Im September 2019 urteilte das Berliner Landgericht, was Renate Künast alles aushalten muss: In 22 Onlinekommentaren in teils drastischer Sprache wollte das Gericht damals keine Beleidigung erkennen - das seien Meinungsäußerungen, argumentierte es, revidierte diese Einschätzung in Bezug auf einige der beanstandeten Posts aber wenige Monate später. Künast wird seit Jahren immer wieder scharf im Netz angegangen und wehrt sich dagegen. Trotz dieser Vorgeschichte sieht die Grünen-Politikerin zwei Gesetzesentwürfe kritisch, mit der die Bundesregierung Hassrede im Netz endlich bekämpfen will. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE erklärt sie, warum.
ZEIT ONLINE: Frau Künast, Sie wehren sich seit Jahren gegen Beleidigungen gegen Sie im Netz. Fühlen Sie sich damit manchmal alleingelassen?
Renate Künast: Im Augenblick weniger. Am Anfang kam man sich aber schon etwas exotisch vor. 2016 habe ich gemeinsam mit einer Spiegel-Journalistin Menschen besucht, die mich auf Facebook beschimpft haben. Für so etwas wurde ich am Anfang schon ein bisschen bestaunt - überhaupt dafür, dass ich mich dagegen gewehrt habe. Genauso wurde man fast mildtätig belächelt, wenn man darauf hinwies, was für eine Vernetzung es in rechtsextremen Kreisen gibt, in der Bundeswehr und Polizei. Mittlerweile ist verstanden, dass wir etwas tun müssen. Jetzt ist die Frage, was.
ZEIT ONLINE: Im September hat das Berliner Landgericht entschieden, dass Sie viele Äußerungen hinzunehmen haben, die Beobachter landläufig als Beleidigungen wahrnehmen würden. Später hat es das teilweise wieder revidiert. Ist es für Sie nicht schmerzhaft, dass auch in der Berichterstattung und in Diskussionen diese Worte über Sie immer wieder fallen?
Künast: Wissen Sie: Die allergrößte Kraft musste ich aufbringen, als wir ein erfundenes Zitat von mir online entdeckten und ich dann irgendwann eine Zusammenstellung dessen gesehen habe, was das an Meldungen und Kommentaren losgetreten hat.
ZEIT ONLINE: Auf wurde damals ein Zwischenruf von Ihnen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus Mitte der Achtzigerjahre falsch zitiert: So wie der fälschlicherweise abgebildet wurde, wirkte es, als hätten Sie Pädophilie relativiert. Das war, so hat dann auch später ein Gericht befunden, nicht der Fall.
Künast: Als ich sah, was in der Reaktion darauf alles kam, war ich eigentlich das erste Mal richtig entgeistert. Ich habe mich gefragt: Was sind das eigentlich für Typen? Im Wesentlichen sind es Männer, die sich so äußern. Wie leben die mit ihren Frauen zusammen? Da steht man fassungslos vor.
ZEIT ONLINE: Wie haben Sie das für sich verarbeitet oder rationalisiert?
Künast: Ich sehe, dass das eine Strategie ist, dass die Leute dahinter national breit vernetzt sind. Auch wie derzeit in Deutschland Bürgermeister eingeschüchtert werden: Das passiert systematisch, digital wie analog. Und das hat mich auch motiviert, zu sagen: Ich bin selbst Juristin, ich kann das Thema einschätzen und muss jetzt helfen. Nicht nur den Einzelnen eine rote Linie aufzeigen, sondern eben auch erzwingen, dass Polizei, Staatsanwälte, Gerichte und Justizminister darüber diskutieren und sehen, dass es so nicht weitergehen kann. Es geht aber natürlich nicht nur um Strafrecht und Zivilrecht. Es geht auch um Prävention und zivile Organisationen wie Nichtregierungsorganisationen oder Antifa-Gruppen. Die müssen alle zusammen unterstützt werden - sonst breitet sich der Hass aus wie eine Epidemie.