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Forschung zu Polizeigewalt: Viel Gegenwind

Die Forschung zu Polizeigewalt macht trotz neuer Studien nur langsam Fortschritte. In Hamburg haben Gewerkschaften die Datenerhebung bisher blockiert.

HAMBURG taz | Gleich zwei Studien zur deutschen Polizei erschienen zuletzt, eine weitere - Hamburg betreffend - soll nach langem Hin und Her nun 2024 folgen.

Bislang haben missbräuchlich agierende Po­li­zis­t:in­nen wenig zu befürchten, zeigt die Studie „Gewalt im Amt" der Uni Frankfurt, in der es um Körperverletzungen und Machtmissbrauch durch Po­li­zei­be­am­t:in­nen geht.

Bereits im April hatten Forschende der Polizeiakademie Münster einen Zwischenbericht zu Einstellungen und Berufsalltag von Po­li­zis­t:in­nen veröffentlicht. Diese Arbeit war bundesweit als „Rassismusstudie" bekannt geworden, als Horst Seehofer (CSU) noch Bundesinnenminister war.

Das Ergebnis beider Untersuchungen: Um Problemen zu begegnen, muss man wissen, wo sie liegen. Diese Erkenntnis setzt sich aber nur zaghaft durch.

Die Forschenden aus Frankfurt/Main befragten für ihre Studie rund 3.300 Betroffene von Polizeigewalt. Das Ergebnis: Fälle von Amtsmissbrauch werden selten angezeigt. Erfolgt eine Anzeige, so kommt es in zwei Prozent der Fälle zu einer Anklage. Über 90 Prozent der Verfahren werden eingestellt.

Die Polizeihochschule Münster schickte Fragebögen an die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und 14 Landespolizeien - Hamburg und Baden-Württemberg ließen sich nicht befragen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Hamburg kritisierte, die Studie impliziere, dass es ein Rassismusproblem in der Hamburger Polizei gäbe, was nicht der Fall sei. Doch wie lässt sich das beweisen, ohne Forschung?

Noch bevor das Bundesinnenministerium die Münsteraner Studie zu „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten" (Megavo) anordnete, war in Hamburg ein weiteres Forschungsprojekt in Planung: „Demokratiebezogene Einstellungen und Werthaltungen innerhalb der Polizei Hamburg" heißt das Vorhaben (DeWePol). Doch die Studie scheiterte zunächst am Widerspruch der Polizeigewerkschaften.

Bei einer Podiumsdiskussion des Vereins „Polizei Grün" in Hamburg ging es jüngst gerade darum. Der Verein sieht sich als „parteinahes, jedoch unabhängiges Expertennetzwerk" für Innenpolitik. Vor Ort waren Fachpublikum, Po­li­zis­t:in­nen und interessierte Bür­ge­r:in­nen. Auf dem Podium diskutierten Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen mit Nadja Maurer, Forscherin an der Forschungsstelle für strategische Polizeiforschung in Hamburg, sowie Ulf Bettermann-Jennes, Leiter der Beschwerdestelle der Hamburger Polizei und Jan Reinecke, Vorsitzender des Bund deutscher Kriminalbeamter in Hamburg.

Reinecke hatte die „DeWePol" 2021 gemeinsam mit den Vorsitzenden zweier anderer Polizeigewerkschaften gestoppt. Es habe große Vorbehalte beim Datenschutz gegeben, sagt er. Die Fragen der Forschenden hätten Rückschlüsse auf die Identitäten der Be­am­t:in­nen erlaubt, kritisiert Reinecke.

Die Sozialanthropologin Maurer betont indes auf der Bühne, wie zentral Strukturdaten für die Forschung seien. Also Daten wie Alter, Geschlecht, Dienstgrad und Dienststelle. Bettermann-Jennes pflichtet ihr bei. Seitdem er die Beschwerdestelle der Polizei übernommen hat, erhebe man deutlich mehr Daten, wenn es um Beschwerden gegen Beamt:in­nen geht. Immerhin 60 Strafanzeigen hätte man so im vergangenen Jahr gegen Kolle­g:in­nen stellen können.

Auch Reinecke betont, wie wichtig ihm empirische Forschung sei. Die neue Studie zur Polizei in Hamburg werde besser als jene, die im Auftrag des Bundesinnenministeriums entsteht, glaubt er heute.

Angst vor Konsequenzen

Noch vor zwei Jahren klang das anders, kurz vor Weihnachten kam das Nein der Gewerkschafter zur Hamburger DeWePol-Studie: Fragen zur „Religionszugehörigkeit und politischen Orientierung" verletzten das Recht zur informationellen Selbstbestimmung der Beamt:innen, hieß es damals. Dabei sollte es doch genau darum gehen: die politische Einstellung der Hamburger Polizist:innen. Bereits 2019 liefen die Vorbereitungen zur Studie, also noch vor dem Beginn der bundesweiten Studie.

Auch der Hamburger Senat hatte das Projekt damals unterstützt. Aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass die Teilnahme an der Hamburger Studie gegenüber der bundesweiten „priorisiert" werde. Dem stellte sich der Personalrat der Polizei in letzter Minute entgegen. Grünen-Politikerin Imhof sagt: „Die Angst ist, dass für bestimmte Personen Konsequenzen folgen." Dabei müsse die Polizei erkennen, dass sie von Forschungsergebnissen profitiere.

Mittlerweile hat man sich scheinbar geeinigt. Die Leiterin des DeWePol-Projektes teilt mit, dass der Personalrat der Polizei im April einem Fragebogen zugestimmt habe. Die Befragungen sollen 2024 starten. Die Finanzierung ist bis 2024 gesichert.

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