Pandemiebekämpfung öffentlich nicht kommuniziert: Präsident Jair Bolsonaro möchte stattdessen lieber alles öffnen, um die Wirtschaft zu retten.

Die fatale Gesundheitssituation spitzt sich in den Favelas noch zu: „In meiner Wohnung in Maré gibt es seit sechs Monaten kein fließendes Wasser mehr", sagt Gizele Martins. „Solche Zustände verschlimmern die Pandemie natürlich noch". Hygieneregeln zu befolgen, Hände waschen und zu Hause zu bleiben, wird so nahezu unmöglich.

Pandemie-Management - Diese Länder händeln die Pandemie laut dem Covid Performance Index am schlechtesten:

1. Brasilien 2. Mexiko 3. Kolumbien 4. Iran 5. USA 6. Bolivien 7. Panama 8. Oman 9. Ukraine 10. Chile

Am besten performt nach dieser Studie Neuseeland im Pandemie-Management. Deutschland befindet sich im Mittelfeld. Die Daten für diese Liste stammen aus einer Studie des Lowy Institutes aus Australien.

von Lisa Kuner

Für den Anbau von Soja werden in Brasilien große Flächen Regenwald abgeholzt. Ein Teil des Sojas landet als Tierfutter in europäischen Mastbetrieben.
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