ARTE Creative: Was will "Blowback"? Zurück zu den Ideen von Berthold Brecht, der den Rundfunk als ein Medium verstand, welches den Rezipienten aktiv miteinbezieht?
Katrin Moll: Genau. Bei Deutschlandradio Kultur gibt es eine lange Tradition, auf aktuelle Technik mit kreativen Inhalten zu reagieren. Wir haben bereits relativ früh interaktiv gearbeitet: In den 1990er Jahren mit interaktiven Radiosoaps. Hier konnten sich die Zuhörerinnen und Zuhörer per Telefon einklinken. Um 2000 herum integrierten wir Blogs in unsere Projekte. Als Audioinhalte immer häufiger per Handy konsumiert wurden und das Smartphone zum Kommunikationszentrum wurde, wollten wir auch dieses neue Terrain besetzen.
Ist das Hörgame also auch eine Möglichkeit, das Radio aus seinem Dornröschenschlaf als Begleitmedium aufzuwecken?Audio spielt im Netz und für Audio Devices eine große Rolle! Wir bei Deutschlandradio Kultur wollen als Produzent für hochwertige Audioinhalte in dieser neuen Sparte vertreten sein. Unsere erste App „Radioortung" war eine Art GPS-Hörspiel. Wir haben über eine interaktive Website Sounds virtuell an bestimmten Plätzen in Berlin abgelegt und die User konnten sich über eine App die Sounds vor Ort anhören und sich so ihr eigenes Hörspiel "erlaufen". Durch diese Interaktivität entsteht Aufmerksamkeit. Und wir hoffen, eine Zielgruppe anzusprechen, die jung und experimentierfreudig ist - und Lust hat, das Radio auf eine neue Art zu entdecken. So entstand letztendlich die Idee für "Blowback", wo wir Game und Hörspiel zusammenbringen wollten.
Ein "interaktives Hörgame". Wie kann man sich das genau vorstellen?Das Ganze besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil "Blowback - Der Auftrag", ist ein ganz klassisches Hörspiel, ein Science-Fiction-Krimi, der im Jahr 2047 spielt. Auf der Erde ist ein Kampf um die letzten Süßwasserreserven entbrannt. Die beiden Mega-Konzerne Universal Waters und Blue Company kämpfen um die Vormachtstellung am globalen Wassermarkt. In diesem Setting wird die Geschichte einer entführten Geophysikerin erzählt und einem Agenten, der beauftragt wird, sie zu suchen. Er begibt sich dafür in ein Unterwasserhotel in der Nordsee. In dem Hörspiel ist auch eine Journalistin unterwegs, die vermutet, dass hinter den Machenschaften der Wasser-Konzerne auch die Regierung steckt. Aber was sich genau in diesem Hotel abspielt und wer involviert ist, das sind Fragen, die im Hörspiel offen bleiben und die ich später als Spielerin lösen kann. Mit der App "Blowback - Die Suche" spiele ich die Geschichte weiter.
"Die Suche" ist also eine Art Anschluss-Game an das Hörspiel. Wie läuft eine Spielrunde ab?Man hat Kopfhörer auf und sieht auf dem Display ein paar Füße mit denen man geradeaus gehen kann und einen Kompass, mit dem man sich drehen kann. So steuert man die Journalistin Julia Khourim durch dieses Unterwasserhotel, das man schon aus dem Hörspiel kennt. Das heißt, man begegnet auch Figuren aus dem Hörspiel, man kennt die Räume, durch die man nun selber durchlaufen muss. Es gibt immer wieder kurze Szenen, denen man beiwohnt: Irgendwo klingelt beispielsweise ein Telefon, zu dem man hingehen muss, um an neue Informationen zu kommen. Und so spielt man sich von Level zu Level, mit immer höherem Schwierigkeitsgrad. Bis man ganz am Ende in das "Zauberzimmer" kommt, in dem im Hörspiel auch schon die Geophysikerin gefangen gehalten wurde. Dort befindet sich nun ein Informant, der preisgibt, worum es überhaupt geht.
Wie stellt man Klänge im Raum nach - und gibt es ein ideales Setting zum "Blowback"-Spielen?Wir haben uns einer Aufnahmetechnik der 1970er Jahre bedient, der so genannten "Kunstkopftechnik". Das funktioniert über ein Stereo-Mikrophon in Form eines künstlichen Kopfes. Die Aufnahmen, die damit produziert werden, erzeugen ein 3D-Hörerlebnis. Man kann "Blowback" theoretisch überall spielen, wenn man gute Kopfhörer hat. Aber wir haben gemerkt, dass man doch eine gewisse Konzentration braucht, um sich orientieren zu können. In jedem Level gibt es Punkte, die man ansteuern muss. Dafür muss man genau hinhören. Wenn man eine Weile spielt, wird man sehr schnell sehr gut.
Ist das Spiel auch interessant für professionelle Gamer?Wir wissen nicht genau, wer darauf anspringen wird. Vor allem ging es uns darum, ein einzigartiges akustisches Hörerlebnis zu schaffen. Über die Zielgruppe haben wir tatsächlich lange diskutiert. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir so genannte "Casual Gamer" ansprechen wollen. Vor allem auch Jüngere, die mit dem Handy aufgewachsen sind und sich für Handy-Games begeistern.
Wie ist die Idee zu "Blowback" entstanden?Das was uns auf die Spur gebracht hat, war "Papa Sangre". Das ist ein Spiel, das in Großbritannien von der Firma „Somethin' Else" in Kooperation mit der BBC entwickelt wurde. Meine Kollegin Jana Wuttke hat sich die App herunterladen und sie mir gezeigt. Ich habe es also gespielt und fand das Gefühl, Teil dieses Hörspiels zu werden, einfach irre. Da war mir sofort klar, dass wir die Idee aufgreifen müssen. In "Papa Sangre" geht es um eine Unterwelt, wo "Papa Sangre" verlorene Seelen gefangen hält. Der Spieler musste sich durch Räume voll Monster bewegen. Eine wirkliche Geschichte steckt nicht dahinter. Das wollten wir versuchen, anders zu machen.
In "Blowback" geht es um die Verteilung von Rohstoffen und die Hauptfigur ist eine Frau, die einen Mann befreien muss - inwiefern ist es ein gesellschaftskritisches Hörgame?Es war uns wichtig, ein gesellschaftskritisches Thema aufzugreifen. Gerade auf eine spielerische, unterhaltende Art und Weise können solche Themen gut behandelt werden. Und was den Gender-Aspekt angeht: Die Autorin selbst, Elodie Pascale, ist auch einfach eine, die starke Frauenfiguren erschafft. Und wir haben uns bewusst für sie entschieden.
Wird "HörgameautorIn" zur neuen Berufsbezeichnung?Das wäre toll! Für Elodie Pascale war das ja eine ganze neue Erfahrung, sie schrieb zum ersten Mal ein Hörgame. Überhaupt für uns alle war das eine Erfahrung, die uns auch teilweise an unsere Grenzen gebracht hat. Zwischendurch testet man das Spiel und merkt, dass viele Dinge so nicht funktionieren wie man sie sich vorgestellt hat. Das liegt teilweise auch daran, dass viele Leute am Prozess beteiligt sind: Die Programmierer um Florian Conrad, die vorgeben, was möglich ist, der Level-Dramaturg Philip Steimel, der aus der interaktiven, Gamedramaturgischen Richtung denkt und Elodie Pascale, die dagegen eher in einer linearen Hörspieldramaturgie denkt. Das zusammen zu bringen war eine Herausforderung - bei der es vor allem darum ging, an einer Stelle jeweils den richtigen Aspekt, den Hörspiel- oder den Game-Aspekt, in den Vordergrund zu stellen.
Sozusagen konsequent crossmedial zu arbeiten?Genau das war uns wichtig. Beide Teile müssen für sich funktionieren, müssen für sich ein rundes Bild ergeben - sowohl das Hörspiel, als auch das Hörgame. Trotzdem sollen sie gemeinsam einen zusätzlichen Mehrwert bringen. Crossmedia ist ein abgenudelter Begriff, der für viele Projekte benutzt wird, die eigentlich nur für ein Medium gedacht sind. Mit „Radioortung" waren wir in dieser Hinsicht nicht 100 Prozent zufrieden. Und mit "Blowback" wollten wir ein Crossmedia-Projekt schaffen, das den Namen auch wirklich verdient. Wir stehen hier ja ganz am Anfang. In Deutschland gibt es im Radio bisher keine mit "Blowback" vergleichbaren Crossmedia-Projekte.
Sind crossmedial aufbereitete Contents bzw. Projekte die Zukunft des Radios? Lassen sich so auch journalistische, non-fiktionale Contents in neuen Dramaturgien erzählen?Ich bin mir sicher, dass beispielsweise das Game auch für dokumentarische Inhalte super funktionieren würde. Es gibt zum Beispiel im englischen Sprachraum das neue Spiel "Zombie Defense". Das ist eine Art akustischer Ego-Shooter: Man sieht nichts, läuft nur mit einer Waffe herum und erschießt Zombies. Das funktioniert erstaunlich gut, ist aber natürlich öde. Wenn man aber dieses Spielprinzip mit einem großangelegten Bericht über Waffenindustrie oder Bürgerkrieg zusammenbringt, dann könnte das interessant werden. Journalismus als Game, das könnte total spannend sein. Wir haben mit "Blowback" eine Art Grundlagenforschung betrieben und einen Prototypen entwickelt, auf den man aufbauen kann. Jetzt kann man ins Detail gehen.
Wird man die zukünftigen Journalisten immer an der Seite von Programmierern finden?Es stimmt, dass die Bereiche Webdesign, Audio und Programmierung immer näher zusammenrücken. Trotzdem: Das klassische Radio wird nicht aussterben. Eine lineare Geschichte, die ohne Games und Bilder auskommt, das wird es immer geben. Man läuft heutzutage ständig mit Kopfhörern durch die Gegend, konsumiert permanent Audioinhalte.
Die Leute hören also sogar besser zu als früher?Ich denke, ja. Die Voraussetzungen sind noch nie so gut gewesen. Im Grunde war die Zeit für Radio nie besser als jetzt.
Katrin Moll hat an der Filmuniversität in Potsdam-Babelsberg zunächst ein Toningenieurstudium absolviert und später Theater- und Medienwissenschaft an der FU Berlin, der Uni Potsdam und der Filmuniversität studiert. Danach arbeitete sie als freiberufliche Autorin, Regisseurin und Dramaturgin für Hörspiel, Feature und Theater. Seit 2008 entwickelt sie Crossmedia-Projekte und ist seit 2014 Feature-Redakteurin bei Deutschlandradio Kultur.