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Als ich einmal Platonows Schirmherr war

"Platonow" im Augsburger Stadttheater. Die letzte Produktion im Großen Haus, das nun für fünf bis zehn Jahre wegen erheblichen Renovierungsbedarfs geschlossen wird. Von mir gibt es da nicht viel zu berichten. Immerhin Folgendes.

Zunächst dreht sich die schwach beleuchtete Drehbühne. Dort sind ebenso schwach alle farbenfroh hergerichteten Damen und Herren Schauspieler zu sehen, auf vier benachbarte Schauplätze verteilt. Das Spiel selbst beginnt auf einer höher gehängten kleineren Filmleinwand im Bühnenvordergrund. Sie ist von einem altmodischen Bilderrahmen umgeben. Das dauert, gefühlt, eine halbe Stunde lang, so dass ich denke: Bin ich jetzt ins Theater gegangen oder ins Kino? Doch das offene Bühnenspiel lässt nicht länger auf sich warten. Es ist derart lustig in Wort und Körpersprache, dass Shakespeare- und berühmte Stummfilmkomödien fast in den Schatten gestellt werden. Das Publikum, mich eingeschlossen, ist mehr als erheitert, und man könnte Lachkrämpfe bekommen.

Das alles habe ich vorher dem Tschechow-Text nicht anmerken können. Einiges ist freilich hinzugedichtet worden. So stirbt in der Augsburger Fassung weder ein Alter, der vielmehr bis zum letzten Vorhang bloß im Lehnstuhl eingenickt ist, noch der Titelheld, den zwar die alte Liebe erschießt, der sich aber nach ein paar Stille im Saal auslösenden Schrecksekunden mit den Worten "So geht das nicht" wieder erhebt. Stattdessen verfolgen ihn ganz zuletzt Kameras bis vor das Theatergebäude, wo er sich auf die eingeregnete Straße legt.

Hinzu eilt unter anderem jemand mit einem großen Schirmmeinem leuchtendbraunen "ProOptik"-Schirm aus der Besuchergarderobe! "Das ist ja mein Schirm!", mache ich mich halblaut kaum bemerkbar in Reihe 10 während dieses Finales. Nach etliche Minuten langen Ovationen händigt mir die Garderobefrau für den Heimweg, als wäre nichts gewesen, Jacke und Schirm aus. Diesen muss ich draußen noch aufspannen und als Gebrauchsgegenstand ziemlich aufgeben. Er war schon seit einiger Zeit leicht hinüber, hat nun aber als Theaterutensil den Rest bekommen.

Verärgerung stellt sich indes nicht ein. Ein bisschen Stolz darüber, auf merkwürdige Weise an dem tollen Abendspektakel mitgewirkt zu haben, ist ausschlaggebend gewesen. Für ein letztbestes Lachen.

(Eigenes Foto)