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Kolumne

ZEITWORT DES MONATS / September 2015: flüchten

Wer flüchten will, will vor allem weg, "nur weg von hier" (Franz Kafka: Der Aufbruch), sonst ist es kein richtiges Flüchten. Derart flüchten ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn, denen ihre alten Arbeitsplätze so verleidet wurden, dass sie zu dem Schluss gelangt sind: "etwas Besseres als den Tod findest du überall". Nun, zumindest der Esel hat auch ein klares Vorhaben, für das er sogar die drei anderen Schicksalsgenossen zu gewinnen versteht, und so sind die doch nicht so ganz richtigen Flüchtlinge zu den "Bremer Stadtmusikanten" geworden. Es ging ihnen nicht schlecht genug, um einfach nur wegzulaufen, egal wohin.

Noch uneigentlicher flüchtet der "verlorene Sohn" im von Jesus erzählten Gleichnis. Er besinnt sich in der unwirtlich gewordenen Fremde auf das Vaterhaus als Zuflucht. Immerhin rechnet er nicht mit dem überschwänglichen "Willkommen", das er dann erfahren darf, sondern er wäre schon über eine niedrige Stellung bei seinem alten Herrn froh.

Man muss wohl echte Tiere hernehmen, keine vermenschlichten, um Reinkulturen des Flüchtens kennenzulernen. Das natürliche Fluchtverhalten ist ein bloßes Ausweichen, ähnlich dem der ärmeren syrischen Flüchtlinge, die der Bürgerkrieg nicht weiter vertreibt als in ein Nachbarland, während eine Minderheit mit mehr Bedacht und Kaufkraft Asyl in weiter europäischer Ferne sucht. Im anspruchsvollen Leben sind zudem die Fliehkräfte größer als im anspruchslosen. Daher wird auch so viel Geld durch Kapital- beziehungsweise Steuerflucht in Sicherheit gebracht.

Die Zuflucht ist der übernatürliche Sinn des Flüchtens. Flüchten ist für Menschen kein Selbstzweck. Sie wollen immer nur vorübergehend auf der Flucht sein, wenn überhaupt. Aber es kann ihnen durchaus passieren, nirgends die Zuflucht zu finden, die ihnen vorschwebt. Dann ist die Serie "Auf der Flucht" eine "Unendliche Geschichte" und das "Nur weg" am Ende doch eine wenn auch grenzwertige Daseinsmöglichkeit. Die vorschwebende Zuflucht liegt notfalls im Vorschweben selbst, das sich nichts, kein Asyl auf Erden, vormachen lässt. Sie ist das reinste Asyl, über jeden Zweifel erhaben. Das Utopia, "wo die Menschheit immer landet" (Oscar Wilde: Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus).

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(ABC-Bild: Tim Reckmann / pixelio.de)