"Goldrichtig" ist die Umwandlung der Offenbacher Werkkunstschule in eine Kunsthochschule vor 50 Jahren gewesen - davon ist der Präsident der Hochschule für Gestaltung (HfG) Bernd Kracke überzeugt. Damals war unter anderem das Bauhaus Vorbild für die neue Kunsthochschule in der Lederstadt. Wie zukunftsfähig ist ein solches Modell ein halbes Jahrhundert später noch? Was soll der geplante HfG-Neubau am Hafen in Offenbach bringen? Und weshalb ist der Ruf der Schule noch immer nicht vergleichbar mit dem der Städelschule? Wir haben uns mit Bernd Kracke über diese Fragen und über die verhinderte Jubiläumsfeier unterhalten.
Bernd Kracke: Wir wollten den 50. Geburtstag der Umwandlung in eine Kunsthochschule des Landes eigentlich mit einem Jubiläumsrundgang, einer großen Ausstellung am Jahresende und anderen Veranstaltungen feiern. Dann mussten wir völlig umplanen. Interessanterweise gibt es da eine Parallele zu den Anfangszeiten vor 50 Jahren. Das waren auch sehr unruhige, disruptive Zeiten.
Die studentischen Stimmen waren sehr wichtig - und sie sind es auch heute noch. Ende der 60er Jahre herrschte eine Aufbruchstimmung, es sollte eine Kunsthochschule mit gesellschaftspolitischer Relevanz geschaffen werden; eine Hochschule für Umweltgestaltung, wie es der damalige Rektor Dieter Döpfner formulierte. Auf der anderen Seite wollte man sich von überkommenen Akademiemodellen des 19. Und 20. Jahrhunderts distanzieren und an modernen Organisationsformen orientieren: vor allem am Bauhaus und der Hochschule für Gestaltung Ulm.
Die HfG Offenbach wurde damals als eine Kunsthochschule mit universitärem Rang institutionalisiert, ausgelegt für ein künstlerisch-wissenschaftliches Studium. Das war eine sehr gute Idee, denn die Alternative wäre gewesen, als Fachhochschule zu operieren. Glücklicher- und sinnvollerweise haben sich die damaligen Entscheider goldrichtig entschieden: Die HfG hat heute national und international einen hervorragenden Ruf als Kunsthochschule.
Das ist mit Verlaub das falsche Narrativ, denn die Düsseldorfer Akademie hat unter der Leitung von Markus Lüpertz den Anschluss an die Gegenwart jahrzehntelang verpasst. Digitale Medien spielten da nie eine Rolle, und erst jetzt wird dort zur Aufholjagd geblasen. Sogar die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen regt aktuell für viele hundert Milliarden Euro die Gründung eines Europäischen Bauhauses an, um den Aufbau nach Corona mit innovativer Forschung und Lehre in Kunst und Design anzukurbeln. Daran sieht man, dass das alte Akademiemodell mit seinem überzogenen Personenkult veraltet ist, und dass die Strategie der HfG Offenbach, die Lehre in der Tradition des Bauhauses zu organisieren, vor 50 Jahren zukunftsweisend war und heute noch ist.
Rosa von Praunheim ist immer wieder zurückgekehrt und hat mit unserer Film-Professorin Rotraut Pape und den Studierenden Filme produziert. Es gibt durchaus nachhaltige Verbindungen mit vielen Ehemaligen. Manche lehren auch an der HfG wie Frank Zebner, Alex Oppermann oder das Pixelgarten-Duo Katrin Altenbrand und Adrian Nießler. Natürlich ist es toll, wenn talentierte Absolventinnen und Absolventen in Offenbach oder dem Rhein-Main-Gebiet bleiben und hier arbeiten. Aber dafür müssen auch die Voraussetzungen da sein, und die kann man nicht alleine über die Hochschule schaffen. Da gehört auch ein kulturpolitischer Rahmen dazu. Der jetzt 30 Jahre währende Sog nach Berlin seit der Wende ebbt langsam aber merklich ab - das ist auch eine neue Chance für unsere Region.
Bieten Offenbach und Rhein-Main denn gute Voraussetzungen für Künstler und Designer?Sie sind besser geworden in den letzten zehn, zwanzig Jahren. Weil das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Kultur und Kreativwirtschaft gewachsen ist. Das sind mittlerweile sehr relevante Standortfaktoren.
Wir arbeiten sehr intensiv und kollegial mit der Städelschule zusammen. Es gibt verschiedene Rhythmen, wie unsere Studierenden während des Studiums an die Städelschule gehen, aber sie kommen meistens zurück, um an der HfG ihr Diplom zu machen, denn es gibt dort keinen richtigen Abschluss. Manche gehen auch nach ihrem HfG-Diplom noch zu einem postgradualen Studium an die Städelschule. Andersherum kommen die Städelschüler auch gerne nach Offenbach, um in unseren funktionierenden und gut ausgestatteten Werkstätten zu arbeiten und mit Lehrenden und den Studierenden der HfG in Kontakt zu kommen. Es ist ein Geben und Nehmen.
Ich sehe da keinen kleinkarierten Konkurrenzkampf, sondern produktive Synergien. Es ist doch toll, sich im kreativen Kraftfeld der drei hessischen Kunsthochschulen HfG, Städelschule und HfMDK innerhalb eines verkehrstechnisch gut vernetzten Zehn-Kilometer-Radius' in der Rhein-Main-Metropole zu bewegen. Das ist ein echter Benefit, den die Studierenden nutzen und genießen können. Und den die Region auch noch mehr kapitalisieren könnte und sollte.
Wir werden ja schon national und international stark wahrgenommen, wir haben viele ausländische Studierende, ein großes Netzwerk von kooperierenden Hochschulen weltweit und viele Drittmittel- und Forschungspartner. Allein durch den zukünftigen Neubau im Hafen, ein Jahrhundertprojekt für die HfG und die gesamte Rhein-Main-Region, wird es aber noch mal einen Riesenschub in der Wahrnehmung geben, und eine neue Identität der HfG durch die Architektur. Der Architekturwettbewerb wird noch in diesem Jahr international ausgeschrieben.
Natürlich ist es keine Geldverschwendung! Schauen Sie auf andere Städte, wie viele super Kunsthochschulen in Paris, London und Berlin platziert sind. Das Royal College of Art und die Central Saint Martins University of the Arts in London. In Berlin die Universität der Künste und die Weißensee Kunsthochschule. Das kann eine Großstadt und eine Metropolregion durchaus verkraften. Außerdem sind die Städelschule mit 120 und wir mit 750 Studierenden keine Rieseninstitutionen.
Es sind aufwendige Abstimmungsprozesse mit zwei Ministerien notwendig. Durch die Erwerbung der Grundstücke am Hafen im vergangenen Jahr sind wir schon einen großen Schritt weitergekommen. Nun folgt der Architekturwettbewerb. Das Neubauvorhaben wird damit sichtbare Konturen gewinnen.
Eine interessante Frage. Bisher ist keine finanzielle Beteiligung vorgesehen. Aber wir sind natürlich offen für alle Interessensbekundungen der Stadt, sich zu beteiligen.
Wir halten uns vor dem Architekturwettbewerb bewusst zurück mit unseren eigenen Visionen. Es gibt aber natürlich Anforderungen, die wir an den Bau stellen: Wir wollen mit der Architektur ein Zeichen setzen als Hochschule für Kunst und Design und im Sinne des Gründungsgedankens die Umwelt gestalten. Da geht es um Klimabewusstsein, Nachhaltigkeit und Innovation. Wir wollen mit dem Neubau einen neuen Trend markieren.
Durch die Coronakrise sind die drängenden Fragestellungen und Handlungsfelder ja jedem klar geworden: Globalisierungsstrategien müssen hinterfragt werden, neue Arbeitsformen werden präsenter, Wohnen und Arbeiten verbinden sich immer stärker. Es gibt einen erhöhten Transformationsdruck und einen starken gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsbedarf in allen Sphären, und das geht einher mit weiteren Digitalisierungsstrategien und der Entwicklung Künstlicher Intelligenz.
In der Tat. Wir arbeiten ja immer wieder mit Partnern aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Kultur, derzeit zum Beispiel im Rahmen der hessischen Loewe-Forschungsinitiative an innovativer Mobilitätsdesign-Forschung. Da geht es nicht um das Auto oder Flugzeug der Zukunft, sondern um multimodale Nutzungsmöglichkeiten und intelligente Verknüpfungen verschiedener Verkehrssysteme.
Ich denke da an eine Illustration aus dem Buch „Delirious New York" von Rem Koolhaas. Da liegt das Empire State Building mit dem Chrysler Building im Bett im Lichte der Fackel der Freiheitsstatue auf dem Nachtisch. Übertragen auf unsere Situation könnte ich mir diese Illustration vorstellen, wie Kunst und Design im Bett liegen und neue kreative Perspektiven für die Rhein-Main-Region und den Rest der Welt entwickeln.