Lisa Brüßler

Journalistin. Print, Online & Social, Berlin

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Roots are Routes: Von Wurzeln und Wegen

Projekt-Kopf Olga Daskali aus Messolonghi (Westgriechenland) will nicht, dass lang angesammeltes Wissen und Erfahrungen einfach so verschwinden.

Jungen Menschen eine Perspektive vor Ort geben. Zeigen, dass Wurzeln auch Wege öffnen können, darum geht es Olga Daskali aus Messolonghi. Wie viele andere Städte hat ihre Heimatstadt in Westgriechenland mit dem Weggang vieler junger Menschen zu kämpfen. Olga ist nach dem Studium in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und hat die Stadt und ihre Bewohner mit ihrem Projekt „Roots are Routes" aufgemischt. Für ihr Projekt wird ihr nun der „START Scaling Award" der Robert-Bosch Stiftung verliehen.

Ausgerechnet bei einem Seminar zu Kulturveranstaltungen, im Gespräch mit einem kanadischen Bekannten war es so weit: „Mir schoss die Idee durch den Kopf, dass ich etwas für meine Heimat tun möchte. Vor meinem inneren Auge sah ich immer wieder den kleinen Satz ‚roots are routes' „, erzählt Olga Daskali. aus Messolonghi in Westgriechenland. Seitdem hat sie die Idee nicht mehr losgelassen. „Die Herausforderung in diesem Stadium war es, den Satz mit einer konkreten Projektidee zum Leben zu erwecken, um sich für das START-Programm der Robert-Bosch-Stiftung zu bewerben", erklärt sie.


Also begann sie zu recherchieren. Zur Geschichte ihrer Heimatstadt am Golf von Patras. Messolonghi liegt im Mündungsgebiet der Flüsse Achelos und Evinos. Die Stadt entstand auf drei Laguneninseln. Noch heute bieten die Prokopanistos-Lagune im Westen, die zentrale Messolonghi-Lagune, die nördliche Lagune von Etoliko und die Klisova-Lagune im Südosten ihren Bewohnern ihr Auskommen. In Messolonghi sind Fischerei, Landwirtschaft, Oliven- und Orangenanbau, Viehzucht in den Bergen und das Handwerk vertreten. Viele der traditionellen Berufe werden nur noch von wenigen der Bewohner ausgeübt, auch wenn die Leute immer gut davon leben konnten, es ihren Kindern das Studium finanzierte, erzählt Olga. Doch das Wissen verschwindet, Nachwuchs bleibt aus.


Arbeit im ländlichen Raum 

Olga studierte Europastudien und Recht, doch sie kam zurück in ihre Heimatstadt. Damit ist sie eine Ausnahme unter vielen jungen Griechen aus ländlichen Gebieten, die für das Studium in die Stadt oder ins Ausland gehen. „Die Menschen in Messolonghi stammen hauptsächlich aus der Generation meiner Eltern und Großeltern. Meine Freunde und Bekannten sagen, dass sie nicht bleiben können wenn es keine Jobs gibt", erzählt Olga. Doch sie glaubt, dass man diese auch einfordern oder schaffen muss. Dass das Wissen aus dem Studium mit eigenen Ideen und lokalen Potentialen kombiniert werden kann.

„Die Idee, Kindern und Jugendlichen Berufe aus der Region Berufe zu zeigen, die auszusterben drohen, begann in meinem Kopf zu wachsen", erinnert sie sich. Dass daraus eine Diskussion über Arbeit im ländlichen Raum und das Handwerk allgemein angestoßen wird, war für sie ein interessanter Nebeneffekt der Projektidee.


„Wir haben die Lagunen, dann ist da das Webhandwerk in der Region, das lange Zeit tolle Teppiche produziert hat und auch das Gravur-Handwerk", sagt Olga. In der nahgelegenen Stadt Etoliko gab es eine Weberei, die zwischen den 1980er Jahren und den 2000er Jahren 33 Frauen einen Job gab: „27 Jahre lang war die Fabrik etwas Großes in der Region und die Teppiche waren für ihre Qualität bekannt", erklärt Olga. Das wollte sie sich zu Nutze machen, versuchen, die Einwohner einzubinden, einen intergenerationellen Dialog zu starten.

Potenzialaustausch mit Hamburg Geholfen hat ihr dabei ihr Austauschaufenthalt, der sie ins Kulturzentrum Honigfabrik im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg führte. Während ihres Aufenthalts wurde ein Bootsbau-Workshop für Jugendliche angeboten: „Dort habe ich sechs Wochen lang gelernt mit den Händen zu arbeiten und hatte die Idee, nicht nur ein richtiges Boot zu bauen, sondern auch kleine Modelle anzufertigen, um im kleinen Rahmen kreativ zu werden", erzählt Olga. „In Messolonghi nutzen wir ein traditionelles Boot, die Gaita, die speziell für das seichte Wasser gebaut ist. Sie sind weniger tief und sehr klein; zwei Leute passen herein", erklärt sie. Die traditionelle Art und Weise sieht so aus, dass eine Person im Stehen das Boot mit einem Stock fortbewegt. In Hamburg entstand auch das Logo des Projekts, das ein 13-jähriges Mädchen schuf.


Mit ihrer Rückkehr nach Griechenland kontaktierte Olga Lehrer und Schuldirektoren und den letzten verbliebenen Bootsbauer der Stadt. „Am Anfang hatte er Bedenken, dass er nicht mit Kindern arbeiten kann, aber ich erzählte ihm, dass die Lehrer auch dabei sein werden und so ließ er sich überzeugen", erinnert sich Olga. Das Bootbau-Projekt begann damit, dass die Schüler die Geschichte des Berufs kennenlernten - auch über den normalen Schulunterricht hinaus: „Manche Arbeitsschritte brauchten die Zuwendung der Schüler an einem exakten Tag, zum Beispiel beim Zusammenkleben der Bootsteile. So entstand das Boot hauptsächlich am Wochenende", sagt Olga. Nicht immer kamen alle Schüler, aber fünf waren es meistens: „Mit der Zeit wurde es auch ihr Projekt, weil sie verstanden, wie viel Arbeit in so einem Boot steckt", erklärt sie. Nebenbei entstanden auch vier kleine Gaita-Modelle aus Holz. „Die Hälfte meines START-Stipendiums wanderte in das Boots-Projekt", sagt Olga, „aber das war es Wert - das Boot ist sehr sexy", lacht sie.


Weil sie nicht nur die traditionelle Art zu fischen, die stathmokari-Technik, zeigen wollte, gingen einige der Grundschüler auch an Bord eines modernen Fischerbootes, eines Kaikis. „Es war spannend für die Schüler zu sehen, dass die Fischer auch moderne Technik wie etwa Tablets nutzen, um das Wetter oder Radar zu überprüfen, Bilder von den Fischen zu machen, einen Code zu vergeben und die Daten noch vom Boot ans Ministerium zu schicken. „Einige fragten, was sie studieren müssten, um den Beruf zu ergreifen", erzählt Olga lachend, „das war ein spannender Moment, weil es viele Stereotypen in Griechenland gegenüber der beruflichen Ausbildung gibt und das Studium eindeutig präferiert wird", erklärt sie. „Deswegen gingen wir danach zu unserer Berufsschule, die auf Gastronomie spezialisiert ist. Die Berufsschüler zeigten uns dann, wie der Fisch zubereitet und serviert wird. „Mich hat es sehr gefreut, dass sich einer der Jungen etwas später für einen Besuch der Berufsschule entschied und ein anderer sprach davon, dass er gerne mit dem Material Holz arbeiten würde", zählt Olga erste Erfolge auf.


Von Müttern und Großmüttern lernen 

In der Weber-Stadt Etoliko sprach sie, angespornt von den ersten Erfolgen, wenig später mit der Direktorin der örtlichen Realschule über ein Projekt in dem einzigen Gravur-Museum Europas mitsamt stillgelegter Weberei. Es ist nur wenige Stunden täglich geöffnet. „Meine Idee war es den Ort für Workshops der Schüler mit den Bürgern der Stadt zu öffnen und so dem Museum wieder mehr Leben einzuhauchen. „Wir haben dann zwei Frauen ausfindig machen können, die dort früher Teppiche gewebt hatten und Michalis, der das Gravieren beibrachte. Alle hatten Lust, an dem Projekt mitzuwirken", sagt Olga. „Mehrere Male trafen wir uns, fingen mit kleinen Stücken an und steigerten uns. Wir sprachen auch darüber, wie das Weben heutzutage stattfindet, welche Rolle es vielleicht auch im Design spielt und wie wir das Handwerk heute noch benutzen in Griechenland", erzählt sie. Weil Handarbeit nicht mehr in der Schule gelehrt wird, gefiel ihr die Idee, dass die Kinder es von den Müttern und Großmüttern lernen.


Im Frühjahr folgte eine offene Ausstellung mit den Arbeiten im Museum, das bis dahin jeden Samstagnachmittag geöffnet hatte. „Es brachte ein anderes Gefühl in die Stadt. Die älteren Menschen wollten nur jemanden, der ihnen zuhört, um ihr Wissen weiterzugeben und ich wollte diesen Raum schaffen",erklärt Olga. „Auch hat mir das Projekt gezeigt, dass ich zwar Juristin bin, ich aber viel lieber Projekte organisiere", lacht sie. So soll das Museum auch weiterhin durch Workshops offen gehalten werden. Statt einem Neubau von Booten sollen nun alte renoviert werden und das mit wieder anderen Schülern. „Das kann gut werden. Auch weil die Jugendlichen aus Hamburg zu uns kommen und es so immer wieder neue Austausch-Erfahrungen gibt", erzählt sie.

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