Im Keller meines alten Studierendenwohnheimes steht ein Büchertausch-Regal. Schmonzetten, Krimis, manchmal etwas Schlaues. Was das Wohnheim liest und tauscht, entspricht einigermaßen dem Querschnitt des Buchmarktes. Es gibt aber auch die christlichen Erbauungsbüchlein, die sich immer wieder in die Regalreihen einschleichen und die ich bis zu meinem Auszug aus Interesse fleißig herausgezogen habe.
Erbauend sind diese Bücher oft ganz und gar nicht. Ein Exemplar etwa enthält Gebete für viele realweltliche Belange, etwa für ein Leben ohne Masturbation oder gegen homosexuelles Empfinden. Ach Gott, dachte ich mir, als ich das Buch in meinem Zimmer zum ersten Mal studierte, betet da irgendjemand in diesem Wohnheim womöglich gegen das Masturbieren an? Ich wühlte derweil in meiner Uni-Tasche nach einem Regenbogen-Sticker, den ich unbedingt noch in die WG-Küche kleben wollte.
Diese Kolumne hier soll kein Abgesang auf Religion werden, ich knie regelmäßig in der Kirche. Aber das tut nichts zur Sache. Auch für einen Atheisten verändert sich dieser Sachverhalt nicht: Religion ist wichtig, weil Menschen an sie glauben. Sie ist damit gesellschaftliche Realität und man sollte sie so gestalten, dass sie zu den Werten unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft passt. Jetzt klingt Masturbationsverbot eher nach Mittelalter als Moderne, immerhin wird es nicht viel Schaden anrichten. Beim Thema Homosexualität sieht das anders aus.
Jetzt könnte man sagen: Wen kümmert es denn, was ein, zwei Studierende mit einem reaktionären Gottesbild drei, vier Zimmer weiter glauben und denken? [...]