Lisa Brüßler

Journalistin. Print, Online & Social, Berlin

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Juso-Chef zu Gast: "No GroKo" im vollen Hörsaal der Uni Göttingen

Göttingen. Kaum ein Politiker wirbt derzeit leidenschaftlicher für ein "Nein" zu einer Neuauflage der Großen Koalition als Juso-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert. Mit seiner "No GroKo"-Tour machte er Halt im voll besetzen Hörsaal der Universität Göttingen.


Nach zweimaligem Wechseln der Hörsaale hatte Juso-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert dann die Bühne, die er selbst eine „beeindruckend große Runde" nannte: Knapp 800 Interessierte waren gekommen, um der Diskussion von Kühnert mit Parteienforscher Matthias Micus vom Göttinger Institut für Demokratieforschung zu folgen. Moderiert von Hannes Keune (IfD) ging es rund 90 Minuten um die SPD zwischen neuer großer Koalition und innerparteilicher Opposition. Bereits seit vergangenem Freitag ist Kühnert auf seiner deutschlandweiten Tour zur Ablehnung der GroKo durch die SPD-Mitglieder. Noch bis zum 27. Februar ist er unterwegs. Aus Göttingen ging es gleich weiter nach Hannover.


Identität der Partei

„Es ist erstens eine Überraschung, dass die Sozialdemokratie so viele Leute motivieren kann und zweitens, dass ich hier ein bisschen die Position eines GroKo-Befürworters vertrete", erklärte Micus in seinem Eingangsstatement und warf einige Fragezeichen auf: Die SPD habe in den letzten Jahren nicht per se und automatisch Stimmen verloren, sondern sogar unabhängig davon, ob sie sich in der Regierung oder Opposition befand. Die Partei müsse sich klar werden, was sie unter sozialdemokratisch und „Linkssein" verstehe. Die Erneuerung müsse zudem aus der Partei heraus kommen, nicht über die Tagespolitik - deswegen sei der Diskurs, den die Jusos rund um Kühnert angestoßen haben zu begrüßen, so Micus.


Der Aufstieg des 28-Jährigen Kühnert ist ganz stark mit dem Hashtag „#NoGroKo" verbunden. Tatsächlich nimmt man ihm ab, dass es ihm um eine Grundsatzdebatte, nicht um politisches Personal geht: „Wir haben uns sehr früh gegen die GroKo positioniert. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Partnern sind aufgebraucht und mittlerweile liegt ein Koalitionsvertrag vor, der ein „weiter so", eine mutlose Politik, beschreibt und keine Antworten auf die gesellschaftlichen Fragen liefert, die wir brauchen", sagte Kühnert. Man sollte meinen, dass so eine Tour und der innerparteiliche Gegenwind ihn müde machen, schlauchen - doch Kühnert wirkt souverän, konzentriert, spricht reduziert aber klar.

„Ich sitze seit über zwei Monaten im Parteivorstand und erlebe eine Bräsigkeit und Selbstzufriedenheit wie ich sie vorher nie erlebt habe - da ist keine Meinungsvielfalt", erklärte Kühnert. Die SPD habe es verlernt Fragen zu stellen, sondern reagiere nur auf Notwendigkeiten.


Fehlende Inhalte für junge Menschen

Besonderen Applaus bekam Juso-Chef Kevin Kühnert, als er die fehlenden Inhalte für junge Menschen anspricht: „Sie haben genau wahrgenommen, dass es einen politischen Stil gibt, der darin besteht, die Antworten immer in die ferne Zukunft zu verschieben, ob es um die Klimaziele, den Dieselskandal oder die Digitalisierung geht", so Kühnert.


„Politische Parteien brauchen ein Standbein und ein Spielbein. Aber das Standbein, der politische Ort, fehlt - auch deshalb wirken die aktuellen Personaldebatten so ekelhaft, denn ohne Inhalte stehen sie quasi nackt als postengierige Typen da", analysierte Micus. Kühnert konnte ihm da nur beipflichten. Er könne sich es nur so erklären, dass die Spitze nicht verstanden habe, dass es um Existenzfragen gehe, dass die Zeit der Egos vorbei sein müsse: „Es sind alle nur angekotzt von dieser Art Politik zu gestalten", machte er sehr deutlich, „die momentane Sympathie für die Jusos hat wenig mit uns zu tun, sondern mit dem Eindruck, dass es einen Turnaround in der politischen Debatte hin zu mehr grundsätzlichen Auseinandersetzungen gibt", analysierte er und erntete großen Applaus.


Fragen aus dem Publikum

Bereits nach 50 Minuten wurde die Runde für Fragen aus dem vollen Hörsaal geöffnet. Egal ob Einbindung von neuen Mitgliedern, absolutes Waffenexportverbot oder mehr Mut zu einer rot-rot-grünen Koalition - Kühnert beantwortet die Fragen wie ein politischer Vollprofi ohne in Phrasen abzuschweifen.


Nur bei der entscheidenden Frage was passiert wenn die Basis der NoGroKo-Kampagne folgt, hat er keine klare Antwort. Ein strukturelles Merkmal der mangelnden Langfristigkeit ohne Alternativen aufzuzeigen, so Micus: „Nehmen wir die Bürgerversicherung als Beispiel - da gab es nicht mal eine vorbereitende Arbeitsgruppe im zuständigen Ministerium." Da sehe er schon eine Parallele zur NoGroKo-Kampagne.


Zur Person: Kevin Kühnert

Kevin Kühnert wurde 1989 in Berlin geboren. Bereits als Jugendlicher setzte er sich für die Partizipation junger Menschen ein und war Schülersprecher, bevor er Publizistik, Kommunikationswissenschaft und später per Fernstudium auch Politikwissenschaft und Soziologie studierte.

Seit 2005 ist er Mitglied der SPD. 2012 bis 2015 war er Landesvorsitzender der Jusos Berlin, dann stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos bevor er am 24. November 2017 zum Bundesvorsitzenden gewählt wurde.

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