Lisa Berins

Journalistin, Kulturredakteurin, Frankfurt und Offenbach

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"Wummen, Nutten, Pulver, Schnuff"

Rapper Haftbefehl aus Offenbach: Am Freitag (05.06.2020) ist mit „Das weisse Album“ seine neue Platte erschienen.© picture alliance/check your head/Universal Music

Er startete als Underdog der deutschen Hip-Hop-Szene und wurde zu einem der einflussreichsten und bekanntesten Rapper des Landes. Jetzt hat der in Offenbach geborene Haftbefehl nach fast sechs Jahren wieder ein Solo-Album herausgebracht: „Das weisse Album", kurz: „ D.W.A". Mit dem „White Album" der Beatles hat das wohl eher weniger zu tun. Es geht, genregerecht, um Themen aus der Unterwelt. Oder, mit „Haftis" Worten, um „Wummen, Nutten, Pulver, Schnuff". Für die einen ist das ganz großes Gangster-Kino. Für die anderen ein Griff in allzu viele Klischeekisten.


Hermann-Steinhäuser-Straße, Mainpark: Zugegeben, der allerfeinste Ort der Welt ist das hier nicht. Ziemlich lieblos hingezimmerte Hochhäuser, eine Multikulti-Gegend, die etwas verwahrlost wirkt. Aber ein Getto? Dass dieses Eckchen deutschlandweit bei Rap-Fans bekannt ist, liegt an dem 1985 in Offenbach geborenen Aykut Anhan ( Haftbefehl). Der hat dort nach eigenen Erzählungen mit Drogen gedealt und überhaupt jede Menge krasser Sachen mitgemacht, seitdem sein Leben nach dem Tod des Vaters aus den Fugen geraten war.


Bis heute zehrt Rapper Haftbefehl künstlerisch aus diesen Erfahrungen, wie auch auf seinem neuen Album zu hören ist. Da sind drei neue Teile seiner Follow-Up-Autobiografie zu hören, die er „1999" nennt - als Anspielung auf das Jahr, in dem er auf die schiefe Bahn geraten ist. „Szene Oscar-reif im Maybach-Mercedes / Pack' die Plomben ab, mit Glock am Sack / Fuck auf Cops, ich bin ein Mainpark-Baby /Nachts am Block in Offenbach, mit Azzlackz und Bangern, ey", heißt es in „1999 Pt. 5". Harter Slang und brutale Beats treiben einen wie in einem Blockbuster durch das wilde Offenbach. Der Soundtrack dazu ist kraftvoll, aber mitunter reichlich pathetisch geworden.


Die Produktion des Albums war wegen der Corona-Pandemie ins Stocken geraten, „ Das weisse Album" erschien einige Wochen später als geplant. Als Vorgeschmack hatte Haftbefehl schon ein paar Songs vorausgeschickt: Darunter „Bolon", „RADW" und „Conan x Xenia" mit der followerstarken Influencerin Shirin David* - einer wahrgewordenen Männerfantasie, die aussieht wie ihr eigener, vulgärer Avatar. Einen Titel hat Haftbefehl mit dem amerikanischen Rapper Gucci Mane aufgenommen, einen mit dem türkisch-deutschen Rapper Ufo361. Tiefgehend ist das Stück „Depression und Schmerz", das Haftbefehl mit seinem Bruder, dem Rapper Capo, performt.


Überhaupt scheint es in einigen Texten, als sei Rapper Haftbefehl aus Offenbach intensiv in die Introspektion gegangen. Einen richtig guten, düster-kaputten Sound hat „Morgenstern". Und mit „Papa war ein Rolling Stone", einer Anspielung auf den bekannten Motown-Klassiker, widmen Haftbefehl und Marteria ihren Söhnen einen Song; das ist eine schon fast rührende Erzählung aus der Perspektive von „Baba Hafts" jetzigem, zweiten Leben als Vater und Eigenheimbesitzer. Produziert wurde das Album wie schon „Russisch Roulette" vom „Lieblingsproduzenten" Bazzazian.


Soweit, so harmlos. Wenn da nicht dieser Chauvi-Song „KMDF" mit Shindy wäre, der wieder beweist, dass Gangsta-Rap ohne Frauenverachtung anscheinend nicht auskommen kann. Schade. Das wirkt so verdammt altbacken, wie Gangsta-Rap nur wirken kann. Überhaupt scheint es in Zeiten von MeToo-Bewegung, Klimaaktivismus, Kapitalismus-Kritik und dem Aufbegehren gegen Rassismus seltsam abgehoben, dass sich Haftbefehl und Co. noch immer in einer Art Blase bewegen, in der Rolex-Uhren und teure Autos, Luxus, Prunk, Girls und die nächste Million das Wichtigste sind. Aber so gesehen: Dieses Album bietet immerhin die Gelegenheit, den gesellschaftlichen Zerrspiegel zu betrachten, der uns da vorgehalten wird. Und ein bisschen Humor und Selbstironie will man dem Offenbacher ja dann auch noch zutrauen.


Die Geschichte vom sozialen Aufstieg, überkompensierte Minderwertigkeitsgefühle, die Theatralik des harten Lebens in der Unterwelt, die Action in den Songs - das ist so klischeehaft wie unterhaltsam. Aber dann ist da auch noch die weichere Seite: Da rappt der 34-Jährige aus Offenbach über Emotionen und innere Abgründe, und das durchaus selbstkritisch. (Die Bismarckstraße in Offenbach soll in Haftbefehl-Straße umbenannt werden. Das fordern zumindest die Initiatoren einer Online-Petition*.) Auch sprachlich ist da einige Power drin. In assoziativem und bildhaftem „Kanakisch", der stark codierten Sprache einer Parallelwelt, werden die Szenen ausgeschmückt, getragen wird das Ganze von Beats, die böse und eingängig zugleich sind. Haftbefehls Musik ist eine Brücke zum Rand der Gesellschaft - sein bisher größter Hit „Chabos wissen wer der Babo ist" (2013) ist mittlerweile schon ein geflügeltes Wort.


Jetzt weiß Haftbefehl natürlich, wie das Business funktioniert. Rap ist vor allem ein Riesengeschäft; da braucht man nur einen Blick auf die Spotify-Liste der meistgestreamten Künstler in Deutschland 2019 zu werfen, auf der Capital Bra, Samra, RAF Camora, Kontra K und andere Deutschrapper - natürlich alles Männer - die ersten zehn Plätze belegen. Seit 2013 ist Haftbefehl bei Universal, gleichzeitig betreibt er seine eigenen Labels „Azzlackz" und „Generation Azzlack", bei dem unter anderem der Offenbacher Rap-Newcomer Soufian unter Vertrag steht. Dann besitzt er noch eine eigene Modemarke und Shisha-Cafés. Der Rubel rollt, längst wohnt der Rapper nicht mehr in Offenbach. Das Märchen über das dealende Mainpark-Baby hat ein vorläufiges Happy-End genommen.


Und der Titel „ Das weisse Album" - geht's da jetzt um Koks, Straße, Abgründe, oder ist es nicht viel mehr ein eigenhändiger Ritterschlag zur Musikikone? Sozusagen auf Augenhöhe der Beatles. Gewitzt wäre das ja - und zuzutrauen ist Haftbefehl, wie er wieder gezeigt hat, vieles.


VON LISA BERINS

Der Rapper Azzi Memo kannte zwei Opfer des Terror-Anschlags in Hanau. Er nahm einen Song für sie auf - zusammen mit Kool Savas, Celo & Abdi, Veysel und anderen.

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