Lisa Berins

Journalistin, Kulturredakteurin, Frankfurt und Offenbach

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Interview

„Ich möchte in Ruhe Theater machen“

Es ist nicht unbedingt ein leichter Einstieg ins Frankfurter Theaterleben: Anselm Weber, der gerade vom Schauspielhaus Bochum an den Main gekommen ist, muss sich derzeit mit einem eher unerwarteten Willkommensgeschenk beschäftigen: die Diskussion um die Sanierung oder den Abriss und Neubau der maroden Städtischen Bühnen, in die er als geschäftsführender Theaterintendant involviert ist. Wir wollten von ihm und seiner Stellvertreterin und Chefdramaturgin Marion Tiedtke wissen, was wir von der anstehenden, ersten Spielzeit und dem neuen Personal erwarten können. Ein Gespräch über Theater als politischen Diskursraum, über das Rhein-Main-Gebiet und künstlerische Anfänge.

Vom rauen Ruhrpott in die Bankenstadt Frankfurt. Wie fühlt sich der Wechsel an?

Weber: Er fühlt sich bis jetzt sehr gut an, was sicher damit zu tun hat, dass ich die Stadt lange und gut kenne. Ich war das erste Mal Anfang der 90er hier, dann Anfang der 2000er und dann ab 2004 regelmäßig, um Opern zu inszenieren. Ich fühle mich ein bisschen, als würde ich nach Hause kommen. Sie bereuen die Entscheidung also noch nicht? Weber: Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe mir bewusst den schönsten Weg zur Arbeit ausgesucht, den man sich vorstellen kann. Ich gehe jeden Tag am Main entlang zum Theater.

Woran arbeiten Sie gerade?

Weber: Wir haben unsere Arbeit am Schauspiel Frankfurt jetzt über zwei Jahre vorbereitet. Ich habe weit über 50 Verträge von neuen Mitarbeitern unterschrieben. Im Moment arbeite ich daran, dass alle Mitgereisten hier gut ankommen. Viele sind mit ihren Familien hergezogen, und für sie trage ich eine große Verantwortung. Am Wochenende hat sich das neue Team, 130 Leute, zu einem Sonntagsbrunch im „Hafen 2“ in Offenbach getroffen.

Auf der anderen Mainseite?

Tiedtke: Ja, der „Hafen 2“ ist ein schöner, familienfreundlicher Ort mit gutem Essen. Und nur ein kleines Stück weiter, auf einem Industriegelände zwischen Frankfurt und Offenbach, befinden sich unsere Probebühnen.

Weber: Außerdem wollten wir zeigen, was die Großstadt Frankfurt abseits der Banken alles zu bieten hat.

Sind Sie öfter in Offenbach?

Weber: Ja. Ein gestandener Ruhrgebietler, der die letzten zwölf Jahre alle möglichen No-Go-Areas kennengelernt hat, hat sich in Offenbach natürlich schon umgesehen. Außerdem war ich im Architekturmuseum gerade in der Ausstellung „Making Heimat“ und war positiv überrascht, wie sich die Stadt entwickelt.

Leider hat Offenbach kein städtisches Theater.

Weber: Das ist schade, aber dafür bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.

Gibt es Pläne, das Frankfurter Theater über die Stadtgrenze auszuweiten?

Weber: Wir arbeiten jetzt mit der B3-Biennale der Hochschule für Gestaltung zusammen. Die Abschlussveranstaltung findet in diesem Jahr bei uns statt, und es wird eine große Präsentation an der Fassade des Theaters geben.

Sie sagen, Theater soll zur Identität einer Stadt beitragen. Wie geht das?

Weber: Wir gehen raus in die Stadtviertel. Vor Ort werden wir mit Jugendlichen kleine Formate entwickeln, die dann nach drei Jahren zu einem großen Stück führen, das wir auf der großen Bühne zeigen wollen.

Tiedtke: Theater trägt auch dadurch zur Identität einer Stadt bei, dass es als Ort von Aufführungen und verschiedenen Formaten vor allem Themen sucht, die eine Stadtgesellschaft interessieren und zugleich immer wieder Debatten darüber anzettelt, wie wir leben wollen. Die Stücke der kommenden Spielzeit verhandeln auch immer Regeln und Konflikte des Zusammenlebens. Sie treffen den Nerv der Zeit.

Zum Beispiel?

Tiedtke: Gleich unsere Eröffnungspremiere. „Richard III.“ ist das Paradestück einer selbstsüchtigen Persönlichkeit, die plötzlich Politik bestimmt. Wir sehen das derzeit überall: Auf einmal werden unsere hart errungenen demokratischen Werte durch narzisstische Autoritätsfiguren in Frage gestellt.

Weber: Alles Männer natürlich!

Tiedtke: Tatsächlich gibt es laut Fachstudien mehr narzisstische Störungen bei Männern als bei Frauen... Neben der Macht thematisieren wir auch die Ohnmacht in der zweiten Premiere im Schauspielhaus. In „Woyzeck“ ist der Protagonist ein Opfer der gesellschaftlichen Ordnung. Auch dieses Thema ist aktuell: Wir haben oft das Gefühl, wir könnten herrschende ungleiche Machtverhältnisse nicht mehr steuern und sind ihnen ausgeliefert.

Geben Sie auch der jungen Generation eine Stimme?

Weber: Wir haben die junge Autorin Laura Naumann engagiert, die „Das hässliche Universum“ geschrieben hat. Naumann ist eigentlich für ihre tollen Dialoge bekannt. Angesichts der bedrückenden Geschehnisse in der Welt hat sie sich aber jetzt dazu entschlossen, eine Textfläche, vergleichbar vielleicht mit einem Jelinek-Text, zu schreiben.

Ihre erste Spielzeit wird also sehr politisch ...

Tiedtke: Ja, weil Fragen des Zusammenlebens immer auch politische Fragen sind. Wir sehen uns da in einer kulturellen Tradition: Bevor unser Land eine Nation war, war es eben eine Kulturnation, in der gerade das Theater eine wichtige Funktion innehatte. Immer wieder gab es den Anspruch, gesellschaftliche Fragen aufzugreifen und als Theater ein sinnlicher Erfahrungs- und Diskursraum zu sein. Das wollten wir auch mit unserem Motto „Wir“ thematisieren. Das „Wir“ mit seiner Vielfalt und verschiedenen Sprachen muss ja immer wieder neu kreiert werden: Wie wollen wir leben? Was hält uns zusammen?

Weber: Es geht uns ganz klar darum, die Mitte zu definieren. Wir sind die Mitte. Stadttheater ist die Mitte. Und wir sind aufgerufen, diese Mitte zu verteidigen – nicht nur gegen Narzissten.

Warum zeigen Sie Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ nicht auf der großen Bühne?

Weber: Es ist nun einmal so, dass diese Bühne in ihrer Größe positiv gesprochen einmalig, negativ gesehen das größte Regiegrab ist, das ich kenne (lacht).

Tiedtke: Das mussten schon einige Regisseure erfahren. Weber: Ich weiß, wovon ich spreche. Die Bühnenbreite, die gesamte Konzeption ist für eine klassische Sprechbühne sehr ungewöhnlich.

Tiedtke: Der serbische Regisseur Milo Lolic wollte gern das neue Stück von Elfriede Jelinek inszenieren. Wir freuen uns auf die erste gemeinsame Arbeit mit ihm, die aber nicht gleich unter dem Druck der großen Bühne stattfinden sollte. Daher haben wir ihm die Kammerspiele vorgeschlagen.

Opernintendant Bernd Loebe sagte einmal, dass das Publikum nicht ins Theater komme, um die weltlichen Probleme verdoppelt zu sehen.

Weber: Das ist seine Sicht: Er findet, dass die Welt schlimm genug ist und dass es durchaus einen Anspruch der Oper gibt, sich von der Welt zu erholen.

Sie haben sich doch vorgenommen, enger zusammenzuarbeiten, richtig?

Weber: Genau. Und tatsächlich ist es so, dass Bernd Loebe für einen Opernintendanten ein sehr engagiertes Programm macht. Ich habe zuletzt unter seiner Intendanz „Die Passagierin“, eine Auschwitzoper, inszeniert.

In dem Stück „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers, in dem Sie Regie führen, soll die Oper auch ins Boot geholt werden. Weshalb haben Sie sich diesen Roman eigentlich ausgesucht?

Weber: Ich habe nach Stoffen gesucht, die in Frankfurt spielen. Und plötzlich stieß ich auf Anna Seghers’ Roman. Die Fluchtgeschichte spielt zu zwei Dritteln in Frankfurt, wurde hier aber noch nie aufgeführt. Es ist einer der großen Weltromane, vielleicht ein Kaliber wie Döblins „Berlin Alexanderplatz“ für Berlin.

Warum war das Stück noch nie am Main zu sehen?

Weber: Angesichts der Romanflut, die auf deutschen Bühnen stattfindet, kann man das tatsächlich nur schwer nachvollziehen. Das Stück wurde unserer Kenntnis nach in Westdeutschland gar nicht aufgeführt, nur ein Mal in der DDR.

Haben Sie Erfahrungen mit dem DDR-Theater?

Weber: In den 80er Jahren war ich tatsächlich öfter in Ostberlin, weil ich dort eine Frau kennengelernt hatte. Wir sind oft ins Theater gegangen, und ich habe dort großartige Aufführungen gesehen. In den Jahren vor der Wende herrschte eine sehr mitreißende Stimmung bei den Aufführungen, es gab eine ganz besondere Verbindung zwischen Bühne und Zuschauerraum. Da habe ich gesehen, was Theater sein kann, wie politisch es sein kann. Und tatsächlich ist mir dort zum ersten Mal die Idee gekommen, Theater zu machen anstatt Film, was ich eigentlich vorhatte.

Eine kritische Stimme nannte ihre Intendanz in Bochum im Rückblick „matt und ereignisarm“, „ohne markante Inszenierungen“. Was halten Sie davon? Braucht das Theater Knalleffekte?

Weber: Das, was ein Journalist wahrnimmt, und das, was man als Theatermann macht, sind zwei unterschiedliche Dinge. Ich habe einen anderen Blick auf meine Arbeit, als ein Kritiker. In den 32 Jahren, die ich im Beruf bin, habe ich gelernt, jedem das Recht auf seine eigene Meinung zuzugestehen. Das Theater ist im Endeffekt ein Kulturbetrieb, der seinen Moden unterliegt.

Ihr Kulturbetrieb hat – untertrieben gesagt – die eine oder andere bauliche Macke. Was würden Sie zu einem Abriss des Hauses sagen?

Weber: Das Thema ist zu komplex, um eine kurze Antwort zu liefern. Es geht momentan auch nicht darum, was ich mir wünsche. Schlussendlich wird die Entscheidung über die Zukunft des Schauspiels eine Kostenfrage sein und danach gefällt werden, was sich die Kommune leisten will oder kann. Aufgrund der hoch angesetzten Kosten möchte Kulturdezernentin Ina Hartwig nun prüfen, wo gespart werden könnte.

Wo darf keinesfalls gekürzt werden?

Weber: Wir haben für die Machbarkeitsstudie, die vor einigen Wochen veröffentlicht wurde, unsere Bedarfe angemeldet.

Wie finden Sie angesichts der Diskussion überhaupt den Freiraum für die künstlerische Arbeit?

Weber: Momentan versuche ich, diese Diskussion aus dem Arbeitsalltag heraus- und von meinen Mitarbeitern fernzuhalten. Natürlich müssen diese Gespräche geführt werden, auch in diesem Haus, aber ich möchte, dass in Ruhe Theater gemacht werden kann.

Tiedtke: All das, was gerade diskutiert wird, die Frage nach den Ausweichbühnen und dem Umbau, wird uns erst in fünf Jahren treffen. Klar, es ist ein heißes Thema. Aber ich finde es kontraproduktiv, diese Diskussion in den Mittelpunkt zu stellen, weil es sich wie ein Schatten über unseren Anfang legt.