Von Lilian Köhler
24 Stunden in der Hauptstadt. Die Sonne steigt direkt neben dem Fernsehturm auf. Und beleuchtet wieder die unzähligen Botschaften, in denen Berlin aus seiner Anonymität heraus tritt, ganz präsent - an Straßenlaternen, Stromkästen, Bäumen und Zäunen.
Überall kleben die Zettel der Berlinerinnen und Berliner, in ihren Nachrichten sind sie ermutigend: "Wat willste heute zum ersten Mal machen?" Pragmatisch: "Steuererklärung im Sturm verloren!!! Haben Sie meine Papiere gefunden?" Oder poetisch: "Für eine Minute nur: Bleib stehen, schau in den Himmel und mache dir klar, wie erstaunlich das Leben ist."
Der RBB-Episodenfilm Notes of Berlin erzählt von Menschen, die solche Nachrichten zu Papier gebracht haben. Die Zettelbotschaften im Film sind authentische Fundstücke aus dem Berliner Stadtbild. Seit 2010 fotografiert der Kulturwissenschaftler Joab Nist die oft herzerwärmenden, größtenteils kuriosen, mitunter aber auch tragischen Zettel, die an so ziemlich jeder Ecke der Stadt hängen. Auf seinem mit dem Film gleichnamigen Blog und Instagram-Kanal kuratiert und teilt er sie mit dem Internet.
Authentische Zettelbotschaften dienten als InspirationDie Regisseurin und Co-Autorin Mariejosephin Schneider ist gebürtige Berlinerin und war ebenso fasziniert von der Sammlung kurioser Zettel. 15 fiktive Geschichten hat sie aus den echten Botschaften gestrickt, so ist ein Film entstanden, der von Episode zu Episode springt und dabei nicht nur die Figuren wechselt, sondern auch die Stimmung - von humorvollen zu schmerzhaften Szenen.
Die Kamera folgt den Figuren nur für eine kurze Zeit: So begleitet sie zum Beispiel eine junge Frau zum WG-Casting, das ziemlich komische Formen annimmt: Ein wilder Rave, auf dem man aber altmodisch Wartenummer ziehen muss. Der Film lebt von seiner offenen Dramaturgie. Manche Episoden sind nur durch Passanten verbunden, deren Wege sich kurz kreuzen. Andere Figuren teilen eine Geschichte, die im Laufe des Films wieder aufgegriffen wird.
Dazwischen werden Zettelbotschaften eingeblendet. Sie zeigen: Niemand ist mit seinen kleinen und großen Alltagsnöten allein. In der Stadt gibt es immer auch andere, die getrieben sind von Wohnungsnot, Liebeskummer, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Beziehungskrisen, oder denen schlichtweg ihr Haustier ausgebüxt ist.
Neben bekannten Schauspielern wie Andrea Sawatzki oder Tom Lass spielen auch Laiendarsteller mit - vielleicht kreiert gerade das die unverblümte Direktheit der kurzen Szenen. Schneider gelingt es, den situativen, grundehrlichen Charakter der Zettelbotschaften glaubhaft zu inszenieren. Ein paar der 15 Episoden hätte man streichen können. Andere sind eine unbeschwerte Liebeserklärung an diese verrückte Hauptstadt, in der so viele Menschen aufeinandertreffen und sich trotz aller Ungleichheiten zusammentun. Der Tenor des Films gegenüber Berlin bleibt ambivalent.
Doch wie die Kamera so leichtfüßig und ungeniert durch die Straßen streift, gelingt es, Berlin in zumindest den meisten Episoden so darzustellen, wie sich viele die Stadt vorstellen oder eben kennen, lieben oder hassen. Und dazu gehört dann auch das in manchen Szenen reproduzierte Klischee-Bild der chaotisch absurden Hipster-Großstadt. Auch in der Wirklichkeit kommen ja viele nach Berlin, um dort ein Klischee nachzuleben.
Notes of Berlin, Ab 5. März in der ARD-Mediathek und um 0.05 Uhr im Ersten.
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