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Interview

Raubverlag-Skandal: Der Rektor meldet sich zu Wort

Jetzt meldet sich der Bremer Uni-Rektor zurück: Nach unserer Berichterstattung über den Raubverlag-Skandal rund um den Universitäts-Rektor Bernd Scholz-Reiter, erklärte er sich bereit, in einem schriftlichen Interview unsere Fragen zu beantworten. Das komplette Interview könnt ihr hier nachlesen.

Was spricht Ihrer Meinung nach für Open Access?

Für die Universität Bremen und auch nach meiner Überzeugung ist Open Access ein unverzichtbarer Bestandteil der wissenschaftlichen Publikationskultur im digitalen Zeitalter. Open Access bietet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und jeder anderen Person weltweit die Möglichkeit, ohne „paywall“, das heißt ohne Bezahlung, auf wissenschaftliche Literatur online zugreifen zu können. Für die Autorinnen und Autoren bedeutet Open Access, dass sie ihre wissenschaftlichen Ergebnisse weltweit ohne Einschränkungen für Jedermann zur Verfügung und zur Diskussion stellen können. Die Verbreitung und Kenntnisnahme der wissenschaftlichen Ergebnisse nimmt also zu. Aus diesem Grund hat sich die Universität Bremen auch in ihrer Strategie 2018 bis 2028 für die freie, dauerhafte Bereitstellung von Publikationen ausgesprochen.

Warum hörten Sie 2014 auf, bei diesen Verlagen zu veröffentlichen? Wurde Ihnen zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass die Verlage nicht vertrauenswürdig waren?

Einen solchen Zusammenhang gab es nicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen, um die es geht, hatten meine Ko-Autoren und ich keine Zweifel an der Seriosität der Verlage. Hätten wir Zweifel gehabt, hätten wir dort nicht veröffentlicht. Aufgrund meiner Tätigkeit als Rektor nahm die Anzahl der Publikationen, an denen ich über meine Forschung nochbeteiligt war, kontinuierlich ab. Im Übrigen machen die fraglichen Publikationen bei sogenannten Raubverlagen insgesamt einen kleinen Anteil an der Gesamtzahl meiner Publikationen aus.

Wie sehr waren Sie an den Veröffentlichungsprozessen beteiligt? Oder war das Aufgabe Ihres Forschungsteams?

Bei den fraglichen Artikeln war ich einer von mehreren Ko-Autoren. Meist handelt es sich um Konferenzbeiträge, beziehungsweise um Artikel, die als sogenannte Extended Paper auf Beiträgen für Konferenzen fußen, die die heute als unseriös identifizierten Unternehmen veranstaltet haben. Ich selbst habe nie an einer dieser Konferenzen teilgenommen. Die Ko-Autorinnen und Ko-Autoren, die die Beiträge eingereicht und an den Konferenzen teilgenommen haben, haben von nichts Außergewöhnlichem oder Negativen berichtet, sondern von wissenschaftlichem Austausch mit Fachkolleginnen und -kollegen. Für mich bestand daher seinerzeit kein Anlass, an der Seriosität der Verlage zu zweifeln und weitergehende Recherchen anzustellen.

Ich befürworte seit langem die Idee des Open Access und habe daher auch Veröffentlichungen im Open Access unterstützt. Zugleich habe ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch an renommierte Netzwerke und deren Publikationsorgane sowie an renommierte Journale bei Verlagen wie Elsevier, Springer oder Taylor and Francis herangeführt. In der Qualität der eingereichten Veröffentlichungen haben wir dabei nicht differenziert.

Eine wissenschaftliche Arbeit, die bei einem Scheinverlag veröffentlicht wurde, muss deswegen nicht unbedingt „schlecht“ sein, das stimmt. Aber wie können Studierende wissenschaftlich qualitative Veröffentlichungen, die bei Scheinverlagen erschienen sind, erkennen?

Es ist richtig und wichtig, dass man – wie Sie es in Ihrer Frage tun – zwischen Verlag und Publikation unterscheidet. Darauf hat auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen in ihrer Stellungnahme hingewiesen, die ich teile. Und deswegen ist auch Ihre Frage berechtigt, wie Studierende die Qualität einer Veröffentlichung erkennen können.

Hier gibt es sicherlich Unterschiede zwischen den Disziplinen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es ein guter Anhaltspunkt für die Qualität eines wissenschaftlichen Textes ist, wenn dieser in Fachkreisen nicht als wissenschaftlich unseriös kritisiert, sondern gegebenenfalls von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für ihre Forschung herangezogen wurde. Veröffentlichungen, zumal im Open Access, werden außerdem auch auf Online Plattformen, wie zum Beispiel Research Gate, Academia.edu, Google Scholar diskutiert, bewertet und ihre Zitationen werden dokumentiert. Es gibt aber auch Plattformen wie beispielsweise RetractionWatch, die hilfreiche Informationen zur Einschätzung von Veröffentlichungen bieten.

Wenn Unsicherheiten verbleiben, möchte ich die Studierenden ermutigen, sich an Ihre Dozentinnen und Dozenten sowie Betreuerinnen und Betreuer zu wenden und um Unterstützung zu bitten. Darüber hinaus ist es auch die Aufgabe der Ausbildung an unserer Universität, die Studierenden an das wissenschaftliche Arbeiten einschließlich der Beurteilung von Veröffentlichungen heranzuführen und ihnen die Fachkenntnis und Erfahrung zu vermitteln, um einen seriösen von einem unseriösen Text zu unterscheiden. Das ist gewissermaßen das Gegenstück zu unseren vielfältigen Bemühungen zu verhindern, dass seriöse Autorinnen und Autoren unserer Universität auf unseriöse Verlage hereinfallen.

Von der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen werden mittlerweile Informationsveranstaltungen zu Open Access und Raubverlagen veranstaltet. Was unternimmt die Universität noch, um dem Problem entgegenzuwirken?

Die Angebote der Staats- und Universitätsbibliothek gab es bereits vor der aktuellen Berichterstattung. Die Bibliothek informiert in regelmäßigen Abständen über Open Access und klärt in dem Zusammenhang ebenfalls über Predatory Publishers auf. Dort können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch persönlich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beraten lassen, wenn sie ihre Forschungsergebnisse im Open Access veröffentlichen wollen. Die aktuellen Medienberichte griff die Bibliothek im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Open Access in Zeiten von Raubverlagen“ auf, die im November 2018 die Frage nach möglichen Auswirkungen von Predatory Publishing auf die Idee von Open Access stellte.

Die Universität hat aber natürlich auch die Medienberichte zum Anlass genommen, ihre Maßnahmen zu überprüfen und auszubauen.

In einem ersten Schritt hat das Rektorat im Juli 2018 alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schriftlich über das Geschäftsmodell der Predatory Publishers informiert sowie auf die Beratungsangebote der Staats- und Universitätsbibliothek hingewiesen. Die Universität und ich haben auf der Homepage Stellung genommen. In einem Schreiben an den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) habe ich angeregt, dass die DFG als Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft das Phänomen der Raubverlage gemeinsam mit ihren Mitgliedseinrichtungen in angemessener Weise aufarbeiten möge.

Darüber hinaus haben ich und die Pressestelle der Universität zahlreiche Medienanfragen zu Predatory Publishing beantwortet. Unter anderem erschien dazu ein Interview mit mir im Weser-Kurier. Nach dem Ende der Sommerpause beriet auch der Akademische Senat (AS) ausführlich über das Thema. Als Ergebnis wurde die Forschungskommission vom AS beauftragt, unter Einbeziehung der Staats- und Universitätsbibliothek, Maßnahmen und Empfehlungen für die Qualitätssicherung im Publikationsprozess zu erarbeiten. Ziel ist es, die bestehenden Qualitätssicherungsmaßnahmen zu systematisieren, zu aktualisieren und zu ergänzen.

Bei der Veranstaltung „Open Access in Zeiten von Raubverlagen“ wurde sich beschwert, dass die journalistische Berichterstattung die Komplexität des Themas nicht ausreichend aufgreifen würde, oder überhaupt in der Lage dazu sei. Teilen Sie diese Meinung?

Ich begrüße die Diskussion, die durch die Berichterstattung zum Thema Predatory Publishing ausgelöst wurde. Ich hoffe, dass sie einen Beitrag dazu leistet, bei allen Mitgliedern des Wissenschaftssystems ein Problembewusstsein für die Machenschaften der Raubverleger zu schaffen. Zugleich ist es unabdingbar, dass wir alle – auch die Medien – in der Debatte sorgfältig zwischen den Raubverlegern und unredlichen Autorinnen sowie Autoren auf der einen Seite und redlichen Autorinnen sowie Autoren auf der anderen Seite unterscheiden. Wir müssen den falschen Eindruck vermeiden, dass es in der Wissenschaft mehr Fake als Wahrheit gibt. Es kann nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Veröffentlichung allein deswegen wissenschaftlich unseriös ist, weil sie bei einem Verlag erschienen ist, der heute als Predatory Publisher bekannt ist. Diese wichtige Differenzierung gelingt in der Diskussion mal mehr und mal weniger. Dies ändert aber nichts daran, dass es wichtig ist, die Diskussion über das Predatory Publishing zu führen.

Die TAZ  hat eine Richtigstellung zu einem Beitrag über Ihre Veröffentlichung bei fragwürdigen Verlagen veröffentlicht. Wie stehen Sie zu der bisherigen Berichterstattung zu Ihrer Person?

Auch unabhängig von meiner Person gilt: Die aktuelle Berichterstattung kann hoffentlich einen Beitrag zur Sensibilisierung aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten. Dabei ist wichtig, dass sie auf soliden Fakten basiert. Dann kann sie dabei helfen, über das Geschäftsgebaren unseriöser Verlage zu informieren und das Phänomen des Predatory Publishings damit zu bekämpfen.

Von Lillith Dörsch

Nachtrag: Der Artikel wurde am 31.01.2019 aktualisiert. Es wurde die Information hinzugefügt, dass es sich um ein schriftliches Interview handelt.