Victor Hugo, Flaubert, Balzac, Sartre, Beauvoir, Proust, Camus, Saint- Exupéry, Houellebecq – die Liste berühmter französischer Schriftsteller reicht gefühlt von hier bis Paris. Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse stellt sich das Gastland Frankreich mit neuem Image vor: Pénélope Bagieu ist eine jener jungen Autorinnen, die zeigen, dass die moderne französische Literatur ganz eigene Ansprüche hat.
Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse stellt sich das Gastland Frankreich mit neuem Image vor: Pénélope Bagieu ist eine jener jungen Autorinnen, die zeigen, dass die moderne französische Literatur ganz eigene Ansprüche hat.
Josephine Baker schüttelt die Banane vom Röckchen, dass es den Männern schwindelt. Ende der 1920er war die afroamerikanische Schönheit der Star im Pariser Varietétheater „Folies Bergère". Dass sich die exotische Tänzerin neben ihren berühmten Fast-Nackt-Auftritten für Waisen und gegen Rassismus engagierte und sogar als Spionin arbeitete, das erzählt Pénélope Bagieu in ihrer Graphic Novel „Unerschrocken". 15 Porträts hat die Pariser Autorin und Zeichnerin mutigen, unkonventionellen Frauen gewidmet, die die Weltgeschicke auf ihre Weise lenkten - und die wir heute teils gar nicht mehr kennen.
Vor Kurzem ist das Buch auf Deutsch erschienen. Zuvor hatte es in Frankreich Erfolge gefeiert: Entstanden sind die Geschichten in einem Blog der großen Pariser Tageszeitung „Le Monde". Jede Woche sollte eine Folge von „Les Coulottées" (so der Originaltitel) im Netz stehen - viel Disziplin habe sie als Zeichnerin an den Tag legen müssen, erinnert sich die 1982 geborene Pénélope Bagieu.
Es ist kein Geheimnis, dass Comics und Graphic Novels in frankofonen Ländern wie Frankreich oder Belgien eine viel größere Rolle im Literaturbetrieb spielen als etwa in Deutschland. Beim Gastlandauftritt auf der Buchmesse schlagen die Franzosen deshalb ein eigenes Kapitel für das Genre auf: In einer 300 Quadratmeter großen Ausstellung werden 24 Comic-Autoren des 21. Jahrhunderts vorgestellt.
Überaus politisch geht es in den Novels der jungen Autoren zu: Riad Sattouf erzählt beispielsweise in „Der Araber von morgen" autobiografisch von seiner Kindheit im Nahen Osten und der Zerrissenheit zwischen arabischer und westlicher Welt. Pénélope Bagieu geht es um ein gesellschaftlich nicht weniger aktuelles Thema: „Die Geschichtsbücher sind voll von mächtigen Männern, von Königen, Eroberern oder Erfindern. Frauen waren diese Positionen jahrhundertelang verboten. Und wenn es mal eine mächtige Frau gab, wird sie selten erwähnt", sagt Bagieu im Gespräch mit unserer Zeitung.
Zehn Jahre lang reifte die Idee dieses Buchs in ihr, bis sie sich ans Werk machte. „Auf einmal habe ich Frauen überall als Hintergrundcharaktere entdeckt. Und mich gefragt: Wie kommt es, dass sie nicht Teil der offiziellen Geschichte sind?" Auch über eine Frau namens Giorgina Reid sei Bagieu so gestolpert. Reid, eine wissbegierige gebürtige Italienerin, kam als Kind in die USA. In ihrem späteren Wohnort, dem New Yorker Küstenort Montauk, rettete sie in jahrzehntelanger Arbeit einen Leuchtturm, der ins Meer abzusacken drohte. „Bei einem Besuch im Museum entdeckte ich ein Foto von ihr und leider nur zehn Zeilen ihrer erstaunlichen Geschichte", erzählt Bagieu, die seit mehr als zwei Jahren in New York lebt.
Die Recherche für die Biografien sei dann allerdings nicht so leicht gewesen: Oft fehlten Informationen schlichtweg. Dennoch seien nur überprüfbare Fakten ins Buch gelangt. Einiges sei natürlich nicht überliefert; die Emotionen, Ängste, Gedanken der Protagonistinnen. „Ich versetze mich in ihre Lage, versuche mir vorzustellen, was mich umgetrieben hätte. Die Biografien mit Leben zu füllen und Geschichten zu erzählen, das ist meine Aufgabe als Autorin", betont Bagieu.
Erstaunliches ist dabei herausgekommen - eine neue, humorvolle Perspektive auf die Geschichte. Vielleicht würde die Welt ohne Clémentine Delait, die Dame mit Bart, ohne die Kriegerin und Schamanin Lozen, ohne die chinesische Kaiserin Wu Zetian heute anders aussehen. Vielleicht aber auch nicht - das tue nicht wirklich etwas zur Sache. Vielmehr sei es wichtig, dass man heute von diesen „unerschrockenen" Frauen erfahre, findet Bagieu, die sich selbst im „Männerberuf" Comiczeichner durchsetzen muss: „Wenn man sieht, da gab es schon mal eine ungewöhnliche Frau, hat man vielleicht nicht mehr so viel Angst, die zweite zu sein. Es geht darum, Rohmodelle in allen möglichen Kategorien zu schaffen. Umso normaler wird es für Frauen und Mädchen, einen solchen Lebensweg als mögliche Option zu wählen."