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Spielerisch Achtsamkeit lernen: Meditation für Kinder, Jugendliche und Familien


Zeitdruck, Leistungsdruck, Digitalisierung - unsere Kultur und unser Zusammenleben ändert sich rapide. Auch innerhalb der Familie: Wir tippen WhatsApps statt uns zu unterhalten, scrollen durch Facebook statt gemeinsam etwas zu unternehmen und während wir mit unsere Familie essen, blicken wir aufs Handy. Innige, vertraute Beziehungen gehen verloren. Wie wir in unserer Familie miteinander umgehen, beeinflusst jedoch nicht nur unsere eigene seelische Gesundheit, sondern auch die unserer Kinder.
Hier erfährst du, wie du spielerisch mehr Achtsamkeit in deine Familie bringst und warum das so wichtig ist.

In diesem Artikel erfährst du:

warum Achtsamkeit in Familien so wichtig ist
wie mehr Achtsamkeit in die Familie integriert werden kann
wie Achtsamkeit das familiäre Miteinander positiv beeinflusst
einfache spielerische Formen für Kinder und Familien, um gemeinsam achtsamer zu werden wie du Achtsamkeit problemlos in deinen Alltag integrierst
Warum Achtsamkeit in der Familie so wichtig ist

Warum Achtsamkeit in der Familie so wichtig ist

Die moderne Zeit ist geprägt durch Stress. Es geht um Effizienz und Leistung, Besonnenheit und Zeit für sich selbst bleiben dabei auf der Strecke. Gleichzeitig gehen innige Beziehungen und ein gemeinsames Miteinander in der Gesellschaft wie in der Familie durch die ständig zunehmende Digitalisierung mehr und mehr verloren – mit gravierenden Folgen: Wir entfremden uns von uns selbst, unseren Emotionen und anderen. Während es immer leichter wird, jemanden in der Anonymität des Internets zu bleidigen, fällt es uns immer schwerer, jemandem in die Augen zu blicken und „Ich liebe dich zu sagen.“ Täglich sehen wir Bilder von Gewalt, Elend und Leid, die uns desensibilisieren. Selbst immer mehr eigentliche Vorbilder wie Politiker nutzen respektlose Sprache und Polarisierung.

Doch nicht nur das: Was im Internet und Fernsehen beginnt, findet auch seinen Weg in das tägliche Miteinander: Empathie und Mitgefühl gehen verloren, während der Stress des Alltags immer häufiger zu impulsiven Verhaltensweisen führt  – auch oder gerade zwischen Familienmitgliedern.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Fähigkeit zur Empathie und Mitgefühl noch nie so gering waren wie heute. Diese Entwicklung in den Familien aufzuhalten und umzukehren, führt nicht nur zu glücklichen, gesunden Familien. Da die Familie den Nukleus unserer Gesellschaft bildet, beeinflusst es auch das gesellschaftliche Miteinander. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Dieselben Untersuchungen zeigen auch, dass nur wenige Wochen Achtsamkeitstraining zu mehr Mitgefühl und Empathie selbst gegenüber Fremden führt und ein Gefühl der Verbundenheit mit allen Menschen entstehen lässt. Susan Kaiser nennt in ihrem Ratgeber „Achtsame Spiele“ sechs Lebenskompetenzen, die Kinder durch Achtsamkeit entwickeln, diese sind: Konzentrationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit, zur Ruhe kommen, umdeuten, sich kümmern und sich verbinden.


Achtsamkeit mit Kindern leben

Unser Unterbewusstsein ist wie ein Schwamm. Von klein auf saugen wir alles auf, was um uns geschieht. Wir werden geprägt, entwickeln Gewohnheiten – ohne uns später darüber bewusst zu sein. Darum ist Achtsamkeit schon im Umgang mit Babies und Kleinkindern so wichtig. Legen Sie ihr Handy nicht zur Seite, wenn sie eine Frage Ihres Kindes beantworten, wird Ihr Kind lernen, dass aufmerksam zuhören nicht wichtig ist.

Frisch gebackene Mütter durchlaufen große Veränderungen und Herausforderung, die zu Stress führen können: Verantwortung übernehmen, Veränderungen in der Beziehung mit dem Partner, das Kind verstehen lernen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass gut die Hälfte aller Frauen innerhalb der ersten 6 Monate nach der Geburt eines Kindes eine Schwangerschaftsdepression, Angstzustände oder posttraumatische Stresssymptome entwickeln. All dies verhindert eine von Achtsamkeit und Sensibilität geprägte Beziehung zum eigenen Kind - mit gravierenden Folgen für die Entwicklung des Kindes. Kinder lernen durch Kopieren. Ein Kind, das keine Achtsamkeit erlebt, wird nur schwer Achtsamkeit erlernen.


Doch auch vor den Kindern selbst macht der Stress der Leistungsgesellschaft keinen Halt mehr: Schule, Hausaufgaben, Musikunterricht, Training, Nachhilfe – die Freizeit und Zeit, zu spielen, Kreativität zu entfalten und sich mit den eigenen Emotionen auseinanderzusetzen, bleibt auf der Strecke. Aber auch die Sorgen und Ängste der Eltern werden von Kindern wahrgenommen und beeinflussen sie. Emotional gestresste Kinder verhalten sich oft aggressiv, sind launisch, haben Konzentrationsstörungen, Bauch- oder Kopfweh. Auch Albträume oder Bettnässen können ernstzunehmende Zeichen sein.

Je früher Kinder Achtsamkeit lernen, desto besser: Ein Grund liegt in den Entwicklungsphasen unseres Gehirns. Vor allem in der Kindheit entwickeln sich neuronale Verbindungen im präfrontalen Kortex. Achtsamkeit fördert Fähigkeiten, die von diesem Hirnbereich kontrolliert werden, z.B. Geduld, Urteilsvermögen und Selbstkontrolle.


Kinderleichte Meditation und Achtsamkeitsübungen für die ganze Familie


Aber wie gelingt es Familien, gesunde, achtsame Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern zu entwickeln?

Während Meditation für kleine Kinder noch schwer ist, da sie noch zu viel Bewegungsdrang haben, um still zu sitzen, sind Achtsamkeitsübungen spielerischer in den Alltag zu integrieren und haben ähnliche positive Wirkungen wie Meditation. Meditation richtet sich nach innen, Achtsamkeit kann dagegen überall, bei jeder Tätigkeit und in Verbindung mit anderen Personen nach innen und nach außen gerichtet werden. Deshalb kann sie ohne großen Aufwand praktiziert werden. Achtsamkeit ist nichts anderes, als seine Aufmerksamkeit und alle Sinne voll und ganz auf das zu richten, was man gerade tut. Allerdings ist das leichter gesagt als getan, denn unsere Gedanken haben die Angewohnheit abzuschweifen. Hier ein paar Tipps und Übungen, um Achtsamkeit in deine Familie zu bringen.


1. Eine Achtsamkeitsecke wählen

Wählt gemeinsam eine Ecke oder einen Platz in eurem Zuhause aus. Jedes Familienmitglied kann einen persönlichen Gegenstand dort hinstellen, z.B. eine Decke oder ein Foto, die den Raum zur „friedlichen Zone“ macht, die immer da ist und in die jeder jederzeit kommen kann, wenn er Ruhe braucht.

2. Vereinbart eine feste Zeit

 So wie Athleten einen festen Trainingsplan haben, hilft es, einen festen Termin zu haben, an dem alle zusammenkommen und Achtsamkeit gemeinsam praktizieren. Besonders geeignet ist es kurz vor dem Schlafengehen, da Achtsamkeit das Nervensystem beruhigt.

3. Der achtsame Morgen

 Stellt den Wecker ein paar Minuten früher, um einige Momente gemeinsam Achtsamkeit in eurer friedlichen Zone zu praktizieren, bevor ihr in den Tag startet.

4. Achtsamkeit am Tisch

 Vereinbart einen Tag pro Woche, an dem ihr beim Essen darüber redet, wofür ihr heute oder generell dankbar seid und was ihr aneinander wertschätzt.

5. Teilt eure Erfahrungen
Du hattest heute ein Erfolgserlebnis? Als dich jemand an der Kreuzung schnitt, hast du es geschafft, deine aufkochenden Emotionen zu beobachten und zu kontrollieren, statt im Affekt auf sie zu reagieren? Teile das Erlebnis mit deiner Familie! Du hast es noch nicht ganz geschafft, deinen Ärger zu überwinden? Sprich offen mit deiner Familie darüber und werdet euch eurer Emotionen bewusst.

6. Breathing Buddy. Atemübungen für die ganze Familie

Legt euch gemeinsam in eure Achtsamkeits-Ecke auf den Rücken. Legt euch jeder einen „Breathing Buddy“ auf den Bauch, zum Beispiel ein Kuscheltier bei kleinen Kindern, einen Flussstein oder einen anderen Gegenstand nach Wahl bei älteren Kindern und Erwachsenen. Lasst euren „Breathing Buddy“ mit jedem Einatmen ansteigen und mit jedem Ausatmen sinken. Atmet langsam und tief und beobachtet einfach. Erinnert euch gegenseitig zur langsamen Atmung zurückzukehren, falls einer von euch abschweift.

Es gibt mehrere Methoden die Achtsamkeit mit der Familie zu trainieren

7. Walk the line

Malt oder klebt eine Linie auf den Boden. Gib deinem Kind eine Glocke oder ein anderes Instrument in die Hand, das Geräusche erzeugt, wenn es nicht still gehalten wird. Lauft gemeinsam und bewusst auf der Linie hin und her. Läutet die Glocke, weil die Konzentration des Kindes abnimmt, werdet euch eurer abschweifenden Gedanken bewusst. Sage zum Beispiel: „ Oh, die Glocke hat geläutet, unsere Gedanken müssen abgeschweift sein, lass uns wieder auf die Linie konzentrieren.“

8. Emotionale Achtsamkeit

Werdet euch eurer Emotionen bewusst mithilfe eines Emotionsdiagrammes. Hängt es an den Kühlschrank und bittet jeden darum, seine Emotionen über den Tag oder die Woche hinweg einzutragen. Beschreibt euch am Ende des Tages oder am Ende der Woche eure Emotionen und was sie mit euch machen.

9. Achtsames Umarmen

Knie dich hin, sodass du genau so groß oder klein wie dein Kind bist. Schaut euch in die Augen, bringt die Handflächen vor dem Herzen zusammen und verbeugt euch langsam und achtsam voreinander. Nehmt euch dann liebevoll und achtsam in die Arme und atmet gemeinsam dreimal tief ein und aus. Beim ersten Ausatmen werde dir deines eigenen Lebens bewusst. Beim zweiten Ausatmen, mache dir das Leben deines Kindes bewusst, beim dritten Ausatmen kultiviere Dankbarkeit dafür, dass du dein Kind in den Armen halten kannst. Löst euch aus der Umarmung, blickt euch erneut in die Augen und lächelt euch an. 

10. Entdecke jeden Tag etwas Neues

Achtet gemeinsam auf die Umwelt und entdeckt jeden Tag etwas Neues: die Farbe des Regenschirms des Passanten, einen Briefkasten, den ihr noch nie wahrgenommen habt, das Muster des Blütenblattes.


Achtsamkeit verbindet Familienmitglieder in einer Zeit der Entfremdung durch Digitalisierung und Zeitdruck. Sie fördert Empathie und Mitgefühl und löst familiäre Spannungen. Sind wir uns unserer Emotionen und der unseres Gegenübers bewusst, können wir uns und andere besser verstehen. Achtsamkeit als Familie zu lernen ist leicht und unkompliziert im Alltag umzusetzen. Ihr könnte sie gemeinsam als Familie üben oder jeder für sich, zum Beispiel durch Meditation, Atemübungen oder Selbstbeobachtung.

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