Meine Küche füllt sich mit einem rauschenden Lärm, der nur unregelmäßig von einem lauten Knacken unterbrochen wird. Ich habe gerade zwei Handvoll grünen Spargel in den heißen Wok geworfen. Zum Glück sind alle meine Zutaten schon vorgeschnitten, sonst käme ich gar nicht hinterher. Nach zwei-, dreimal umrühren kommen schon weitere, zuvor bereits angebratene Zutaten hinzu: Shrimps, Mu-Err-Pilze, eine Prise Zucker sowie eine Sauce aus mit Wasser aufgelöster Stärke, Sojasauce, Chinkiang-Essig, Shaoxing-Wein, Zucker und Chili. Das Ergebnis: gare, aber bissfeste Stücke mit nussig-scharfen Röstaromen, ummantelt von einer süßlich-salzigen Sauce.
Die Berliner Gastronomin Daeng Khamlao ist ein großer Fan des Woks: "Du schmeißt es rein und es wird sofort warm. Und alles bleibt so knackig!" In ihrem Kreuzberger Bistro The Panda Noodle sitzt man auf bunten Plastikstühlen, die wie die restliche Deko aus Bangkok stammen. Es gibt wechselnde Thai-Gerichte wie frisches Pad Thai oder einen Hühnchensalat mit knusprigem Spiegelei als Topping. Khamlao beobachtet ein steigendes Interesse an spezifischen asiatischen Gerichten in Deutschland: "Vor einigen Jahren galt China kulinarisch noch als ein Land, aus dem vor allem Schwein süßsauer und gebratene Nudeln kommen." Mittlerweile tummeln sich auch hierzulande Läden, die regionale Küchen anbieten, etwa aus der Sichuan-Provinz - und die Menschen stehen Schlange.
Im Wok zubereitete Gerichte haben einen ganz eigenen Geschmack, der schwer vergleichbar ist. Denn bei keiner anderen Zubereitungsart bleiben die Zutaten so fest und frisch, obwohl sie durchgegart sind. Das liegt an der Anatomie des Kochgerätes: Woks werden extrem hoch erhitzt, die Garzeiten sind deswegen besonders kurz. Die einzelnen Zutaten werden teilweise nur wenige Sekunden angebraten, sie werden vom Wok geküsst. In der chinesischen Küche nennt sich dieses Aroma Wok-Hei. Übersetzt heißt das Wok-Energie oder Wok-Atem. Khamlao beschreibt das Aroma so: "dieses leicht Angebrannte und der rauchige, tolle Geschmack von Feuer".
Die chinesisch-amerikanische Kochbuchautorin Grace Young erzählt davon, wie ihr Vater sich in Restaurants immer möglichst nah an die Tür zur Küche setzt, damit möglichst wenig vom Wok-Hei-Geschmack auf dem Weg zum Tisch verloren geht. Um auf Chinesisch ein Restaurant zu loben, sagt man nicht "das Restaurant ist gut", sondern "das Restaurant hat viel Wok-Hei". Der inzwischen internationale Hype um den Wok-Hei-Geschmack kommt nicht nur aus Asien, sondern auch aus den USA. Denn die ersten chinesischen Einwanderinnen in den Vereinigten Staaten stammten aus der chinesischen Region Kanton, in der Wok-Hei besonders populär ist. Sie prägten die chinesisch-amerikanische Fusionsküche, die heute als eigenständiger Kochstil gilt. In den USA gibt es mehr chinesische Restaurants als McDonald's-, Burger-King- und KFC-Filialen zusammen.
Doch woher kommt sie, diese mystische Wok-Hei-Energie? Eine einfache Antwort hat die Geschmackswissenschaft bislang nicht gefunden. Aber es gibt Erklärungsansätze. Zuerst einmal findet beim Braten die Maillard-Reaktion statt - nicht nur im Wok: Dabei entstehen unter starker Hitze neue Verbindungen zwischen Aminosäuren und Zuckern. Parallel dazu kommt es zum Karamellisieren: Zuckermoleküle brechen auf und ordnen sich zu neuen Aromen. Dabei wird die Oberfläche von Fleisch oder Gemüse braun und knusprig und der Geschmack verändert sich. Die dem Wok vorbehaltene Zubereitungsart heißt Stir-Fry, zu Deutsch: Pfannenrühren. Das ist verwandt mit dem Sautieren, also dem Kurzbraten. Beim Stir-Fry kommt jedoch ein dauerhaftes Umrühren und Schwenken des Woks hinzu, bei dem der Inhalt durch einen Schwung in die Luft geschleudert wird, um ihn dann wieder mit dem Wok aufzufangen. In Profiküchen und asiatischen Streetfoodständen wird dabei auch gerne der Rand des Woks über das Feuer gehalten, sodass sich die Flamme kurz über den gesamten Inhalt ausbreitet. Dabei zersetzt sich das Öl schlagartig. Möglicherweise ist es das rauchige Aroma der Flamme, die den Wok-Hei besonders macht.
Der Wok-Hei ist nur einer der vielen Gründe, mit einem Wok zu . Star-Kochbuchautor J. Kenji López-Alt bezeichnet den Wok als "die vielseitigste Pfanne", die es gibt. Denn mit dem Wok könne man nicht nur gut braten, sondern auch dämpfen, kochen, frittieren, schmoren und räuchern. Damit ist er der Schlüssel zur gesamten asiatischen Küche. López-Alt hat sein kürzlich erschienenes Buch gänzlich dem Kochen mit dem Wok gewidmet ( Wok, Norton Verlag, ab 33,99€). Es ist sein zweites Buch nach dem legendären Debüt The Food Lab, in dem er Hobbyköchinnen mit leicht verständlichen wissenschaftlichen Erklärungen zu einem besseren Verständnis des Kochens verhalf.
Wer den Wok verstanden hat, braucht keine Rezepte mehrWok ist nicht nur eine hervorragende Einführung in die Technik Stir-Fry (es gibt sogar eine ausführliche Bilderanleitung), sondern eine Art Rundumschlag in die kontemporäre westlich angehauchte asiatische Restaurantküche - und alles so genau erklärt, dass man es wirklich zu Hause nachkochen kann. Neben chinesisch-amerikanischen Klassikern wie Beef and Broccoli finden sich auch Gerichte aus anderen ost- und südostasiatischen Ländern wieder: japanische Yakisoba-Nudeln, koreanische Reiskuchen oder vietnamesischer Reisnudel-Shrimp-Salat. Aber Wok ist kein reines Rezeptbuch. López-Alt betont: " technique over recipes" - wer das Prinzip der Wok-Küche einmal verstanden habe, brauche keine Rezepte. Und kann sich jederzeit eigene, improvisierte Mahlzeiten kochen.
Dafür braucht es natürlich erst mal einen Wok. Und die Anschaffung ist auf den zweiten Blick gar nicht so einfach. Bei Woks gilt: Innen- und Außenwand sind eins, es gibt keine zwei Schichten. Und: Teuer ist nicht immer besser. Kupfer, Aluminium und rostfreier Stahl sind nicht zu empfehlen, genauso wenig wie Woks mit Antihaftbeschichtung. Gusseiserne Woks sind gut, brauchen aber aufgrund ihrer Dicke länger zum Heißwerden. Am besten funktionieren Woks aus Karbonstahl, die man günstig im Internet findet. Wie gute Pfannen entwickeln diese mit der Zeit immer mehr Aroma. Dazu muss man sie erst einmal einbrennen, nachdem man den Schutzfilm abgewaschen hat, sodass sich die Farbe von silbern zu dunkelbraun bis schwarz verändert. Nach jedem Abwaschen wird dann das Innere des Woks mit einem hoch erhitzbaren Öl eingerieben, ähnlich wie bei einer gusseisernen Pfanne. Hier empfehlen sich neutrale Pflanzenöle wie Sonnenblumenöl, auf gar keinen Fall sollte Olivenöl benutzt werden. Wer keinen Gasherd hat, muss übrigens nicht auf den Wok verzichten. Auch hier empfehlen López-Alt und Khamlao einen Karbonstahl-Wok. Beim Pfannenrühren sollte jedoch darauf geachtet werden, den Wok nicht zu lange vom Induktions- oder Ceranfeld anzuheben, da die Hitze sonst nicht weiter übertragen wird.
Mit dem eigenen Wok und der Anleitung von López-Alt lässt sich dann kreativ werden. Eigentlich alles aus der Speisekammer lässt sich im Wok zubereiten, wie die bereits erwähnte Kreation aus Spargel, Shrimps und Pilzen. Warum nicht heimische Produkte wie Wirsing, Blumenkohl oder Löwenzahn als Stir-Fry verbraten? Ein paar essenzielle Dinge gilt es jedoch zu beachten: Mit dem Wok wird in einzelnen Schritten gebraten. Je nach Gericht wird zuerst eine Zutat gebraten und dann beiseitegestellt, dann die nächste und so weiter. Am Ende schwenkt man dann alles noch mal gemeinsam. Die typische, samtene Sauce aus asiatischen Restaurants lässt sich übrigens durch in Wasser aufgelöste Stärke herstellen. Eine weitere, sehr sinnvolle Regel: Alles vorschneiden! Beim Pastakochen etwa ist es ja oft so, dass man ganz lässig nebenher erst seine Zutaten schnippelt. Beim Wok-Kochen geht das nicht, denn teilweise dauert das Garen nur wenige Sekunden.
Um daheim das Wok-Hei-Aroma zu erreichen, empfiehlt López-Alt einen Flambierbrenner, mit dem der Wok-Inhalt während des Schwenkens noch zusätzlich von oben geröstet wird. Der Wok lässt sich übrigens auch hervorragend für nicht asiatische Gerichte verwenden. Als kürzlich Gäste für Moules Frites vorbeikamen, wurde der Wok spontan umfunktioniert: Die Muscheln ließen sich perfekt wenden, weil der Wok so schön bauchig ist. Am liebsten hätte ich einen zweiten Wok gehabt, um parallel zu frittieren. Aber nichts schlägt die Stir-Frys mit ihrem knackigen Gemüse.
Khamlao glaubt, dass der Wok den Deutschen dabei helfen könne, ihr Gemüse nicht immer zu Matsch zu verkochen. Mit einem Augenzwinkern sagt sie: "Gemüse kann man auch kurz gegart essen, daran stirbt man nicht."