Nur knapp einen Kilometer von der Europäischen Zentralbank entfernt befindet sich in den denkmalgeschützten Rundbögen der Honsellbrücke der Kunstverein Familie Montez. Mit einer Ausstellungsfläche von mehr als tausend Quadratmetern bietet der Verein einen Rückzugsort für die freie Kunstszene. Wer an einem Sonntagmorgen an den bodentiefen Fenstern der Kunsthalle vorbeikommt, stutzt oft. „Spüre deinen Herzschlag. Atme ein und aus", ertönt eine Frauenstimme aus dem Raum. Die Teilnehmer stehen im Vierfüßlerstand mit ausgestreckten Beinen auf bunten Gummimatten vor abstrakten Gemälden. Sie haben sich in den Ausstellungsräumen versammelt, um ihre Woche mit Yoga ausklingen zu lassen.
Jeden Sonntag verwandeln sich die Räumlichkeiten unter der Brücke zum gemeinsamen Yoga-Treffpunkt. Jonas Ungermann, Organisator der Veranstaltung „Yoga Montez", versucht dabei, den Ausstellungsraum möglichst harmonisch zu gestalten. Manchmal seien die Teilnehmer von riesigen Skulpturen, manchmal von eher filigranen Arbeiten umgeben. Durch manch ein Ausstellungsstück habe man buchstäblich hindurchsehen und so eine Verbindung zum Nachbarn aufbauen können.
Selbst zur Skulptur werden„Es entsteht einfach ein Energiefeld, eine Synergie zwischen den einzelnen Teilnehmern, den Arbeiten und dem Lehrer vorne natürlich, der als Hauptresonanzkörper dieser ganzen Yoga-Ebene Gestalt gibt", sagt Ungermann. An einem Ostersonntag im Jahr 2017 veranstaltete er den gemeinschaftlichen Sonnengruß im Kunstverein zum ersten Mal. Das Konzept entstand über seine persönliche Leidenschaft fürs Yoga. „Gerade in schwierigen Zeiten war Yoga für mich ein guter Rettungsanker", sagt er.
Immer wieder habe er Mirek Macke, dem künstlerischen Leiter des Kunstvereins, von seinen Yoga-Erfahrungen vorgeschwärmt, bis dieser ihn fragte, ob er nicht sogar eine Veranstaltung daraus machen wolle. Gemeinsam mit dem Verein Resonanzkörper stellte Ungermann sein Konzept schließlich auf die Beine. Unter dem Slogan „Art in Movement" gingen die Teilnehmer während der Kurse in Resonanz mit dem künstlerischen Arrangement und den Positionen im Raum.
„Die Posen, die sogenannten Asanas, sind ja schon wie eine Art bewegte Skulptur. Die Besucher werden im weitesten Sinne ein Teil des Ganzen", sagt Ungermann. Zwar würden die Kurse nicht bewusst auf die immer wechselnden Ausstellungen angepasst, aber dennoch könne Yoga die Sinne der Besucher für die Ausstellungsobjekte unterbewusst erweitern. „Dass man dann die Kunst ganz anders wahrnimmt, das ist ein Aspekt des Ganzen, der es spannend macht", sagt Ungermann. Die aktuellen Ausstellungen werden im Newsletter kommuniziert.
Unternehmer neben StudentenWährend Yoga am Sonntagmorgen zu einem guten Wochenausklang verhelfen soll, sollen Kurse am Montagabend nun dafür sorgen, mit frischer und klarer Energie in die neue Woche zu starten. So werden montags Atemübungen, Kakaozeremonien, ekstatischer Tanz und andere Praktiken angeboten, die fern von dem sind, was man im klassischen Sinne unter Yoga versteht. Für Ungermann ist Yoga die perfekte Kompensation in einer schnelllebigen Stadt wie Frankfurt.
„Es ist eine Stadt, die schon eine recht starke Strahlkraft nach außen hat", sagt er. Dass Yoga mittlerweile nahtlos in den Alltag der Großstädter einzufließen scheint und aus einem früheren Nischendasein heraustreten konnte, sieht Ungermann vor allem als Zeichen einer Zeit, die geprägt ist von Hektik und dauerhaften Stressfaktoren. „Man merkt ja in den Unternehmen, dass da schon auch in gewisser Weise ein neues Bewusstsein entsteht. Es geht auch um Entschleunigung." Auch Yoga-Lehrerin Nadine Gerhardt teilt diese Meinung.
Sie gibt unter anderem Kurse im Kunstverein Familie Montez, hat aber auch schon Stunden am Museumsufer, auf der Dachterrasse des Treffpunkts Citybeach und im Holzhausenpark gegeben. „Vorher hat Yoga nur im Studio stattgefunden", erinnert sie sich. Durch die Sessions in der Öffentlichkeit seien auch Menschen dazugestoßen, die zuvor keinerlei Berührungspunkte mit Yoga hatten. Auf den Matten habe der Unternehmer in Führungsposition neben dem Studenten, der sich eine normale Stunde nicht leisten konnte, seine Übungen gemacht, erinnert sie sich.
Während einer Veranstaltung am Museumsufer sei auch ein Obdachloser auf ihren Kurs aufmerksam geworden. Er habe sich in die letzte Reihe gestellt und ohne Matte mitgemacht. „Ich bin dann schlussendlich zu ihm hin und habe ihn an der Stirn berührt", erzählt Gerhardt. Der Mann sei von dieser Geste anfänglich irritiert gewesen, erinnert sie sich, habe sich aber nachher bedankt und sei von diesem Zeitpunkt an regelmäßig gekommen. Jedes Jahr hätten so auch viele obdachlose Menschen unentgeltlich an ihren Stunden teilnehmen können.
Seit dem Jahr 2018 ist es Gerhardt nicht mehr möglich, Yoga an solchen Orten anzubieten. Gewerbliche Aktivitäten in Grünanlagen dürfen nicht mehr so einfach ohne Erlaubnis angeboten werden. Gerhardt bedauert diesen Schritt: Die Bürger einer getriebenen Stadt seien auf der Suche nach Ausgleich. Zu einer ihrer Stunden am Museumsufer seien damals etwa 250 Teilnehmer erschienen. Die Energie in der Stadt sei zu der Zeit besonders gewesen: vergleichbar mit fliegen.