Der Hamburger Psychiater und Suchtexperte Ingo Schäfer fordert bessere Beratungsangebote für suchtkranke Flüchtlinge. Menschen, die eine traumatische Erfahrung gemacht haben, seien besonders gefährdet, zu Suchtmitteln wie Alkohol, Drogen oder verschreibungspflichtigen Medikamenten zu greifen, sagte Schäfer dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande der 27. Niedersächsischen Suchtkonferenz am Mittwoch in Hannover. „Solche Substanzen sind hervorragend dazu geeignet, psychischen Schmerz zu dämpfen, den Schlaf zu verbessern oder sich aufdrängende Bilder und Albträume zu verdrängen." Schäfer ist Geschäftsführer des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg.
Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Hamm sind in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren alkoholabhängig sowie mindestens 1,5 Millionen Menschen arzneimittelabhängig. Exakte Erhebungen zum Anteil suchtkranker Flüchtlinge in der Gesamtstatistik gibt es nicht.
„Wir haben aber mit der großen Anzahl von Flüchtlingen eine ganz bedeutsame Gruppe dazubekommen, wo es um traumatische Lebensumstände wie Krieg, Verfolgung und Flucht geht", erläuterte Schäfer. Das deutsche Hilfesystem sei darauf unzureichend vorbereitet. Viele Flüchtlinge nutzten die Suchthilfe nicht, weil sie nichts davon wüssten oder Hemmungen vor einer Therapie hätten.
Schäfer forderte, Personen aus anderen Kulturen gezielter aufzusuchen und zu informieren. Zudem brauche es angemessene Angebote und Fort-bildungen für eine kultursensible Behandlung in der Suchthilfe. Dabei ginge es etwa um den Umgang mit Fluchterfahrungen. Auch die Sprachbarriere stelle nach wie vor ein Problem dar.
„Und wir müssen uns klarmachen, dass integrative Angebote nötig sind", betonte der Psychiater. Traumatisierte Menschen hätten häufig ein niedriges Selbstwertgefühl sowie Probleme mit Gefühlen umzugehen oder Vertrauen zu fassen. „Die Menschen benutzen ein Suchtmittel zum Stressabbau", erläuterte der Psychiater. Wenn das Mittel im Zuge einer Behandlung wegfalle, steige die Belastung im Alltag. Die Wahrscheinlichkeit für Rückfälle sei deutlich höher als bei nicht traumatisierten Suchtkranken.
Suchtkranke Traumapatienten könnten nicht immer einerseits Suchtberatungsstellen aufsuchen und sich an anderer Stelle zusätzlich Hilfe für ihre Traumafolgestörungen holen, mahnte Schäfer. „Wir müssen die Suchthilfe kompetent machen, auch diese Beschwerden bis zu einem gewissen Grad mit zu versorgen."