Von Lisa-Marie Eckardt
Bleistift und Papier - mehr braucht Harald Nickoleit nicht, um aus der Bundeskanzlerin eine vermeintlich Kriminelle zu machen. Der Dresdner Kriminalhauptkommissar gehört zu den letzten Phantombildzeichnern in Deutschland. Und zwar wirklich zu den Zeichnern, denn seine Kollegen am Computer nennen sich Phantombildersteller. Zum Beweis gibt er gern eine Kostprobe seines Könnens. In etwas mehr als einer Stunde fertigt Nickoleit nur der Beschreibung folgend ein Fahndungsbild an und erkennt selbst recht schnell: Das ist Angela Merkel.
Weil er die Zeichenmethode nicht nur für günstiger, sondern auch für erfolgreicher hält, würde der nebenberufliche Maler die Fahndungsweise der Polizei am liebsten revolutionieren. "Mit der Umstellung auf Handzeichner könnte man sehr viel Geld sparen", sagt Nickoleit, 53. Die Kollegen arbeiten mit teuren Spezialprogrammen, dagegen kostet seine Ausrüstung höchstens fünf Euro - wenn er luxuriös einkauft. Obendrein würden die gesuchten Verbrecher auf gezeichneten Phantombildern häufiger erkannt, behauptet der Dresdner Kriminalist.
Normalerweise werden Phantombilder am Computer mit Hilfe von Schablonen erstellt. Aus Tausenden von unterschiedlichen Nasen, Mündern, Augen und Haaren muss der Zeuge wählen. "Eine ungünstige Beeinflussung", findet Nickoleit. "Dazu muss der Zeuge das Gesicht im Geiste auseinanderdividieren. Viele kommen mit einer klaren Vorstellung und wissen am Ende gar nichts mehr."
Zunächst hört der Zeichner einfach zu und macht noch keinen Strich
Wer sich 3000 Paar Augen angesehen hat, kann sich schließlich nicht mehr an das erste erinnern und vergisst darüber die Erscheinung des Täters - so sieht es der Zeichner und setzt verstärkt auf die ganzheitliche Wahrnehmung. Dabei geht er von außen nach innen vor. "Wenn das Gesamtbild stimmt, müssen auch die Details stimmen", sagt Nickoleit.
Statt auf einen Bildschirm zu starren, sitzt ihm der Zeuge gegenüber und beschreibt die gesuchte Person. Derweil macht der Maler noch keinen einzigen Strich, nur "ein Bild in meinem Kopf". Dann erst zückt er den Bleistift und beginnt zügig auf der Tischstaffelei zu skizzieren. Nach etwa einer halben Stunde ist der erste Entwurf fertig. Mit wenigen Strichen kann Nickoleit in Sekundenschnelle unterschiedliche Nasenformen anbieten, das Gesicht breiter machen oder durch Falten älter wirken lassen.
Erst wenn das Bild komplett ist, bekomme der Zeuge es zu sehen und könne "so einfacher Korrekturen vornehmen", erklärt der Kriminalist. "Es gibt Leute, die können nicht sagen, wie etwas ist - aber wie es nicht ist." Der Zeichner schlägt vor, was anatomisch möglich und dem Gesamteindruck entsprechend wahrscheinlich ist. Zur Not wird mit dem Radiergummi nachgebessert.
Lebendiger als die Computerbilder
Bisher habe er jedes Stechen gegen seine Kollegen am Computer gewonnen, sagt Nickoleit. Menschen könne man in Zeichnungen per Hand viel plastischer darstellen als mit vorgefertigten Schablonen, Details viel individueller herausarbeiten - Merkels markante Mundwinkel zum Beispiel. Nickoleit sieht weitere Vorteile: dass seine Zeichnungen lebendiger wirken als emotionslose Computerdarstellungen, dass er Täter auch in Farbe und im Halbprofil darstellen kann.
Das alles könne das in Sachsen verwendete Computerprogramm "Facette" nicht, sagt Nickoleit. Beim sächsischen Landeskriminalamt heißt es indes: Beide Phantombild-Varianten seien abhängig von der Beschreibung durch die Zeugen; eine Aussage über die Erfolgaussichten zu treffen, sei nicht möglich.
1990 hat Nickoleit sein erstes Phantombild gezeichnet, seitdem entstanden fast 3000 Bilder. Acht Jahre hat der Kriminalhauptkommissar noch bis zum Ruhestand. Die Schablonentechnik am Computer sieht nur als "Notbehelf, weil die meisten Kollegen nicht zeichnen können".
Dabei würde er es ihnen so gern beibringen und gibt seit Jahren in einem Malkreis Zeichenunterricht. Einige Kollegen seien ebenso talentiert wie er, betont Nickoleit: "Zwei Polizisten sind gelernte Porzellanzeichner - denen könnte ich meine Technik in kürzester Zeit beibringen.