Lisa Brüßler

Journalistin. Print, Online & Social, Berlin

9 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Im Herzen Europäerin

Das erste Jahr im Bundestag

Wäre sie nicht regelmäßig mit dem Zug für das Jurastudium nach Köln gependelt, hätte die Union vielleicht eine Nachwuchs-Politikerin weniger: Dort fragte ein ehemaliger Mitschüler und der Vorsitzende der Jungen Union Aachen-Land Catarina dos Santos-Wintz, ob sie nicht mal vorbeikommen wolle - und bohrte noch zwei Mal nach, bis sie tatsächlich kam. 2014 war das. "Das war keine klassische Junge-Union-Karriere, ich war da eher spät", sagt die jüngste Abgeordnete der Unionsfraktion mit einem Schmunzeln. Sie übernahm einige Posten, begann, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren und zog im vergangenen Jahr in den Bundestag ein.


"Ich hab nie geplant, für den Bundestag zu kandidieren und trotzdem bin ich jetzt froh, dass ich hier bin", sagt die 28-Jährige, die man als bodenständige Frohnatur beschreiben könnte. Bisher sei jeder Tag im Parlament anders, sagt sie und hofft, dass das auch so bleibt - begeistern kann sie sich nämlich für viele Themen. Oft muss sie aber zeitlich priorisieren: "Ohne meinen digitalen Kalender und mein Team würde das alles nicht funktionieren, geschweige denn, hätte ich einen Überblick, wann ich wo sein müsste."


Darauf, wie schnell sie und ihr Team sich in die neuen Themen zwischen Europa, Recht und Digitalem eingearbeitet haben, ist sie stolz und auch darauf, dass sie nun ein richtiges Büro haben und sich nicht einen Raum zu dritt teilen müsse - einer der "kleinen Erfolge", wie sie es nennt.


Dos Santos-Wintz ist fest verwurzelt mit ihrer Heimatstadt Eschweiler in der Städte-Region Aachen. Wenn es geht, kehrt sie jedes Wochenende dorthin zurück. Dass die Politik ihre Hauptbeschäftigung werden würde, war Anfang 2021 noch nicht klar: Nachdem sie im April als Kandidatin aufgestellt wurde, fiel der Wahlkampf eher kurz aus, denn die Flutkatastrophe im Juli 2021 traf ihre Heimatregion schwer. "Die Nachwehen vom Hochwasser sind immer noch ein schwieriges Thema - auch weil die Aufmerksamkeit natürlich nicht mehr so groß ist", berichtet sie. Es sei ihre Aufgabe, weiter auf die Folgen hinzuweisen, Ortstermine zu machen und zuzuhören.


Dos Santos-Wintz ist ein Arbeitstier - das zeigt nicht nur ihr Lebenslauf, sondern auch ihre Wortwahl: Oft sagt sie Sätze wie: "Das gehört zum Beruf dazu." Nicht selten schreibt sie vor den Bundestags-Sitzungen noch einen Antrag fürs Kommunalparlament. Heute etwa ging es darum, eine bestimmte Art Photovoltaik-Anlage in eine regionale Förderung hineinzubekommen. "Mein Wahlkreis ist für mich das wichtigste Thema", betont sie. Neben ihrem kommunalpolitischen Engagement im Stadtrat von Eschweiler und im Städteregionstag Aachen hat sie ihr Jura-Studium beendet und ihr Referendariat abgeschlossen. Als Anwältin gearbeitet hat sie auch. Schwerpunkt? Unternehmensnachfolgen bei Familienunternehmen. "Für mich war es wichtig, eine abgeschlossene Berufsausbildung zu haben, bevor ich ein politisches Mandat aufnehme", erklärt sie.


In den Bundestag ist sie ohne große Erwartungen gekommen: "Ich wusste, es wird alles neu und erstmal chaotisch. Man konnte zwar Wünsche für Ausschüsse abgeben, aber im Endeffekt startet man ja doch ein bisschen bei Null", sagt sie. Gold wert gewesen seien die Tipps von erfahrenen Fraktionskollegen, die vor Anfängerfehlern bewahrten. Was wäre so ein Fehler? "Zum Beispiel zu denken, dass man alle Vorlagen für eine Sitzung bis ins letzte Detail verstehen und durcharbeiten kann", erklärt sie.


Die nächsten Jahre will sie nutzen, um mit ihrem papierlosen Büro als positives Beispiel voran zu gehen. "Bis auf die zehn Prozent Post arbeiten wir zu 90 Prozent papierlos", sagt dos Santos-Wintz nicht ohne Stolz. Auch ihre Reden im Bundestagsplenum hält sie seit dem ersten Tag nur mit ihrem Ipad, ein "Tick" von ihr, wie sie es nennt. Die 28-Jährige möchte ein Vorbild sein und für eine moderne Union stehen: Auf TikTok hat sie ein Erklärformat gestartet, um junge Menschen mit niedrigschwelligen Inhalten anzusprechen. "Das mache ich nicht, weil ich so viel Zeit dafür habe, sondern weil es wichtig ist und jetzt zum Job dazu gehört, für Aufklärung zu sorgen", sagt sie mit Nachdruck.


Erstaunt habe sie, wie frei man in der Gestaltung des Mandats sei - "da ist die Zeit eher der limitierende Faktor", sagt dos Santos-Wintz. Gibt es noch mehr Limitierendes? "Ich versuche, mir aktiv Räume für meine Familie und meinen Mann freizuhalten, dafür trage ich mir zum Beispiel Zeitslots in meinen Kalender ein", erzählt sie. Die Legislatur sei ein Marathon und kein Sprint. Auf sich zu achten, gelinge ihr manchmal besser, manchmal schlechter - aber auch das, da ist es wieder, "gehöre zum Job dazu".


Im Europaausschuss ist sie Mitglied aus vollem Herzen. Als Kind verbrachte sie den Sommer bei ihrer Familie in Portugal: "Ich bin in Lissabon geboren, nach meiner Geburt nach Eschweiler gekommen und europäisch mit zwei Sprachen und Kulturen aufgewachsen", erzählt sie. Als stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe freut sie sich über jeden Austausch mit der zweiten Heimat - mit ihrer doppelten Staatsbürgerschaft und ohne Dolmetschung zu benötigen, öffne man eventuell ja auch die ein oder andere Tür, meint sie.

Zum Original