Laufen macht die Gelenke kaputt? Der Forscher Alessio Bricca erklärt, warum das nicht stimmt - wenn man sich an diese Regeln hält.
PIEGEL: US-Forscher haben unlängst Daten von Menschen im Alter von 45 bis 79 Jahren mit erhöhtem Risiko für Arthrose im Knie untersucht. Demnach erhöht jahrelanges Joggen die Gefahr für einen Knorpelschaden keineswegs. Überrascht Sie das?
Bricca: Nein, überhaupt nicht. In meiner Doktorarbeit habe ich die einschlägige Literatur ausgewertet - und komme zum gleichen Ergebnis: Sport in Maßen schadet dem Knie nicht.
SPIEGEL: Menschen mit Kniebeschwerden dagegen sehen das oftmals anders und hören mit dem Joggen auf.
Bricca: Was man ja durchaus verstehen kann. Wenn ein Mensch im mittleren oder höheren Alter seine Kniegelenke auf einer Kernspintomografieaufnahme betrachtet, wird er sehen, dass die Gelenkknorpel altersbedingt verändert sind. Für ihn heißt das: Wenn ich diese scheinbar beschädigte Struktur weiter strapaziere und belaste, verschleiße ich sie noch mehr. Also sollte ich das am besten sein lassen. Allerdings haben wir mittlerweile genügend Hinweise darauf, dass diese Sorge unbegründet ist.
SPIEGEL: Wie kann das sein?
Bricca: Weil das Kniegelenk von der Bewegung lebt. Wird es nicht beansprucht, verkümmert der Knorpel darin. Knorpel funktioniert wie ein Schwamm. Gesunder Knorpel saugt sich mit Wasser voll und kann Nährstoffe aufnehmen. Bei Belastung wird der Knorpel ausgepresst, danach kann er sich wieder vollsaugen. Ohne Bewegung dagegen wird der Knorpel kleiner und verschrumpelt. Ab einem höheren Alter ist dieser Vorgang unausweichlich – aber durch körperliche Bewegung kann man ihn deutlich verlangsamen.
SPIEGEL: Sie empfehlen moderate Bewegung. Woran kann man merken, welches Maß das richtige für einen ist?
Bricca: Vor dem Training kann man sich fragen: Wie sehr schmerzt mein Knie auf einer Skala von eins bis zehn? Vielleicht spürt man einen Schmerz auf der Stufe zwei, also einen geringen Schmerz. Dann macht man Sport, und am Tag danach fragt man sich wieder: Wie sehr schmerzt mein Knie jetzt? Wenn der Schmerz immer noch bei zwei ist, dann gibt es kein Problem. Wenn aber der Schmerz höher ist als vorher, hat man zu viel gemacht.
SPIEGEL: Und was dann?
Bricca: Am besten, man macht nicht so intensiv Sport, dafür aber öfter. Also nicht einen Gewaltlauf pro Woche, sondern vier kurze Läufe an vier verschiedenen Tagen der Woche. Und man könnte auf der üblichen Trainingsstrecke im Wechsel rennen und gehen.
SPIEGEL: Müssen übergewichtige Menschen besonders auf ihre Gelenke achten?
Bricca: Ja. Bei Übergewicht wird der Knorpel zusammengepresst, aber nicht bewegt – diese Kombination schadet dem Gelenk. Deshalb sollten Menschen mit Übergewicht in Bewegung kommen, aber vorsichtig. Es gilt immer: nicht zu viel auf einmal, dann kann man nichts falsch machen.
SPIEGEL: Könnte ein Erwachsener, der noch nie in seinem Leben gejoggt ist, denn einfach losrennen?
Bricca: Nein, das wäre nicht so gut. Er sollte besser langsam beginnen, also zum Beispiel eine halbe Stunde am Tag spazieren gehen. Und nach ein paar Wochen das Tempo nach und nach steigern oder abwechselnd schnell und langsam gehen. Dann ist man fit fürs Joggen.
SPIEGEL: Darf man denn auf Asphalt laufen?
Bricca: Es gibt keine klare wissenschaftliche Aussage, wie sich die Beschaffenheit des Untergrunds auf das Knie auswirkt. Aber wenn man nicht zu häufig und nicht zu viel auf einmal joggt, dann sollte jeder Belag für die Knie in Ordnung sein.