Mehr als 2 000 Unterstützer haben die Online-Petition zur Umbenennung der Offenbacher Bismarckstraße schon unterschrieben: Sie soll entweder Erwin-Kostedde-Straße heißen, nach dem ehemaligen OFC-Spieler mit afroamerikanischen Wurzeln, oder Haftbefehlstraße; nach dem in Offenbach aufgewachsenen Rapper Aykut Anhan, der aus einer türkischen Familie stammt. Die Idee von Initiator Felix Sauer: Auch in Offenbach soll die Debatte um koloniale und rassistische Straßennamen angestoßen werden. Medien berichteten wochenlang über den Vorschlag des 29-jährigen Studenten, und in der Stadt wurde heiß diskutiert. Kurz vor dem Ende der Petition haben wir mit Felix Sauer über seine Idee gesprochen. Steckt mehr dahinter als eine gezielte Provokation?
Sie haben eine Online-Petition gestartet, in der es darum geht, die Offenbacher Bismarckstraße in die Haftbefehlstraße umzubenennen. Muss man als Offenbacherin stolz auf den Rapper sein?
Nein, aber man sollte verstehen, welche Bedeutung Haftbefehl für Offenbach hat. Er ist eine Schlüsselfigur vor allem für die migrantische Community in der Stadt. Er ist der einzige Offenbacher mit Migrationshintergrund, der in die Feuilletons des Landes gekommen ist, zumindest seitdem ich denken kann. Man muss ihn ja persönlich nicht gut finden, aber eine gesellschaftliche Anerkennung hat er doch verdient.
Die Offenbacher Bürgerinnen und Bürger, auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Bismarckstraße sind allerdings nicht so wirklich von der Idee überzeugt, oder?
Viele haben da Bauchschmerzen, ich denke das liegt daran, dass Aykut Anhan, also Haftbefehl, ein Migrant ist, der großen Erfolg hat, der seinen eigenen Stil, seinen eigenen Output hat, und mal ausnahmsweise kein Comedian oder Fußballer ist. Jedenfalls wird die Debatte vor allen Dingen emotional geführt.Zum Original
Haftbefehl ist ja auch eine streitbare Person; nicht nur, was seine Vergangenheit als Drogendealer angeht, sondern auch wegen seines Images als Gangster-Rapper mit provokanten Texten...
Das stimmt schon. Auf der anderen Seite gibt es da diese Doppelmoral: In Goethes „Faust" geht es auch um Sex, Gewalt und Tod. Da ist das nicht schlimm. Aber wenn Haftbefehl darüber rappt, ist das natürlich was anderes...
Also gleiches Maß für alle. Dann müsste Goethe kommentiert und an der Haftbefehlstraße ein Hinweis angebracht werden, dass seine Texte sexistisch, frauenverachtend, homophob und gewaltverherrlichend sind?
So müsste es dann wohl eigentlich sein. Und wenn man für Goethe oder für Bismarck die Entschuldigung anbringt, dass sie nun mal Kinder ihrer Zeit und ihrer Umstände seien, dann muss das auch für Haftbefehl gelten. Unter Bismarck sind in den deutschen Kolonien einige Hunderttausend Menschen umgebracht worden. Heute gibt es in Deutschland einige Hundert Denkmäler und Straßen mit seinem Namen. Und was die sexistische und feministische Debatte angeht: Sie wird im Kontext der Migrationsthematik leider viel zu häufig missbraucht. Die Kölner Übergriffe an Silvester - das war in erster Linie keine Diskussion über Frauenrechte oder Feminismus, sondern über Flüchtlinge, die mit einer Menge verkappter rassistischer Ressentiments geführt wurde.
Die Frage ist aber schon, ob man einen Namen abmontiert und dann durch einen ersetzt, der auch nicht unumstritten ist.
Die Frage kann man stellen. Lustig fand ich in diesem Kontext den Gegenvorschlag eines Bewohners der Bismarckstraße: Er war für eine Smudo-Straße. Smudo, auch in Offenbach geboren, wurde mit den Fantastischen Vier und dem Song „Die da?!" berühmt. Ist das etwa keine Objektivierung von Frauen? Also, ich denke, die Sexismusdebatte ist sehr wichtig. Aber sie muss auch gesamtgesellschaftlich geführt und nicht an einigen wenigen Exempeln ausgetragen werden.
Worum geht es Ihnen bei Ihrer Petition eigentlich?
Es geht vor allen Dingen darum, die Rassismus- und Kolonialismusdebatte aus dem Bereich der Fachdiskussionen herauszuholen. Bis zu der Black-Lives-Matter-Bewegung war Rassismus ja ein Thema, das hauptsächlich unter Migranten geführt wurde. Jetzt ist in den USA ein Riesending draus geworden, mit dem sich die ganze Gesellschaft, die Lehrer, die Politikerinnen, die Jugendlichen, alle befassen, und zwar über alle gesellschaftlichen Bereiche und Milieus hinweg.
Und ich finde, es ist an der Zeit, dass auch hier grundsätzlich über einiges nachgedacht wird. Diese Menschen, nach denen wir unsere Straßen benannt haben, die haben durchaus viele Dinge gemacht, die schlimm waren, gerade in der Zeit des Kolonialismus. Es werden heute einfach die falschen Leute geehrt. Am Ende ist es eigentlich egal, ob die Straße wirklich nach Haftbefehl benannt wird oder nicht, die Debatte ist jedenfalls angekurbelt.
In der Stadt haben sich Reporter überregionaler Zeitungen herumgetrieben, Radio und Fernsehen haben berichtet. Und Sie haben die Diskussion auf Instagram weiterbefeuert.
Ja klar, warum auch nicht. Es hat meiner Petition für die Straßenumbenennung viele Stimmen gebracht. Haftbefehl ist nun mal eine Person, zu der jeder eine Meinung hat. Das zieht viel mehr als zum Beispiel der Vorschlag, die Straße nach dem ehemaligen OFC-Spieler Erwin Kostedde zu benennen. Der Vorschlag ist ja ebenfalls in der Petition enthalten. Aber da ist ehrlich gesagt gar nichts passiert, von den Fans oder Fanverbänden habe ich jedenfalls kein Statement zum Antirassismus gehört. Aber bei Haftbefehl, da regen sich die Leute ohnehin schon auf. Und wenn man dann eine Straße nach ihm benennen will, und die Leute Angst haben, dass man ihnen dafür auch noch etwas Altvertrautes wegnehmen will, dann ist natürlich viel los. Dass es allerdings einen solchen Medienzirkus gibt, hat mich auch ein bisschen überrascht.
Die Petition läuft noch bis zum 14. August, dann soll das Ziel von 2345 Unterschriften erreicht sein, zum Zeitpunkt unseres Interviews sind es 2106. Und dann?
Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Es war ja eher eine fixe Idee, und es gibt kein Konzept. Die Online-Petition ist kein Bürgerbegehren, sondern soll die Meinung von einem Prozent der Stadtbevölkerung widerspiegeln. Eigentlich hätten also 1400 Unterschriften gereicht, aber es gibt viele Unterzeichner, die gar nicht aus Offenbach sind. Welche Konsequenzen das jetzt hat, kann ich gar nicht sagen, ich glaube, bei der Stadt soll es Thema einer Besprechung werden. Ich denke aber, dass ich die Petition vorher an die Offenbacher Aktivistinnen der Black-Lives-Matter-Bewegung überreichen werde.
Was sagt eigentlich Haftbefehl selbst dazu?
Bisher gar nichts. Er hat sich nicht öffentlich dazu geäußert, und auf einige Mails hat er auch nicht geantwortet. Vielleicht hat er es noch gar nicht so richtig mitgekriegt.
Interview von Lisa Berins