Linda Gerner

freie Journalistin/taz-Redakteurin/Inland, Berlin

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Umgang mit Krankheiten: Stärke mit Schwäche verwechselt

Betroffene, die wie Margarete Stokowski öffentlich über Long Covid sprechen, werden attackiert. Nach einem immer gleichen Muster.

BERLIN taz | Du hast Erfolg, wenn du hart arbeitest. Sprich lieber nicht über deine Schwächen. Behalte Krankheiten für dich. Noch besser: Zeige, dass du selbst krank arbeiten kannst!

Wie gerne will man glauben, dass wir diese ungesunden Narrative einer Leistungsgesellschaft langsam ablegen. Wie weit der Weg dahin noch ist, zeigten exemplarisch in der vergangenen Woche der Hass und die vielen negativen Kommentare gegen Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski. Wer öffentlich über eine Erkrankung spricht, der ist weiterhin oft Ungläubigkeit, Hass und Häme ausgesetzt.

Gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) saß Stokowski am 14. Oktober in der Bundespressekonferenz und sprach über ihre Long-Covid-Erkrankung. Lauterbach wollte eigentlich seine Impfkampagne „Ich schütze mich" bewerben. Die Debatte in den vergangenen Tagen wurde aber nicht über angepasste Impfstoffe geführt, sondern war von Kritik und Lob an sowie Solidarität mit Stokowski geprägt.

Manche erwarteten von ihr, dass sie erklärt, warum ausgerechnet sie als Mehrfachgeimpfte an Long Covid erkrankte. Die Annahme, Stokowski müsse darauf Antworten haben, ist falsch. Das müssen Studien, die teilweise bereits laufen, erforschen. Das muss Lauterbach in Angriff nehmen. Ob Stokowski die geeignetste Person für eine neuaufgelegte Impfkampagne ist, ist streitbar. So oder so kann sie nur leisten, was sie tat:­ Von ihrer Erkrankung erzählen, wie sie es seit Monaten auf ihren Social-Media-Kanälen tut. Persönlich und mit Appellcharakter.

Stokowski kennt Angriffe auf ihre Person

Für die Aufmerksamkeit, die sie dadurch schafft, sind ihr viele Menschen dankbar. Menschen, die keine Reichweite haben, die mit ihrer Langzeiterkrankung in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vorkommen. Doch Stokowski wird ihr Engagement nicht nur gedankt. Stattdessen wird sie immer wieder dafür angegriffen.

Das antizipierte Stokowski bereits im Vorfeld der Pressekonferenz. Die Vorwürfe sind so wenig kreativ wie überraschend: Sie sei nur zu faul zum Arbeiten. Sie wolle sich wichtig machen. Nach der Pressekonferenz schreibt sie auf Instagram, dass sie ein Stück weit froh sei, dass sie es ist, die den Hass abbekommt, niemand, der bislang wenig Erfahrung damit hat.

Stokowski nutzte die Bühne der Pressekonferenz und stellte politische Forderungen für sich und all jene, die jetzt oder in Zukunft von Long Covid betroffen sind. Sie kritisierte die Behandlungsmöglichkeiten als unzureichend und plädierte für schnellere Arzttermine, damit Menschen nicht - wie sie es tat - selbst rumprobieren müssen, ob irgendwas hilft.

Damit hat sie recht. Es braucht eine Aufklärungskampagne für Long Covid und das Post-Covid-Syndrom. Denn immer noch werden Betroffene nicht ernst genommen oder erhalten zu wenig Unterstützung. Das mussten besonders Menschen, die zu Beginn der Pandemie an Long Covid oder Post-Covid erkrankten, schmerzhaft erfahren. Ihre Symptome wurden zunächst abgetan. Dass sie weder ihrer Arbeit wie gewohnt nachgehen noch an sozialen Aktivitäten teilnehmen konnte, isolierte sie. Schaffte finanzielle Notlagen. Aus den Berichten der Betroffenen haben einige Menschen jedoch offensichtlich nicht gelernt.

Stigmatisieren ist einfacher als begreifen [...]
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