Lisa Berins

Journalistin, Kulturredakteurin, Frankfurt und Offenbach

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Interview

„Mit ein paar schlechten Ossi-Gags kommst du nicht weit“

Michael Mittermeier kommt nach Leipzig: Am 27. November stellt der Comedian in der Arena sein neues Programm vor: „Blackout“. Zuvor sprach der 47-Jährige in der Hotellobby mit Lisa Berins über das neue Album, persönliche Blackouts, den speziellen Ossi-Humor und kleine Eitelkeiten.

Michael Mittermeier: Oh, Danke, das ist ja, hey: ein Kuchen. Nicht, dass ich noch fett werde.

Kellner: Eine sächsische Spezialität: Eierschecke. (Augenzwinkern) Diabetikerkuchen.

Frage: Warum heißt Ihr Programm „Blackout“?

Es passt als Phänomen in unsere Zeit. Ich war 2003 beim Blackout in New York. Es war schon gewaltig, als es in der Stadt des Lichts plötzlich zappenduster war. In dem Moment fängst du an nachzudenken: Wie abhängig sind wir eigentlich von der ganzen Scheiße da draußen? Und wird es wirklich wieder hell? Das Programm „Blackout“ ist ganz anders geworden als das letzte. Ich war wieder im Ausland und habe neue Erfahrungen mitgebracht. Es ist im Grunde ziemlich englisch geworden – jedenfalls vom Spirit her.

Was gefällt Ihnen am englischen „Spirit“?

Es inspiriert dich einfach, wenn du im Ausland auf der Bühne stehst. Ich bin ja einer der wenigen deutsche Comedians, die das machen. Das Publikum sieht dich da oben und denkt: Das ist ja ein Deutscher. Die sind nicht lustig. Da musst du auch für dich bestimmen: Wer bist du eigentlich in England? Ein Deutscher, ein Bayer? Witzigerweise sind dann auch zwei, drei Nummern ins deutsche „Blackout“-Programm eingeflossen, die ich eigentlich auf Englisch geschrieben habe. Ich hatte in Deutschland zum Beispiel noch nie darüber geredet, dass mein Mittelname Fritz ist. Das ist der größte Nazi-Name aller Zeiten. Schau dir zum Beispiel den Film „Agenten sterben einsam“ an: Der Vollidiot, der Nazi-Depp, das ist der Fritz. Und dann frage ich mich in Deutschland: Warum sieht uns der Rest der Welt eigentlich als unlustige Bürokraten?

Eine gute Frage. Warum denn?

Weil ein großer Teil ja kaum etwas weiß von uns Deutschen. Die kennen nur Hitler und wissen, dass die Mauer gefallen ist. That’s it. Was wissen die von den 60er- oder 70er-Jahren zum Beispiel?

Sind Sie also als Aufklärer unterwegs?

So ein bisschen – auch in Deutschland. (Lacht). Aber das ist jetzt nicht meine Vision. Am wichtigsten ist: Ich möchte auf die Bühne gehen und die Leute zwei Stunden lang so unterhalten, dass sie rausgehen und einfach platt sind, dass sie sagen, boah, das war ’ne geile Show. Daneben versuche ich halt, auch mal fünf Minuten über aktuelle Politik zu sprechen.

Ihr neues Programm ist politischer als das letzte. Verlassen Sie die Stand-Up-Sparte damit?

Naja, das ist ja genau unser Problem. Alleine die Frage ist unfassbar deutsch. Im Ausland interessiert es ja keine Sau. Du gehst auf die Bühne, du bist gut oder nicht gut. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Nehmen wir einen wie Jon Stewart, einen der wichtigsten aktuellen Comedians weltweit, der mit seiner Late- Show wirklich Dinge mitbestimmt, auch politische. Ich hab ihn in den 90ern dutzende Male gesehen, da hat er über Alltägliches gesprochen, aber auch über den Präsidenten und Gesetze. So habe ich es auch gehalten. „Blackout“ ist ein spielerisches Programm mit harten Politspitzen.

Erfahren wir denn trotzdem etwas Persönliches über Sie?

Klar, in jedem Programm. Das ist ja der Clou: Ich bin ein Eins-zu-Eins-Komiker. Ich sehe etwas, das bleibt hängen, und irgendwann verarbeite und erzähle ich es. Dann frag’ ich Freunde, ob sie noch eine Idee haben ... Und da haben sich dann auf einmal Geschichten reingedrängt. Von meiner Jugend auf dem bayrischen Land – das ist ja auch ein eigener Kosmos.

Da gab es sicher einige Blackout-Erfahrungen ...

Ja klar. Wir haben natürlich ordentlich gebechert. Wir haben das beste Bier, wir haben viel Bier, wir haben das Oktoberfest als staatlich organisierte Blackout- Institution erkoren. Und da kamen dann Storys wieder hoch, an die ich gar nicht mehr gedacht habe. So etwas wie: Vier besoffene Männer stehen vor einem Auto, das Schloss ist eingefroren. Wie kommen sie rein? Und einer beschließt: Wir werfen eine Scheibe ein. Jetzt gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten, welche Scheibe man einschlagen kann. Es gibt auch Möglichkeiten, die keinen Sinn machen. Und ich weiß bis heute nicht, wie er auf die Idee kam, mit einem riesigen Stein die Frontscheibe einzuwerfen. Natürlich geht die nicht kaputt. Du kommst auch nicht rein. Und irgendwann haben wir dann alle an ein Schloss gepinkelt, damit es warm wurde und sind mit dem Schlüssel rein. So. Das glaubst du dann theoretisch gar nicht mehr. Aber in gewissen Zuständen tust du so etwas.

Und wann sind diese Zustände in jüngerer Zeit passiert?

Naja, auf der Bühne hast du immer wieder Blackouts. Es passiert, dass dir eine Pointe nicht einfällt, oder wie es weitergeht. Das ist aber wurscht, weil du dann improvisieren musst, und das bringt immer etwas Neues. Deswegen wachsen die Programme auch. Wenn ich hier im Osten bin, dann mach ich gerne eine Art „Ost Edition“ in meinem Programm. Dann geht es darum: Wie sind die Sachsen oder die Sachsen-Anhalter, was ist in der Thüringer Wurst, welche lokalen Rivalitäten gibt es. Sag’ zum Beispiel nie in Erfurt „Hallo Sachsen“ – dann wirst du getötet ... Da kenne ich mich mittlerweile ein bisschen aus. (Lacht). Der Bruder meiner Frau hat vor Jahren eine Thüringerin geheiratet, und zur Hochzeit reiste die gesamte Ost-Verwandtschaft in das bayrische Dorf. Aus Spaß haben einige der Thüringer dann in FDJ-Uniform eine Rede gehalten. Grandios! Da war für zwei Minuten Stille. Es war, glaub’ ich, kurz davor, dass die Bayern die GSG9 geholt hätten. Ja. Der Osten hat einfach großen Selbsthumor. Das ist großartig.

Was waren denn Ihre erste Erfahrungen als „bayrischer Bub“ im Osten Deutschlands?

Ich habe 1990/91 zum ersten Mal im Osten gespielt. Da haben alle gesagt: Sag mal, spinnst du? Was willst du da ’rüberfahren? Da hört dir doch keiner zu. Ich fand es eine Herausforderung. Und dann bin ich mit dem Auto nach Halle, Dessau, Magdeburg gefahren. Ich fand das super, weil du dir die Leute neu erobern musstest. Du kannst nicht auf die Bühne gehen und sagen: Hört mal Leute, ich hab hier tolle West-Comedy, nehmt die, geht nach Hause und seid froh. Sondern du musst dir bewusst sein, dass sie andere Dinge kennen und mögen.

Heißt das, dass es besonders lustig ist, Klischees auszuschlachten?

Teilweise. Natürlich spiele ich gerne mit Klischees. Aber das musst du intelligent machen oder gut balancieren. Mit ein paar schlechten Ossi-Gags kommst du nicht weit. Dasselbe gilt für Auftritte im Ausland: Du schaust auf England anders als der Engländer. Im Mai und Juni war ich als Support auf ein paar Terminen mit Eddie Izzard, einem der berühmtesten Kollegen weltweit. Und es ist schon Wahnsinn, wenn 5000 Leute, die dich never ever gesehen haben, auf eine Pointe reagieren. Sie würden nie lachen, wenn es nicht lustig wäre, dazu kannst du sie ja nicht zwingen. Das ist ja das Gute: Stand Up ist das letzte Biotop der Unterhaltung. Wenn’s Scheiße ist, wird es auf Dauer nicht funktionieren. Der Rest ist Geschmackssache.

Apropos Geschmack: Was halten Sie von den Zuschauer- Rekorden Ihres Kollegen Mario Barth?

Wenn es jemand gerne macht, soll er es tun. Ich bin völlig anders strukturiert. Mir geht es um andere Herausforderungen; die nächste tolle Show oder eine englischsprachige Doku über einen inhaftierten Kollegen. Ich hätte auch noch fünf Hallen mit 5000 Zuschauern bespielen, einen Haufen Geld verdienen, mich zu Hause hinhocken und Fernseh gucken können. Jeder Comedian hat halt seine eigenen Ziele.

Finden Sie die deutsche Comedy-Szene eigentlich langweilig?

Vieles ja, aber ich finde, dass wir auch im Kleinen wieder viel Gutes entdecken. Wir haben eine große Szene, eben weil wir den Fehler gemacht haben, zwischen Comedy und Kabarett zu trennen. Das war in den 90ern. Damit hatte sich das deutsche Kabarett eigentlich in seine beiden Kniescheiben geschossen. Ich bin seit den 80ern unterwegs. Mich nannte man Kabarettist. Tatsächlich bin ich aber eine Mischung aus beidem. Und nun, ja, wir haben viele gute Leute, aber es ist natürlich auch viel Krempel da.

Was zum Beispiel?

Da werde ich nicht drüber reden. Obwohl ich sagen muss: Ich habe sehr hohen Respekt vor Olli und Cindy. Eine Sendung komplett pointenfrei zu moderieren – das muss man sich erst mal trauen. Das verlangt mir echt Respekt ab.

Sie sind seit über 25 Jahren auf Tour, fast schon eine Art „Bühnen-Opi“ – verkörpern aber trotzdem immer noch das schreiende, bockige Kind. Wann wird es erwachsen?

Das wird hoffentlich nie erwachsen. Das ist ja das Wichtige, dass du, vor allen Dingen als Künstler, diesen Spagat machst, auch in dir selbst. Dass du das Kind rauslässt, wenn es raus will. Kinder sind neugierig und deshalb können wir von ihnen lernen. Die Künstler, die sagen: Jetzt werde ich erwachsen, jetzt mach ich ein Polit-Kabarett-Programm, da denkt man nur: Okay, kannste gerne machen. Aber schau dir dein Publikum an: Zehn von denen sterben nächste Woche. So willst du ja nicht enden.